RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: CHRISTIAN KEILICH UND BURKHARD SCHNEIDER

Musterfeststellungsklage wird Risiko für Wohnungsgesellschaften

Auch Transaktionspraxis betroffen - Erster Fall in München

Musterfeststellungsklage wird Risiko für Wohnungsgesellschaften

Herr Keilich, Herr Schneider, laut Presseberichten wurde kürzlich die erste Musterfeststellungsklage von einem Münchner Mieterverein gegen eine Wohnungsgesellschaft mit 260 Wohnungen eingereicht. Es geht um angeblich drastische Mieterhöhungen im Zuge einer Modernisierungsmaßnahme. Ist das der Auftakt zu Massenklagen im Mietrecht?Keilich: Die zunehmende Regulierung des Mietrechts wie Mietpreisbremse, die allgemeine Wohnungsknappheit und die aktuelle Vergesellschaftungsdebatte sind symptomatisch für die Konfliktträchtigkeit des Mietrechts. So sind in den letzten Jahren auch kommerzielle Anbieter zur Durchsetzung von Mieterrechten, zum Beispiel Wenigermiete.de, populär geworden. Durch die Bündelung von Interessenten und Standardisierung können sie völlig neue Impulse setzen. Insgesamt kann man sagen: Der kollektive Rechtsschutz ist nun auch in der Immobilienwirtschaft angekommen. Die Musterfeststellungsklage ist universell und kann auch im Mietrecht eingesetzt werden. Welche Mieterrechte sind von der Musterfeststellungsklage betroffen und wie läuft das Verfahren ab?Schneider: Mit der Musterfeststellungsklage können zum Beispiel Mietpreiserhöhungen, Nebenkostenabrechnungen, die Überwälzung von Modernisierungs- und Sanierungskosten oder auch Belastungen durch die Energiewende angegriffen werden. Sie ist nur gegen größere Vermieter ab 50 Einheiten möglich und nur für mietrechtliche Ansprüche von Verbrauchern einsetzbar, also nicht für gewerbliche Mietverträge. Die Musterfeststellungsklage kann ausschließlich von qualifizierten Einrichtungen erhoben werden, zum Beispiel von Verbraucher- und Mieterverbänden. Der klagende Mieterverein muss lediglich glaubhaft machen, dass die Interessen von mindestens zehn Mietern betroffen sein könnten. Binnen zwei Monaten nach öffentlicher Bekanntmachung müssen mindestens 50 Mieter ihre Ansprüche beim Bundesamt für Justiz anmelden. Das Verfahren wird allein vom Mieterverband geführt. Wird der Anspruch rechtskräftig festgestellt, können die Mieter ihre individuellen Ausgleichsforderungen auf dem Klageweg geltend machen. Was heißt das für die Immobilienwirtschaft?Schneider: Große Wohnungsgesellschaften können von der Musterfeststellungsklage besonders hart getroffen werden. Rechnet ein Großvermieter beispielsweise 100 Euro Nebenkosten zu viel ab und hat 100 000 Einheiten, dann wird daraus schon ein zweistelliger Millionenbetrag. Bei Mieterhöhungen sprechen wir über noch viel mehr Geld. Die Verfahrensdauern werden länger werden, denn es handelt sich um ein neues Rechtsinstrument, bei dem viele juristische Detailfragen durch die Instanzen geklärt werden müssen. Großvermieter müssen sich also schnell entscheiden, ob sie das Verfahren womöglich über mehrere Jahre durchziehen und das wirtschaftliche Risiko eines Prozessverlusts während der Verfahrensdauer anwachsen lassen oder ob sie schnell klein beigeben. Auch das Risiko für Reputationsschäden ist nicht zu unterschätzen: Die Musterfeststellungsklage wird im für jedermann online einsehbaren Klageregister des Bundesamts für Justiz öffentlich bekannt gemacht. Berichten Medien über die Klage, kann dies zu erheblichen Rufschädigungen für die Beklagten führen.Keilich: Die Transaktionspraxis muss sich mit diesem Thema auseinandersetzen. Bei Musterfeststellungsklagen und kollektivem Rechtsschutz handelt es sich um ein ernstzunehmendes neues Risiko, das in Zukunft auch bei der Bewertung von Immobilienportfolien oder beim Erwerb von Wohnungsgesellschaften eine Rolle spielen wird. Dies wird in der Due Diligence und in den Gewährleistungen in Kaufverträgen zu berücksichtigen sein. Welche zukünftigen Entwicklungen sehen Sie im Zusammenhang mit Musterverfahren?Schneider: Die Musterfeststellungsklage ist erst der Anfang. Die EU-Kommission hat im Frühjahr 2018 das Projekt einer EU-Repräsentantenklagenrichtlinie bekannt gemacht. Dann können alle Verbraucherbände quer durch die EU klagen. Wir werden sehen, was daraus nach der Europawahl wird. Burkhard Schneider ist Partner im Bereich Litigation & Dispute Resolution, Dr. Christian Keilich ist Leiter des Real-Estate-Bereichs von Clifford Chance.Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.