Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Frank Herring

Nachbesserungsbedarf für Produktinformationen

"Gesetzgeber sollte Anlegerschutzverbesserungsgesetz auf Praxistauglichkeit prüfen"

Nachbesserungsbedarf für Produktinformationen

– Herr Herring, wie bewerten Sie die Vorschriften speziell zum Anlegerschutz im Entwurf des Gesetzes zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes (AnsFuG)?Der Diskussionsentwurf ist qualitativ sehr verbesserungsbedürftig; er ist mit heißer Nadel gestrickt. Nehmen Sie beispielsweise die Vorschriften zum neuen Produktinformationsblatt. Der Gesetzgeber fordert, dass für jedes Wertpapier, welches von einer Bank oder einem Finanzdienstleister verkauft wird oder zu dem sie berät, dem Kunden ein Produktinformationsblatt angeboten wird.- Hilft das nicht dem Kunden bei seiner Anlageentscheidung ?Richtig, aber wenn selbst komplexeste Produkte auf gerade einmal zwei DIN-A4-Seiten dargestellt werden müssen, dann verwirrt dies den Anleger mehr, als es ihm hilft. Das hat auch der EU-Gesetzgeber erkannt, der für sogenannte strukturierte Fonds jedenfalls drei DIN-A4-Seiten zulässt. Diesem guten Beispiel sollte der deutsche Gesetzgeber zum Beispiel bei etwas komplexeren Zertifikaten folgen.- Ist das Ihr einziger Kritikpunkt am Produktinformationsblatt?Keineswegs. Auch die gesetzlich geforderten Inhalte sind bei näherer Betrachtung teilweise unmöglich zu erfüllen. So soll zum Beispiel für jedes Produkt angegeben werden, wie Kapitalrückzahlung und Ertrag sich unter verschiedenen Marktbedingungen entwickeln. Bei einem Produkt, das mehreren nichtkorrelierten Markteinflüssen unterliegt – beispielsweise einem einfachen Mischfonds mit Aktien und Rentenpapieren – können Sie hierzu ganze Romane schreiben, aber sicher nicht auf einer Viertelseite für den Anleger sinnvolle Informationen bereithalten.- Muss der Beipackzettel nur im Beratungsgeschäft bereitgehalten werden?Nach dem Wortlaut des Diskussionsentwurfs müsste sogar ein Online-Broker, der Wertpapiere ohne Beratung execution-only vertreibt, für jeden Fonds, jede Aktie und jedes Zertifikat ein Produktinformationsblatt zum Download bereithalten.- Gibt es Übergangsfristen für diese Anforderungen?Das wissen wir noch nicht, der Entwurf schweigt hierzu. Eines wissen wir aber mit Bestimmtheit: Um für die gesamte Bandbreite des Produktspektrums Produktinformationsblätter gemeinsam mit den Emittenten zu erstellen, wird die durchschnittliche Bank viele Monate benötigen. Der juristische, organisatorische und logistische Aufwand wird enorm sein. Dies gilt dann umso mehr, wenn ausländische Emittenten im Spiel sind, denn diese haben natürlich noch nie vom deutschen Anlegerschutzverbesserungsgesetz gehört und sind völlig unvorbereitet.- Gibt es weitere Aspekte, auf die Banken sich vorbereiten müssen?Ja, zum Beispiel hinsichtlich der Registrierung ihrer Anlageberater. Künftig muss jeder Anlageberater bei Banken und Finanzdienstleistern bei der BaFin registriert werden. Registriert werden darf nur, wer zuverlässig und fachlich geeignet ist.- Hört sich vernünftig an.Richtig, aber auch hier steckt die Tücke im Detail. Wer “bloß” Bankkaufmann ist und über keine weiteren formalen Qualifikationen verfügt, der darf zukünftig nur noch zu Investmentfonds beraten. Das gilt nach dem unklaren Gesetzeswortlaut vielleicht sogar dann, wenn dieser Bankkaufmann als Filialleiter einer Sparkasse zuvor 20 Jahre lang Kunden rundum zu Vermögensanlagen ohne Beanstandung beraten hat.- Das kommt einem Berufsverbot gleich?Richtig, und es macht selbst für den Anlegerschutz überhaupt keinen Sinn: Fonds sind nicht per se unkomplex und risikofrei. Es ist grotesk, dass ein solcher Bankkaufmann zwar zur Anlage in hochriskante Hedgefonds beraten darf, nicht aber dem Kunden empfehlen darf, in Bundesschatzbriefe zu investieren.- Können Sie im Gesetzentwurf auch positive Ansätze erkennen?Ich bin mir nicht sicher, ob die Banken es so sehen, aber langfristig wird es sich positiv auf das Vertrauen der Bankkunden auswirken, dass die BaFin jetzt auch die Vertriebssteuerung überprüft.- Was heißt das konkret?Der Gesetzgeber schreibt in der Gesetzesbegründung, dass Banken zu sehr Vertriebsinteressen im Auge haben und nicht Kundeninteressen. So pauschal halte ich die Aussage für falsch, aber es gibt doch immer wieder Exzesse, ich nenne nur das Stichwort “Lehman-Zertifikate”. Um sicherzustellen, dass solche Skandale sich nicht wiederholen, müssen Banken jetzt auf allen Ebenen, von der Vertriebsleitung bis in die Filiale, Vertriebsbeauftragte benennen, die gewährleisten, dass Vertriebsvorgaben – und dazu gehören auch Vergütungssysteme – nicht mit Kundeninteressen kollidieren.- Wie ist die Vorgabe umzusetzen?Selbst Banken, die heute schon das Kundeninteresse im Blick haben, werden dies zukünftig umfangreich für ihre Compliance-Abteilung dokumentieren müssen, ähnlich wie es bei der Umsetzung der Finanzmarktrichtlinie Mifid im Bereich Best Execution der Fall war.- Wie lautet Ihre Empfehlung an den Gesetzgeber?Wegen des Streits über die Behandlung geschlossener Fonds ist der Gesetzgebungsprozess ins Stocken geraten. Der Gesetzgeber wäre gut beraten, wenn er diese “Zwangspause” nutzt und die Vorschläge zur Reform des Wertpapierhandelsgesetzes vor Erscheinen des Referentenentwurfs noch einmal auf Praxistauglichkeit überprüft. Das Produktinformationsblatt ist aus meiner Sicht zumindest in der jetzigen Form ein gesetzgeberischer Fehlgriff.—-Frank Herring ist Partner im Bereich Banking bei Norton Rose LLP in Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.