Neue EU-Regeln für mehr Transparenz
Gemessen am Gesamtvolumen ausstehender Anleihen weltweit ist das Emissionsvolumen von nachhaltigen Kapitalanlagen noch verschwindend gering. Das Volumen steigt aber seit einigen Jahren stark und stetig an und wird für Green Bonds im Jahr 2020 von der Climate Bond Initiative (CBI) auf 350 Mrd. Dollar geschätzt (Vorjahr 265 Mrd. Dollar). Europäische Emittenten spielen mit einem Anteil von über 40 % an den global ausstehenden Green Bonds eine führende Rolle. Um die Nachfrage von Investoren und die Akzeptanz bei Emittenten zu erhöhen, ist der Markt auf eine hohe Standardisierung angewiesen.Bisher haben internationale Branchenverbände wie die CBI und die International Capital Markets Association (ICMA) unterschiedliche, rechtlich unverbindliche Standards für die Gestaltung von ESG-Anleihen (Environment Social Governance) wie Green, Social und Sustainable Bonds sowie Sustainability-Linked Bonds gesetzt. Jetzt sollen neue EU-Regeln einen transparenten und einheitlichen Rechtsrahmen etablieren. Die Regulierung der Europäischen Union (EU) verfolgt einen doppelten Ansatz: Der Markt für nachhaltige Kapitalanlagen soll sowohl durch mehr Transparenz beim Vertrieb als auch durch die Bereitstellung von trennscharfen Produktstandards weiter belebt werden. Vertrieb im FokusBeim Vertrieb werden ab 10. März 2021 nicht nur Anlage- und Versicherungsberater, sondern auch Banken und Wertpapierfirmen, die Portfolioverwaltung erbringen, sowie Verwalter von Investmentfonds, Versicherungsunternehmen und andere Anbieter von Anlageprodukten durch eine EU-Verordnung über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten (SFDR) in die Pflicht genommen. Sie sollen Anleger über sogenannte Nachhaltigkeitsrisiken aufklären, die sich für den Wert eines Finanzprodukts gerade daraus ergeben können, dass damit ein ökologisches oder soziales Ziel gefördert werden soll. Nicht ganz folgerichtig ist allerdings, dass dies zwar für Fonds, Altersvorsorge- und Versicherungsanlageprodukte gelten soll, nicht aber für Anleihen wie beispielsweise Green Bonds.Ob künftig im Massengeschäft mit der Nachhaltigkeit von Finanzprodukten geworben wird, dürfte von der Handhabbarkeit der noch zu entwickelnden technischen Regulierungsstandards (RTS) zur Umsetzung der Verordnung abhängen. Die zusätzlich darin vorgesehenen unternehmensbezogenen Offenlegungspflichten und Vorgaben zur allgemeinen Information des Publikums über die Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken bei Beratung beziehungsweise Auflage von Finanzprodukten werden vermutlich mehr Aufwand als Nutzen schaffen. Green-Bond-StandardBei den Regeln zur Gestaltung nachhaltiger Finanzinstrumente steht ein neuer EU-eigener Green-Bond-Standard im Vordergrund. Der finale Regelungsvorschlag der Europäischen Kommission ist zwar erst für das zweite Quartal 2021 angekündigt, aber seine Umrisse sind bereits aus den Vorarbeiten der Technical Expert Group erkennbar: Es soll – als freiwilliges Angebot an den Kapitalmarkt – ein Gütesiegel bereitgestellt werden, dessen Merkmale sich an bestehenden Industriestandards der CBI und der ICMA für Green Bonds orientieren. Dabei geht es um Anleihen, bei denen die Mittelverwendung (Use of Proceeds) auf umweltrelevante Investitionen ausgerichtet ist. Das setzt voraus, dass mit den Anleiheerlösen eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeit im Sinne der neuen EU-Taxonomie finanziert wird. Der Emittent muss dafür ein Strategiekonzept (Green Bond Framework) vorlegen, das einen transparenten Prozess zur Auswahl, Bewertung und Überwachung von geeigneten Projekten definiert.Zudem muss der Emittent mindestens jährlich über die Mittelverwendung berichten (Allocation Report) und mindestens einmal während der Laufzeit der Anleihe die Umweltauswirkungen der finanzierten Investition offenlegen (Impact Report). Schließlich ist für eine externe Prüfung der Strategie sowie die Überprüfung der Umsetzung durch einen unabhängigen Prüfer zu sorgen, deren Ergebnisse auch zu veröffentlichen sind. Die Prüfer sollen nach einer Anlaufphase von der European Securities and Markets Authority (ESMA) zertifiziert und überwacht werden.Marktbeobachter wie die Europäische Zentralbank (EZB) erwarten, dass ein kohärenter Marktstandard für Green Bonds auch eine konsistente Preisentwicklung auf den Sekundärmärkten für grüne Anleihen (“Greenium”) fördern wird, die derzeit noch nicht festzustellen ist. Dem dient auch die erhöhte Transparenz im Rahmen der nichtfinanziellen Publizität von Unternehmen in Bezug auf ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten, die ab 2022 schrittweise eingeführt wird. Neue TaxonomieDas Herzstück der EU-Regeln ist eine eigene Taxonomie, die ein Bindeglied zwischen allen Vorgaben für den Vertrieb und in der Produktgestaltung darstellt. Es geht um die verbindliche Festlegung von Begriffen wie Klimaschutz, Energieeffizienz, Verschmutzung, Kreislaufwirtschaft, Ökosystem, Schadstoffe und vieles mehr. Denn derzeit sind die in den Anleihebedingungen von Green Bonds verwendeten Parameter nicht vergleichbar und aufgrund ganz unterschiedlicher Begrifflichkeiten für Investoren weitgehend intransparent.Nach den neuen Definitionen muss ein ökologisch nachhaltiges Projekt (Green Project) einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung von Umweltzielen wie dem Klimaschutz, der Anpassung an den Klimawandel (Transition), dem Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, dem Übergang zur Kreislaufwirtschaft oder der Biodiversität leisten und darf nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines oder mehrerer anderer Umweltziele führen. Auch hier steckt der Teufel in den Details, die in technischen Regulierungsstandards festzulegen sein werden. Zum Beispiel wird man dann zu klären haben, ob Klimaschutz mit Kernenergie vereinbar ist. Viele AuslegungsfragenZudem wird ein Green Project nur den Anforderungen der Taxonomie genügen, wenn der Emittent Mindeststandards der Wirtschaftstätigkeit und Arbeitnehmerrechte der Vereinten Nationen, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, der IAO und der Menschenrechtscharta erfüllt. Auch hier werden sich viele Auslegungsfragen stellen. Es wird darauf ankommen, dass die zuständigen nationalen Behörden die Einhaltung der Voraussetzungen überwachen und bestätigen. Für die Überwachung der Erfüllung des Green-Bond-Standards wäre es sachgerecht, wenn die Behörde des Landes dafür zuständig ist, die den Prospekt gebilligt hat oder in dem die Börse ansässig ist, an der der betreffende Bond zum Handel eingeführt wird. Sustainability-Linked BondsDie neue Taxonomie wird auch Einfluss auf sogenannte Sustainability-Linked Bonds (SLB) haben. Dies sind Anleihen, bei denen die Emissionserlöse nicht für ökologisch nachhaltige Investitionen verwendet werden, sondern bei denen die Höhe des Zinses oder andere kommerzielle Bestimmungen in den Anleihebedingungen von der Erreichung vereinbarter Nachhaltigkeitsziele abhängen. Nach den Leitlinien der ICMA hat der Emittent in den Anleihebedingungen messbare Parameter (KPIs) und entsprechende Zielmarken oder -korridore (Sustainability Performance Targets) festzulegen. Solche Anleihen wurden kürzlich von Novartis, Enel, Chanel und Lafarge-Holcim emittiert, um den Absatz innovativer Medikationen in Entwicklungs- und Schwellenländern, die umweltschonende Stromerzeugung, die Nutzung von erneuerbaren Energiequellen oder die Senkung von CO2-Emissionen zu fördern. Kaum vergleichbarAuch hier werden derzeit ganz unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet, die für Anleger kaum vergleichbar sind. Bei der Operationalisierung der Begriffe in der Taxonomie-Verordnung müssen sich die Level-2-Standardsetzer ihrer Verantwortung bewusst sein und im Dialog mit den Marktteilnehmern den Erwartungen von Anlegern und Emittenten Rechnung tragen. Denn wenn die Nachfrage bei Investoren nach nachhaltigen Finanzanlagen in den nächsten Jahren steigt und die Liquidität und der Handel an traditionellen Börsen und Plattformen sowie sogenannten Green Exchanges zunimmt, dürften künftig auch Marktteilnehmer in Drittstaaten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums an einer weiter ausgefeilten und vom europäischen Markt akzeptierten EU-Taxonomie nicht vorbeikommen. Dr. Dirk Bliesener, Partner von Hengeler Mueller in Frankfurt