Recht und Kapitalmarkt

Musterklagengesetz stärkt Anlegerschutz nur zum Teil

Einführung eines einheitlichen Gerichtsstands im KapMuG zu begrüßen - Erleichterung für Telekom-Prozess erhofft

Musterklagengesetz stärkt Anlegerschutz nur zum Teil

Von Anke Sessler *)Mit dem geplanten Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) will die Regierung den Rechtsschutz der Anleger auch verfahrensrechtlich verbessern und zugleich die Justiz entlasten. Anlass für die Gesetzesinitiative sind die “Massenverfahren” der letzten Jahre, darunter vor allem die Klagen von Kleinaktionären gegen die Deutsche Telekom, in denen zahlreiche – im Falle der Deutschen Telekom 15 000 – Kleinaktionäre Emittenten und andere Beteiligte verklagten. ParallelverfahrenZwar können auch nach dem geltenden Recht Kleinanleger als Streitgenossen gemeinschaftlich klagen oder unter bestimmten Voraussetzungen ihre Ansprüche an einen Treuhänder abtreten, der die Ansprüche gebündelt im eigenen Namen geltend macht. Dennoch kam es in der Vergangenheit zu zahlreichen Problemen: So wurden Parallelverfahren vor verschiedenen Gerichten geführt, die unterschiedliche Rechtsauffassungen vertraten und abweichende Urteile fällten. Der vielleicht gravierendste Nachteil der so genannten Massenverfahren ist ihre Dauer. Im Fall der Telekom dauerte allein die Zustellung der Klagen zum Teil mehrere Jahre. Bis zur Terminierung einer mündlichen Verhandlung vergingen drei Jahre. Auch wenn eine dagegengerichtete Verfassungsbeschwerde von Anlegern erfolglos blieb, besteht Einigkeit darüber, dass dies ein kaum noch hinnehmbarer Zustand ist. Zudem befürchtet die Regierung, dass sich viele Kleinanleger scheuen, Emittenten und andere Prospektverantwortliche zu verklagen, weil das Kostenrisiko und der Wert der Klageforderung oftmals in keinem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. So beträgt die Klageforderung häufig nur einige hundert oder tausend Euro, während das Gutachten im Telekom-Prozess bis zu 20 Mill. Euro kosten könnte. Bisher müssen die beweispflichtigen Anleger diesen Betrag vorschießen.Mit diesen Problemen will das KapMuG aufräumen. Nach dem geplanten Gesetz sollen Massenklagen u. a. dadurch erleichtert werden, dass die Kernfragen des Rechtsstreits anhand eines Musterverfahrens vorab von einem Oberlandesgericht entschieden werden. Gestützt auf dessen Beurteilung der maßgeblichen Tatsachen und Rechtsfragen soll das zuständige Prozessgericht dann die einzelnen Klagen entscheiden. Ferner soll ein einheitlicher Gerichtsstand bei dem Landgericht am Ort des Emittenten geschaffen werden. Dieses Prozessgericht soll alle Klagen, die im Zusammenhang mit einer öffentlichen Kapitalmarktinformation stehen, verhandeln und entscheiden, und zwar gegen alle Beteiligten. KlageregisterZudem sieht die Regierung gravierende Änderungen des Kostenrechts vor. Insbesondere müssen die beweispflichtigen Parteien in Zukunft z. B. keinen Kostenvorschuss mehr für Sachverständigengutachten leisten. Eine für die betroffenen Emittenten besonders bedeutsame Neuerung liegt in der Einrichtung eines elektronischen Klageregisters, in dem alle zugelassenen Musterfeststellungsanträge bekannt zu machen sind. Die dadurch eintretende Prangerwirkung wird hohen Druck auf die betroffenen Unternehmen ausüben und zögernde Anleger animieren, sich Klagen anzuschließen. Den Schutz der Anleger dürfte das KapMuG dennoch nur teilweise verbessern. Zu begrüßen ist allerdings die Einführung eines einheitlichen Gerichtsstands, wenn auch bezweifelt werden darf, ob die Konzentration der Verfahren am Sitz des Emittenten glücklich ist. Dies könnte dazu führen, dass in Zukunft auch sehr kleine Landgerichte für Verfahren des Telekom-Formats zuständig werden, ohne darauf logistisch auch nur annähernd vorbereitet zu sein. Auch die Bildung von Know-how dürfte durch die geplante Zuständigkeitsregelung schwerer werden. Positiv ist, dass die für alle Klagen relevanten Rechts- und Tatsachenfragen frühzeitig ermittelt und in einem Musterverfahren einer einheitlichen Entscheidung zugeführt werden sollen. Die Aufspaltung der Anlegerklagen in Individualklagen vor dem Prozessgericht und ein Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht ist dagegen fragwürdig. Es ist bedenklich, dass gerade für die Kernfragen des Massenverfahrens nur eine Tatsacheninstanz zur Verfügung steht. Da das Oberlandesgericht an den Vorlagebeschluss des Prozessgerichts gebunden ist, besteht zudem die Gefahr, dass die Landgerichte die aufwendigen und unbeliebten Anlegerklagen ohne nähere Prüfung “nach oben” delegieren. Dies wird umso eher möglich sein, als eine mündliche Verhandlung für diese Phase des Verfahrens, die Zulassung des Musterantrags, nicht vorgeschrieben ist. Das Gesetz wird schließlich nichts daran ändern, dass die Posteingangs- und Geschäftsstellen der Gerichte auch in Zukunft mit der Papierflut eines Massenverfahrens hoffnungslos überfordert sein werden. Da für die Verfahren in aller Regel die Kammer für Handelssachen zuständig ist, wird es zudem dabei bleiben, dass sich ein einzelner Richter mit möglicherweise tausenden von Klagen auseinander setzen muss. So muss der Richter weiterhin zunächst in jedem einzelnen Fall die Musterverfahrenstauglichkeit prüfen und später, wenn das Oberlandesgericht einen Musterentscheid erlassen hat, jede einzelne Klage entscheiden. Da die Anleger in Zukunft keinen Kostenvorschuss mehr für ein etwa notwendig werdendes Sachverständigengutachten entrichten müssen, könnte die Klageflut in Zukunft sogar noch zunehmen. Das könnte auch Auswirkungen auf das Musterverfahren vor dem Oberlandesgericht haben. Zwar gibt es dort nur einen Musterkläger, den das Oberlandesgericht nach billigem Ermessen auswählt. Die übrigen Kläger können sich aber als so genannte “Beigeladene” ebenfalls nahezu uneingeschränkt an dem Musterverfahren beteiligen. Sofern sie dies tun, dürfte das Musterverfahren ähnlich schwerfällig werden wie die schon jetzt laufenden Massenverfahren. Dennoch hofft der Vorsitzende Richter, der die Klagen gegen die Telekom zu entscheiden hat, auf das KapMuG, während ihm die klagenden Anleger eher skeptisch gegenüberstehen. Dies ist nachvollziehbar: Kommt das Oberlandesgericht in seinem Musterentscheid nämlich zum Ergebnis, dass der Börsenzulassungsprospekt den rechtlichen Anforderungen entsprach, muss das Landgericht zwar immer noch jede einzelne Klage abweisen. Es kann sich dann aber auf den Musterentscheid beziehen, ohne sich mit den Einzelheiten der individuellen Klagen befassen zu müssen. Das KapMuG hat einen breiten Anwendungsbereich, ist es doch auf alle öffentlichen Kapitalmarktinformationen, also alle für eine Vielzahl von Kapitalanlegern zugänglichen Tatsachen, die einen Emittenten von Wertpapieren betreffen, anwendbar. Der Regierungsentwurf zählt eine Reihe von Beispielen auf, darunter Angaben in Börsenzulassungs- und Verkaufsprospekten sowie Unternehmensberichten, außerdem Mitteilungen über Insiderinformationen und Jahresabschlüsse. Es handelt sich dabei durchweg um Informationen, zu deren Mitteilung eine gesetzliche Pflicht besteht. Der Katalog ist jedoch nicht abschließend, und es ist damit zu rechnen, dass der Begriff der öffentlichen Kapitalmarktinformation weit ausgelegt werden wird. Breiter KreisIn persönlicher Hinsicht sind von der Anwendung des KapMuG auf der einen Seite die klagenden Anleger, auf der anderen Seite Emittenten und die zumeist mitverklagten emissionsbegleitenden Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute betroffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden auch zunehmend Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und Gutachter von Anlegern erfolgreich verklagt. Sofern sie für eine öffentliche Kapitalmarktinformation verantwortlich sind, werden auch Klagen gegen sie nach dem KapMuG verhandelt werden. Schließlich wird das KapMuG Anwendung auf Klagen von Anlegern gegen Organmitglieder des Emittenten finden, z. B. Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften, die nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (“Infomatec”) den Anlegern für vorsätzlich falsche Kapitalmarktinformationen unmittelbar haften und nach den Plänen des Gesetzgebers zu einem Kapitalmarkt-Informationshaftungsgesetz zukünftig wahrscheinlich in noch weiterem Umfang haften werden. *) Dr. Anke Sessler ist Partner im Frankfurter Büro der Kanzlei Clifford Chance.