Recht und Kapitalmarkt

Neue EU-Vorgaben bremsen Darlehensvergabe

Veränderte Auslegung der Kreditnehmereinheit stellt erhebliche organisatorische Herausforderungen an Banken

Neue EU-Vorgaben bremsen Darlehensvergabe

Von Gunnar Schuster und Klaus Lackhoff *)Um Klumpenrisiken zu vermeiden, dürfen Banken nach dem Kreditwesengesetz (KWG) schon seit langem an einen Kreditnehmer keine Kredite vergeben, die bestimmte Größenschwellen (Großkreditgrenzen) überschreiten. Mehrere, an verschiedene Kreditnehmer gewährte Kredite werden unter bestimmten Voraussetzungen wie ein Kredit an einen einzigen Kreditnehmer behandelt (sog. Kreditnehmereinheiten).Je eher dies der Fall ist, desto eher sind die von den Eigenmittelpositionen der Bank abhängenden Großkreditgrenzen ausgeschöpft. Bislang bilden zwei oder mehr Personen eine Kreditnehmereinheit, wenn eine von ihnen die anderen unmittelbar oder mittelbar beherrscht oder wenn es wegen zwischen ihnen bestehender Abhängigkeiten wahrscheinlich ist, dass finanzielle Schwierigkeiten eines Kreditnehmers beide in finanzielle Schwierigkeiten bringen (wirtschaftliche Abhängigkeit).Wenn Kreditnehmer zu einem Konzern gehören oder ein Kreditnehmer an dem anderen mehrheitlich beteiligt ist, liegt derzeit stets eine “Kreditnehmereinheit” vor. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) nimmt eine wirtschaftliche Abhängigkeit bislang nur bei einer wechselseitigen Abhängigkeit an. Danach bilden zum Beispiel ein Zulieferer und sein einziger Abnehmer in der Regel keine Kreditnehmereinheit. Nach der bis zum 31. Oktober 2010 umzusetzenden Ergänzung der europäischen Bankenrichtlinie sind künftig auch Unternehmen zu einer Einheit zusammenzufassen, die von einer Refinanzierungsquelle abhängen. Dies dient in Aufarbeitung der Finanzmarktkrise dazu, Zweckgesellschaften zusammenzufassen, die im Rahmen einer einheitlichen Struktur Vermögensgegenstände ankaufen, sich alle durch die Begebung von Wertpapieren am Kapitalmarkt refinanzieren und dazu von einem Kreditinstitut Kreditlinien eingeräumt bekommen haben.Ob jenseits dieses Beispielfalls weitere Fälle erfasst werden sollen, ist noch unklar. So stellt sich bei der Finanzierung von Objektgesellschaften im Rahmen von Asset-Finanzierungen die Frage, ob mehrere solche Gesellschaften zusammenzufassen sind, wenn sie von demselben Institut finanziert werden. Nach der im deutschen Diskussionsentwurf zur Umsetzung der Richtlinienvorgaben vorgesehenen Neuregelung der Kreditnehmereinheit wäre das in der Regel nicht der Fall. Der Entwurf stellt darauf ab, ob finanzielle Schwierigkeiten – insbesondere Refinanzierungsschwierigkeiten – eines Kunden zu entsprechenden Schwierigkeiten des anderen Kunden führen. Da die Objektgesellschaften jeweils von der unterschiedlichen Bonität ihrer Mieter bzw. Leasingnehmer abhängen, besteht eine solche Abhängigkeit nicht. Sollten diese allerdings identisch sein, wären die Kredite, wie schon in der Vergangenheit, zusammenzufassen. NeuinterpretationNeben der Erweiterung des Kreditnehmerbegriffs durch die Änderung der Bankenrichtlinie steht allerdings infolge einer Neuinterpretation des alten Richtlinientextes eine noch viel weiter gehende Ausdehnung der Kreditnehmereinheiten an. Nach der Auffassung des Committee of European Banking Supervisors (CEBS) soll eine Kreditnehmereinheit schon bei einseitigen Abhängigkeiten von Kreditnehmern bestehen. Als Beispiele benennt das CEBS u. a. den Produzenten eines Produkts und dessen einzigen bzw. mehrere nicht leicht substituierbare Abnehmer sowie den Eigentümer eines Gebäudes und dessen Hauptmieter. Allerdings sollen Risiken, die sich daraus ergeben, dass Kreditnehmer in derselben Branche oder Region tätig sind, allein nicht zur Bildung einer Kreditnehmereinheit führen. Der Diskussionsentwurf folgt dieser Linie.Eine solche Erweiterung der Kreditnehmereinheiten auf einseitige Abhängigkeiten könnte insbesondere bei mittelständischen Zulieferern von Großunternehmen zu Problemen bei der Kreditaufnahme führen. Werden für Zwecke der Großkreditgrenzen die Kredite des Lieferanten und des Großunternehmens zusammengerechnet, sind die Großkreditgrenzen – insbesondere bei den kleineren Sparkassen und Genossenschaftsbanken – schneller ausgeschöpft, und aus Sicht der Bank stehen der Kredit an das Großunternehmen und den Lieferanten im “Substituierungswettbewerb”.Verschärft würde die Problematik, wenn die aufgrund einseitiger Abhängigkeit gebildeten Kreditnehmereinheiten auch zur Bildung von Kreditnehmerketten (sog. Kumulation) führten. Ist zum Beispiel ein Lieferant von zwei Großabnehmern jeweils so abhängig, dass er den Ausfall eines Großabnehmers nicht überstehen könnte, wäre er mit beiden Großabnehmern zu einer Kreditnehmereinheit zusammenzufassen. Die Bank müsste also bei einem Kredit an den Lieferanten die an die Großabnehmer gegebenen Kredite in die Auslastung der Großkreditgrenze einrechnen. So weit, so gut. Würden aufgrund dieses Umstandes die beiden Großabnehmer nun ihrerseits mit dem Lieferanten zu einer Kreditnehmereinheit zusammengefasst, könnte dies den Banken und dem Lieferanten weitere Schwierigkeiten bereiten. Sie hätten dann ein Interesse daran, den “verbindenden Kredit” zu beenden.Die Position des CEBS zu dieser Frage ist unklar. Der deutsche Gesetzgeber sieht im Diskussionsentwurf in diesen Fällen keine Kumulation vor. Dies erscheint sachgerecht: Eine Zusammenfassung aller drei Kreditnehmer wäre der Risikosituation unangemessen. Ein Großabnehmer ist nicht alleine dadurch vom anderen abhängig, dass beide ein und denselben Lieferanten haben, der jeweils von ihnen beiden abhängig ist, ohne dass sie ihrerseits von dem Lieferanten abhängen. Für die Banken hat dies allerdings “asymmetrische Kreditnehmereinheiten” zur Konsequenz, die vom jeweiligen Kreditnehmer abhängen. Weiche FaktorenAn die Banken stellt diese neue Auslegung der Kreditnehmereinheit erhebliche organisatorische Herausforderungen. Eine Vielzahl von weichen Faktoren ist zu erfassen und zu bewerten, um eine solche einseitige Abhängigkeit zu beurteilen. Der damit verbundene, tendenziell zur Kreditverteuerung führende Effekt wird nur bedingt dadurch gemildert, dass eine entsprechende Beurteilung laut CEBS bei solchen Krediten zwingend vorgesehen werden soll, die 1 % oder mehr der Eigenmittel ausmachen. Nicht geklärt ist auch, wie sich Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse auf die Bildung von Kreditnehmereinheiten auswirken. Bilden zum Beispiel ein Grundstückseigentümer und sein Hauptmieter zunächst keine Kreditnehmereinheit, weil der Mieter leicht ersetzt werden kann, stellt sich die Frage, wie die Beurteilung ausfällt, wenn sich das Umfeld des Gebäudes nachteilig verändert und infolgedessen ein neuer Mieter nur schwierig zu finden ist.Ein anderes Beispiel ist eine sich entwickelnde engere Verbindung zwischen einem Lieferanten und einem Abnehmer. Will etwa ein Lieferant seine Beziehung zu einem Abnehmer (zum Beispiel durch Abschluss eines langfristigen Großauftrags) intensivieren, müsste er mit den ihn finanzierenden Banken abklären, ob aus deren Sicht eine einseitige Abhängigkeit gegeben ist. Er dürfte nicht das Risiko eingehen, dass ein Institut eine solche Abhängigkeit annimmt und infolgedessen sein Engagement reduzieren will, um die Großkreditgrenzen einzuhalten.Um nachteilige aufsichtsrechtliche Folgen zu vermeiden, werden Banken sich in ihren Kreditverträgen für den Fall, dass Kreditnehmereinheiten neu entstehen und dadurch Großkreditgrenzen überschritten werden, ein Kündigungsrecht vorbehalten. Jenseits von Fragen der zivilrechtlichen Wirksamkeit entsprechender Klauseln wird eine solche Kündigungsmöglichkeit das Vertrauen in die Hausbank unterminieren. Die Auswirkungen der Neuerungen – insbesondere die Bildung von Kreditnehmereinheiten im Falle einseitiger Abhängigkeit – stellen die Praxis vor gravierende Probleme. Sind die geplanten Änderungen nicht abzuwenden, müsste es zumindest Übergangsregelungen geben. Ansonsten wird das vor allem für den Mittelstand so wichtige “Hausbankprinzip” weiter geschwächt, weil die Hausbank – selbst bei guter Bonität des Kunden – nicht mehr mit Kredit zur Verfügung stehen kann.—-*) Dr. Gunnar Schuster ist Partner, Dr. Klaus Lackhoff ist Counsel im Frankfurter Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer.