ASSET MANAGEMENT - IM INTERVIEW: THORSTEN GOMMEL, PWC

Neue Derivateregeln schneiden tief ins Portfolio

Emir bedroht Performance der Produkte und Profitabilität kleinerer Asset Manager - Strategien müssen angepasst werden

Neue Derivateregeln schneiden tief ins Portfolio

Die künftigen Derivateregeln Emir ziehen für die Asset-Management-Branche überraschend gravierende Folgen nach sich. Diese Ansicht vertritt Thorsten Gommel, Partner beim Wirtschaftsprüfer PwC in Frankfurt im Bereich Asset Management Consulting, im Interview der Börsen-Zeitung. Denn es werden strategische Anpassungen bei den Investmentfonds nötig, um die steigenden Kosten aufzufangen. Für kleinere Häuser ist es besonders schwierig.- Herr Gommel, die neue Derivate-Regulierung Emir betrifft auch Asset Manager. Skizzieren Sie bitte, welche Bedeutung OTC-Derivate derzeit für das Portfoliomanagement haben.Generell werden OTC-Derivate nach unseren eigenen Erhebungen in mehr als 90 % der Fälle von Asset Managern rein zu Absicherungszwecken eingesetzt. Dies wird in der politischen Diskussion oft übersehen. Für das Portfoliomanagement ist hier die Währungsabsicherung, etwa bei Aktien oder Anleihen in Fremdwährung, von ganz zentraler Bedeutung. Sie stellt den Großteil des Derivatevolumens dar. Zinsswaps und Credit Default Swaps werden in einem geringeren Umfang eingesetzt und komplexere, strukturierte OTC-Derivate, beispielsweise auf Aktien, nur äußerst selten – in Spezialkonstruktionen wie etwa synthetischen ETF oder Garantiefonds.- Inwieweit müssen Vermögensverwalter nun auf die bald geltenden neuen Bestimmungen reagieren? Was sind die wichtigsten Handlungsfelder?Die Handlungsfelder sind sehr vielschichtig und betreffen alle Handels- und Abwicklungsprozesse. An erster Stelle steht meist der Aufbau eines Sicherheitenmanagements. Einige Vermögensverwalter lagern dies an einen spezialisierten Dienstleister (Collateral Manager) aus. Daneben sind Clearing Broker, zentrale Gegenparteien (CCPs) und Transaktionsregister auszuwählen und eine Vielzahl von Verträgen, Dokumentationen und Schnittstellen zu etablieren. Meist wird den Vermögensverwaltern erst im Laufe dieser Arbeiten deutlich, dass sie auch strategisch ihre Portfoliokonzepte überprüfen müssen.- Wird sich der Derivateeinsatz verändern, vielleicht insgesamt zurückgehen? Und wird der Anteil der börsengehandelten Derivate im Fondsmanagement zunehmen? Welche Folgen hätte dies?Unsere Projekte und empirischen Studien zeigen alle in dieselbe Richtung: Die Handelsvolumina im OTC-Derivatemarkt gehen vorübergehend deutlich zurück. Langfristig ist jedoch von einer langsamen Erholung auszugehen. Denn zum einen besteht fundamental weiterhin ein großer Bedarf nach Risikoabsicherung. Zum anderen machen die zunehmende Preistransparenz und der damit einhergehende Margenverlust für die Sell-Side die Produkte für die Buy-Side attraktiver. Der operative Aufwand steigt jedoch exorbitant und drängt damit gerade kleine und mittlere Asset Manager vermehrt in börsengehandelte Produkte. Die Folge ist, dass mangels derzeitiger Instrumentenabdeckung im börsengehandelten Bereich viele Risiken nicht mehr absicherbar sind und damit einige Portfolien deutlich volatiler werden.- Sind steigende Kosten durch Emir zu erwarten, die an die Kunden durchgereicht werden? Was bedeutet dies für die Performance der Produkte?Diese Gefahr ist für den Anleger durchaus vorhanden, allerdings bestimmt das letztlich der Wettbewerb unter den Asset Managern. Es gibt derzeit im Markt sehr kontrovers diskutierte Gutachten, die argumentieren, dass sämtliche Kosten der laufenden Besicherung und des Clearings im weitesten Sinne als Anschaffungsnebenkosten zu bezeichnen sind. Damit läge die rechtliche Grundlage für eine Belastung des Fondsvermögens vor.- Das bedeutet also ja?Abgesehen davon, dass Preisdiskussionen mit institutionellen Kunden immer schwierig sind, besteht in marktüblichen Preismodellen der Dienstleister das Problem der Zurechenbarkeit: Die Kosten des Collateral Managements hängen beispielsweise maßgeblich an der Anzahl der Besicherungsanhänge, die pro Kontrahent geschlossen werden. Die anteilige Zurechnung zu den Sondervermögen kann zwar je nach Vertragsgestaltung noch dargestellt werden, aber bis auf die Transaktionsebene geht das selten hinunter.- Also doch keine höheren Gebühren?Es ist letztlich eine Auslegungsfrage, die unter anderem zwischen Asset Manager und Verwahrstelle abgestimmt sein muss, ob hier trotz pauschaler Abrechnung noch von “Anschaffungsnebenkosten” ausgegangen werden kann. Diese Abstimmung bereitet derzeit am Markt einiges an Kopfzerbrechen. Etwas einfacher sieht es zwar bei den Clearing-Kosten aus, die größtenteils transaktionsbasiert sind. Allerdings erreichen viele Asset Manager insgesamt nicht die notwendigen Schwellenwerte, um pauschale jährliche Minimumgebühren der Clearing Broker zu vermeiden.- Inwieweit wird es im Portfoliomanagement Anpassungen geben müssen?Es hat zweifellos viele Marktteilnehmer überrascht, wie weit dieses Thema auf die strategische Ebene ausstrahlt. Viele fragen sich jetzt: Kann ich mich aus dem OTC-Derivatemarkt verabschieden? Wie stelle ich meinem Kunden dann noch eine vertretbare, risikoadjustierte Performance dar? Große Asset Manager mit einem diversifizierten Kunden- und Produktportfolio sehen sich hier weniger in der Klemme als kleine spezialisierte Häuser, insbesondere wenn sie auf Overlay-Mandate oder andere Derivate-intensive Mandate fokussiert sind. Die Tendenz geht generell dahin, dass das Portfoliomanagement in Zukunft mit deutlich mehr Beschränkungen in Bezug auf Produktkonzepte, Asset-Klassen, Investitionsquoten und Instrumente umgehen muss. Zugleich werden die Anforderungen an ein aktives Liquiditätsmanagement beispielsweise durch Cash-, Repo- und Leihe-Transaktionen im Fonds deutlich komplexer.- Welche Änderungen sind im Sicherheitenmanagement zu erwarten?Einige Asset Manager befassen sich erstmals mit diesem Thema, und der Trend geht daher ganz klar hin zur Auslagerung an einen Spezialisten. Während früher Asset Manager die Lieferung und Überwachung von Sicherheiten beispielsweise für Wertpapierleihegeschäfte noch vielfach selbst organisiert haben, ist nun mit der Besicherung von OTC-Derivaten ein Komplexitätsgrad erreicht, den sie meist nicht mehr stemmen können. Die Asset Manager müssen aber in jedem Fall intern die Voraussetzungen für ein Sicherheitenmanagement durch einen Dritten schaffen.- Wie geht das?Unter anderem, indem sie ihre Portfolien so strukturieren, dass genügend Cash oder den Vorgaben des jeweiligen CCP genügende Wertpapiergattungen (meist erstklassige Staatsanleihen) vorhanden sind. Das bedeutet auch, dass nicht mehr das gesamte Portfolio für aktive Anlageentscheidungen zur Verfügung steht. Die etwas fortgeschritteneren Häuser führen dynamische Sicherheitenkonzepte ein, um immer die jeweils optimale, preisgünstigste Sicherheit aufzufinden. In Zukunft ist sowohl auf Ebene der Clearing Broker wie auch auf der der CCP mit einer Erweiterung des Sicherheitenuniversums zu rechnen, um auch reinen Aktienfonds den Zugang zu OTC-Derivatemärkten offenzuhalten.- Können kleinere Häuser das überhaupt auffangen?Wenn weder signifikante Volumina an OTC-Derivaten noch eine große Basis an verwaltetem Vermögen vorliegen, dann wird man sich womöglich aus dem OTC-Derivatemarkt zurückziehen müssen. Zumindest aber sollte man analysieren, inwiefern die bestehenden Portfoliomanagement-Strategien noch mit börsengehandelten Derivaten fortgeführt werden können. Manche spezialisierte Boutiquen haben jedoch keine Wahl und müssen große Anstrengungen unternehmen.- Welche Möglichkeiten gibt es bei institutionellen Produkten, die neuen Bestimmungen kostengünstiger umzusetzen?Der Asset Manager sollte mit den institutionellen Kunden besprechen, in welchem Umfang OTC-Derivate in Zukunft eingesetzt werden müssen, und die finanziellen Folgen verschiedener Szenarien für den Anleger berechnen. Dies ist keine einfache Diskussion. Aber sie muss geführt werden, denn nur gemeinsam können die Kosten reduziert werden.- Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?In segmentierten Masterfonds können beispielsweise alle Collaterals und alle OTC-Derivate auf Ebene des Masterfonds in einem Segment konsolidiert werden. Je nach Leistungsfähigkeit der Systeme der eingeschalteten Dienstleister erfolgt dann idealerweise eine virtuelle Zurechnung zu den einzelnen Nettoinventarwert-Einheiten. So spart man sich viele Kontoführungsgebühren beim Clearing Broker und CCP. Daneben gibt es weitere Möglichkeiten der Kostenbegrenzung, deren Vor- und Nachteile aber im Einzelfall sehr gut abgewogen werden müssen.- Welche Möglichkeiten sind dies?Dazu gehören unter anderem die Reduzierung der Brokerliste, die Eingrenzung der CCPs oder gezielte Auswahl von CCPs, die bereit sind, Sicherheitendepots direkt bei den Verwahrstellen der KAGen zu eröffnen. So können Gebühren des Zentralverwahrers für die Umbuchung von Sicherheiten vermieden werden. Außerdem können swapbasierte Produkte wie zum Beispiel synthetische ETF auf physische Unterlegung umgestellt werden.- Werden die Beziehungen zwischen Asset Managern und den Verwahrern tangiert?Ja, eindeutig. Die Kontrollpflichten der Verwahrstellen werden deutlich erweitert. Das Spektrum reicht von der Anrechnung der Sicherheiten bei den Anlagegrenzen über die Plausibilisierung der Sicherheitsleistungszahlungen, die Überwachung der Corporate Actions, Kontrolle der Zinsabrechnung aus gestellten und erhaltenen Cash-Sicherheiten bis hin zur Abstimmung der Sicherheitenbestände mit dem Collateral Manager, Clearing Broker und CCP. Zudem müssen Sicherheiten segregiert pro Kontrahent verwahrt werden, was eine große Herausforderung für die Verwahrer darstellt. Last but not least: Die Verwahrstelle muss eine schnelle Instruktion des Zentralverwahrers (CSD) zu Lieferung, Empfang und Austausch von Sicherheiten sicherstellen. Dies stellt augenblicklich ein großes Problem für viele Marktteilnehmer dar, da sie abgesehen von Cash nicht in der Lage sind, untertägig Sicherheiten zu liefern. Manche Clearing Broker springen derzeit in diese Lücke und bieten als Serviceangebot an, hier in Vorleistung zu treten, was jedoch wieder neue Kosten verursacht.- Und was wird sich im Verhältnis zu den Brokern ändern?Sowohl Asset Manager also auch Broker müssen in Zukunft sehr viel sorgfältiger auswählen, mit wem sie noch zusammenarbeiten wollen und können. Für die Clearing Broker ist das Client Clearing alles andere als risikofrei, zudem sehr kapitalintensiv und bindet beim Onboarding des Kunden viele Ressourcen.- Wie reagieren die Broker darauf?Sie suchen daher gezielt nach Chancen, gleichzeitig eine Vielzahl von Services zu platzieren – in manchen Fällen von der Execution über Client Clearing bis zu Collateral Management, Liquiditätsmanagement und Verwahrung. Die Asset Manager wiederum müssen sich aufgrund der gestiegenen Komplexität im OTC-Derivategeschäft widerwillig davon verabschieden, mit einer sehr großen Anzahl von Brokern flexibel Geschäfte machen zu können. In ihrer Broker-Auswahl werden auch ganz neue Kriterien Einzug halten: Akzeptiert mein Partner meine Sicherheitenmatrix, kann er mir bei der Execution schon die nachgelagerten Clearing-Kosten nennen, und wie gut unterstützt er mich beim Aufsetzen der benötigten Schnittstellen? Die Beziehung zwischen Brokern und Asset Managern wird also sehr viel komplexer.- Profitieren die Asset Manager nicht eventuell auch von Emir? Bekommen sie etwa einen größeren Einfluss auf das Derivategeschäft?Grundsätzlich werden durch die Clearing-Pflicht die Preise für standardisierte OTC-Derivate transparenter, und damit kommen ceteris paribus auch die Margen der Sell-Side unter Druck. Dadurch gewinnt der Markt für die Buy-Side durchaus an Attraktivität. Es werden sich zugleich börsengehandelte Derivate herausbilden, die entsprechende OTC-Produkte ablösen. Dies dürfte jedoch noch einige Zeit auf sich warten lassen und teilweise noch von der Umsetzung weiterer EU-Verordnungen (Mifir) abhängen. Kurzfristig wird sich gerade für kleinere Asset Manager die Frage nach dem Ausstieg aus dem OTC-Derivatemarkt und damit dem schwierigen Verzicht auf den Einsatz adäquater Risikoabsicherungsinstrumente stellen. Alternativ steigen bei kleinen Asset Managern die Kosten durch Mindestgebühren beim Einsatz neuer Dienstleister sehr stark an, was entweder für ihre eigene Profitabilität oder die des Fonds sehr nachteilig sein kann.- Ist die deutsche Asset-Management-Branche auf Emir beziehungsweise das US-Pendant Dodd-Frank schlechter oder besser vorbereitet als die europäischen oder internationalen Wettbewerber?Generell ist die deutsche Asset-Management-Branche im europäischen Vergleich in vielerlei Hinsicht Vorreiter in der Vorbereitung auf Emir. Viele Projekte sind hier schon weit vor Veröffentlichung der finalen Regulierungstexte in die Umsetzung gestartet und haben deshalb heute einen guten Stand erreicht. Im Vergleich zu den USA ist die deutsche und europäische Asset-Management-Branche aber immer noch sehr stark fragmentiert, das heißt, den Anbietern fehlt vielfach die kritische Masse (hier an OTC-Derivate-Volumen). Sie werden daher viel häufiger entweder keinen Dienstleister finden oder mit hohen Minimum-Fees zu kämpfen haben.- Inwieweit unterscheiden sich die Derivatebestimmungen Emir und- Dodd-Frank?- Welche ist einschneidender für die Asset-Management-Branche?Der größte Unterschied in der OTC-Derivateregulierung zwischen den USA und Europa ist derzeit der Anwendungsbereich: Die USA haben die Devisentermingeschäfte ausgeschlossen, was den Aufwand erheblich reduziert. Es wird aber derzeit noch nicht ernsthaft diskutiert, dass Europa diesem Beispiel folgt, was einen erheblichen Wettbewerbsnachteil für europäische Anbieter darstellen würde.—-Das Interview führte Silke Stoltenberg.