Recht und Kapitalmarkt

Möglichkeiten und Grenzen für ein Acting in Concert

Abstimmung muss sich auf Stimmrechtsausübung beziehen - Koordinierter Beteiligungsaufbau nicht erfasst

Möglichkeiten und Grenzen für ein Acting in Concert

Von Thomas Bücker und Christoph von Bülow *) Erlangt jemand die Kontrolle über eine deutsche börsennotierte Gesellschaft, ist er grundsätzlich zur Abgabe eines sog. Pflichtangebots verpflichtet. Dadurch soll den Minderheitsaktionären die Möglichkeit gegeben werden, im Hinblick auf einen etwa bevorstehenden Strategiewechsel zu einem angemessenen Preis aus der Gesellschaft “auszusteigen”. Diese Regelung entspricht international üblichen Standards und ist auch durch EU-Recht vorgeschrieben.”Kontrolle” liegt vor, wenn jemand mindestens 30 % der Stimmrechte an der börsennotierten Gesellschaft hält. Zu berücksichtigen sind dabei auch Stimmrechte aus Aktien Dritter, auf die jemand rechtliche oder wirtschaftliche Einflussmöglichkeiten hat. Der Zurechnungskatalog ist vielfältig und gibt oft Anlass zu Zweifelsfragen. Dies gilt insbesondere für die Zurechnung von Stimmrechten aufgrund abgestimmten Verhaltens (sog. “Acting in Concert”). Insoweit schreibt § 30 Abs. 2 WpÜG die Zurechnung von Stimmrechten jedes Dritten vor, mit dem jemand sein Verhalten “in Bezug auf die Zielgesellschaft” abstimmt. Ausgenommen bleiben hierbei lediglich Vereinbarungen über die Ausübung von Stimmrechten “in Einzelfällen”. Unsicherheit über ReichweiteKlar ist, dass nicht jedes Abstimmungsverhalten, das wie auch immer geartete Auswirkungen auf die Zielgesellschaft hat, zur Stimmrechtszurechnung führt. In der Praxis bestand allerdings immer wieder Unsicherheit, wo die Grenze genau verläuft. Insbesondere war unklar, ob sich die Abstimmung auf die Stimmrechtsausübung in der Hauptversammlung beziehen muss oder ob auch bei einer außerhalb dieses Kontextes stattfindenden Koordination zwischen Aktionären ein Pflichtangebot droht.Mehrere zu dieser Frage in den vergangenen Jahren ergangene Gerichtsentscheidungen nahmen hierzu unterschiedliche Standpunkte ein. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vertrat die Auffassung, dass ein Acting in Concert – und damit eine Stimmrechtszurechnung – auch dann erfolgen kann, wenn sich die Abstimmung nicht auf die Ausübung von Stimmrechten bezieht. Die BaFin betrachtete es beispielsweise als ausreichend, wenn Aktionäre versuchen, den Vorstand oder Aufsichtsrat einer Gesellschaft unter “Druck” zu setzen, um diese zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen – etwa zur Veräußerung eines Unternehmensbereichs, zur Ausschüttung einer Sonderdividende oder zum Rückerwerb von Aktien. Erhebliche BedeutungDie Frage hat für die Praxis erhebliche Bedeutung. Eine unbeabsichtigt ausgelöste Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots ist für Kontrollerwerber unternehmenspolitisch kaum akzeptabel. Sie hätte zudem erheblichen Finanzierungsbedarf zur Folge. Verstöße gegen die Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots sind im Übrigen scharf sanktioniert. Nach § 59 WpÜG tritt ein Stimmrechtsverlust ein. Behauptete Abstimmungen zwischen Großaktionären werden daher immer mehr zu einem beliebten Agitationsfeld professioneller Kleinaktionäre im Rahmen von Hauptversammlungen. Vorsätzliche (und zwar auch lediglich bedingt vorsätzliche) unterbliebene Pflichtangebote führen zudem zum (auch rückwirkenden) Dividendenverlust. Mit Urteil vom 18. September 2006 hat nunmehr erstmals der Bundesgerichtshof zu dieser Frage verbindlich Stellung genommen (vgl. BZ vom 19. September). Die Urteilsgründe sind jetzt veröffentlicht worden. Das Urteil lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Der BGH hat dabei einer extensiven Anwendung des § 30 Abs. 2 WpÜG eine klare Absage erteilt. Er hat festgestellt, dass ein Acting in Concert nur dann vorliegt, wenn Gegenstand der Abstimmung (jedenfalls auch) die Ausübung von Stimmrechten in der Hauptversammlung der Zielgesellschaft ist. Sonstige Interessenkoordinationen sind nicht erfasst und können deshalb auch keine Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots auslösen. Somit steht fest, dass allein der abgestimmte Erwerb von Aktien nicht zur Stimmrechtszurechnung führen kann. Gehen Investoren koordiniert vor und bleibt jeder von ihnen unterhalb der ersten Meldeschwelle von 5 % (die allerdings im Rahmen der Umsetzung der Transparenz-Richtlinie im Januar 2007 auf 3 % abgesenkt werden dürfte), bestehen weder Offenlegungspflichten noch Risiken bei der Stimmrechtszurechnung. Der (auch koordinierte) Einsatz von Derivaten ergibt weiteren Handlungsspielraum insbesondere dann, wenn diese so ausgestaltet sind, dass sie auch nach Umsetzung der Transparenz-Richtlinie nicht offenlegungspflichtig sind, also kein Recht zur Lieferung physischer Stücke vermitteln. Gleiches gilt für Standstill-Vereinbarungen und Verträge, in denen sich Aktionäre zum Erwerb oder zur Veräußerung von Aktien verpflichten. Klar ist jetzt auch, dass Verhaltensabstimmungen zwischen Aufsichtsratsmitgliedern nicht zur Stimmrechtszurechnung führen können. Aufsichtsratsmitglieder sind allein dem Unternehmensinteresse verpflichtet und unterliegen im Rahmen der ihnen persönlich obliegenden Amtsführung keinen Weisungen. In diesem Zusammenhang hat der BGH am Rande klargestellt, dass die in der Praxis übliche koordinierte Besetzung des Aufsichtsrats zur Abbildung der wesentlichen Beteiligungsverhältnisse nicht zur Stimmrechtszurechnung führt. Entschieden hat der BGH schließlich, dass die Frage, ob eine Abstimmung im “Einzelfall” vorliegt, in erster Linie rein formal, d. h. bezogen auf die Häufigkeit des Abstimmungsverhaltens, zu bestimmen ist. Verständigen sich Aktionäre also nur hinsichtlich einer bestimmten Angelegenheit (z. B. der Zustimmung zu einer Verschmelzung der Gesellschaft mit einem dritten Unternehmen), führt allein dies nicht zur Stimmrechtszurechnung, auch wenn der Abstimmungsgegenstand von besonderem Gewicht ist oder besonders nachhaltige Folgen hat. Nachweis schwierigÄhnlich wie im Rahmen des Insiderrechts liegt auch bei der Stimmrechtszurechnung aufgrund Acting in Concert in der Praxis die entscheidende Problematik darin, ob ein abgestimmtes Verhalten nachgewiesen werden kann. Die Fälle Deutsche Börse/TCI sowie IWKA/Wyser-Pratte haben gezeigt, wie schwierig es im Einzelfall sein kann, diesen Nachweis zu führen. Bloße Indizien oder Verdachtsmomente eines abgestimmten Verhaltens (etwa aufgrund Verwandtschaftsverhältnisses oder vermeintlichen Interessengleichlaufs) reichen – so dürfte auch die BGH-Entscheidung zu lesen sein – für eine Stimmrechtszurechnung nicht aus. Ungerechtfertigte Kritik Kaum publiziert, ist die Entscheidung des BGH bereits als wirklichkeitsfremd gescholten worden. Sie ignoriere, dass aktive Aktionäre in der Praxis primär auf informeller Ebene oder durch den Aufsichtsrat versuchten, auf Unternehmen Einfluss zu nehmen. Die Beobachtung ist im Grundsatz sicherlich zutreffend. Daraus folgt jedoch keineswegs, dass jedes koordinierte Vorgehen bereits ein Pflichtangebot auslösen muss. Dies wäre international einmalig und EU-rechtlich auch gar nicht geboten. Pflichtangebote allein aufgrund einer Interessenkoordination ohne begleitende Aktienkäufe sind vielmehr ein deutscher Sonderweg. Dass der BGH Pflichtangeboten allein aufgrund von “Rudelbildung” oder Vorsprachen beim Vorstand eine Absage erteilt hat, ist daher zu begrüßen. Vorstände “bedrängter” Unternehmen sollten lautstarken Aktionärsgruppen nicht vorschnell das Feld räumen, sondern es ruhig auch einmal auf einen “Showdown” in der Hauptversammlung ankommen lassen. Die drohende Nichtberücksichtigung von Stimmrechten durch den Versammlungsleiter wegen unterlassener Meldung eines Acting in Concert könnte durchaus in die eine oder andere Hauptversammlung etwas Bewegung bringen.*) Dr. Thomas Bücker und Dr. Christoph von Bülow sind Partner im Frankfurter Büro der internationalen Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer.