Recht und Kapitalmarkt

Neue europäische Aktionärsdemokratie lässt Fragen offen

Intensivere Beteiligung der Anteilseigner an der Hauptversammlung - "Kleine Revolution" bei der Erweiterung des Auskunftsrechts

Neue europäische Aktionärsdemokratie lässt Fragen offen

Von Kai Mertens *) Die EU-Kommission schlägt die Verabschiedung einer Richtlinie vor, nach der die Ausübung von Aktionärsrechten in der Hauptversammlung erleichtert werden soll, insbesondere für ausländische Aktionäre. Der Vorschlag ist Teil der Bemühungen der Kommission, das europäische Gesellschaftsrecht zu harmonisieren. Für die Umsetzung des Vorschlags in nationales Recht ist der 31. Dezember 2007 avisiert. Die Regelungen über die Ausübung von Aktionärsrechten in den einzelnen EU-Staaten bewegen sich heute auf uneinheitlichem Niveau. Für eine Harmonisierung der Rechtslage besteht daher praktischer Bedarf. Etwa ein Drittel des Aktienkapitals börsennotierter Gesellschaften in der EU wird von Gebietsfremden gehalten. Die Rechte der Aktionäre deutscher börsennotierter Aktiengesellschaften sind im europäischen Vergleich allerdings bereits in hohem Maße geschützt, da das deutsche Aktien- und Kapitalmarktrecht in den vergangenen Jahren mehrfach im Sinne der Bedürfnisse der Anleger und des Kapitalmarkts angepasst worden ist. Der Vorschlag der EU-Kommission spricht viele Themen an, die in Deutschland schon grundsätzlich im Sinne der Richtlinie geregelt sind. So sieht er zum Beispiel vor, dass Aktionäre zur Ergänzung der Tagesordnung und zur Einbringung eigener Beschlussvorlagen berechtigt sein müssen, wenn sie zusammen 5 % des Aktienkapitals oder eine Beteiligung von 19 Mill. Euro erreichen, je nachdem, welcher Wert niedriger liegt. Auch nach derzeitigem deutschem Recht sind 5 % erforderlich, die Mindestbeteiligung liegt aber nur bei 500 000 Euro.Die Umsetzung der Richtlinie wird dennoch zu wesentlichen Änderungen führen. Bedeutsam für die Praxis in Deutschland sind vor allem: die stark erweiterte Nutzbarkeit der elektronischen Medien und die stärkere Beteiligung der Aktionäre im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung. Sogar eine kleine Revolution könnte ausgelöst werden, nämlich dann, wenn die in der Richtlinie vorgesehenen erweiterten Auskunftsrechte der Aktionäre uneingeschränkt Wirklichkeit werden sollten. Wege zur HVAktionäre deutscher Aktiengesellschaften können bis jetzt nur passiv, das heißt ohne Ausübung des Stimmrechts, an einer in Bild und Ton übertragenen Hauptversammlung (HV) teilnehmen, wenn die Satzung oder die Geschäftsordnung der Gesellschaft das zulässt. Nach den Vorstellungen der Kommission sollen die elektronischen Medien hingegen grundsätzlich zur Ausübung des Frage- und des Teilnahmerechts an der HV genutzt werden können. Nur zur Feststellung der Identität des Aktionärs oder zur Gewährleistung der Sicherheit der elektronischen Kommunikationsmittel können einschränkende Vorschriften erlassen werden. Von einer definitiven Verpflichtung, den Aktionären die Beteiligung auf elektronischem Wege zu gewähren, sieht der Vorschlag zwar ab. Doch muss dies Gesellschaften, welche die Teilnahme an der HV auf elektronischem Wege ermöglichen wollen, mit der Umsetzung der Richtlinie gestattet werden. Die Aktionäre sollen weiterhin – ohne dass dies zur Disposition der Gesellschaften steht – ihre Stimmabgabe unmittelbar per Post vornehmen können. Das ist rechtlich zwar in Deutschland ein Prinzipienbruch, da hier die Versammlung immer noch im Grundsatz als eine physische Zusammenkunft betrachtet wird. Das neue “Postwahlrecht” dürfte aber letztlich kaum große Veränderungen nach sich ziehen, sondern im Ergebnis nur die jetzige Praxis der schriftlichen Anweisung und Bevollmächtigung von Stimmrechtsvertretern ersetzen bzw. ergänzen. Allerdings kann nach derzeitigem deutschen Recht eine solche Vollmacht nur schriftlich oder unter Verwendung einer besonderen elektronischen Signatur elektronisch erteilt werden – üblich ist aber nach wie vor die normale Schriftform. Hier geht der Richtlinienentwurf weiter; er hält das Erfordernis der elektronischen Signatur für übertrieben und will eine erleichterte Erteilung der Stimmrechtsvollmacht auf elektronischem Wege erzwingen. Wesentlich weitreichender sind demgegenüber die beabsichtigten Erweiterungen des Auskunftsrechts der Aktionäre. In Deutschland müssen Aktiengesellschaften Fragen gegenwärtig nur beantworten, wenn sie in der Hauptversammlung selbst gestellt werden. In der HV kann und muss jedoch schon aus praktischen Gründen das Frage- und Rederecht häufig zeitlich beschränkt werden, was die Fragen der Aktionäre und Antworten der Gesellschaft auf ein gewisses Maß reduziert. Die EU-Kommission möchte nun sicherstellen, dass Aktionäre ihr Fragerecht auch vor der HV in schriftlicher oder elektronischer Form ausüben können. Dieser Ansatz scheint auf den ersten Blick naheliegend: Warum sollten die Aktionäre nicht jederzeit Auskunft über die Belange ihres Unternehmens verlangen können? Stärkt das nicht die vielbeschworene Aktionärsdemokratie?Der Richtlinienvorschlag spezifiziert das neue Auskunftsrecht der Aktionäre jedoch kaum. Die Fragen der Aktionäre sollen – so heißt es – als beantwortet gelten, wenn die entsprechenden Informationen auf der Website der Aktiengesellschaft als “häufig gestellte Fragen” beantwortet sind. Alle Antworten sind auf den Internetseiten für alle Aktionäre zu veröffentlichen. Dabei darf sichergestellt werden, dass die Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung ordnungsgemäß erfolgt und dass die Vertraulichkeitsinteressen der Gesellschaft gewahrt sind. Kein Wort aber zum Beispiel zu der Frage, wie groß der Zeitraum vor der Hauptversammlung sein soll, in dem die Fragen gestellt werden dürfen. Ebenfalls ist noch völlig unklar, welche Grenzen des vor der Hauptversammlung ausgeübten Fragerechts aus dem Erfordernis eines ordnungsgemäßen Ablaufs abgeleitet werden können. Und der Entwurf schweigt an weiteren entscheidenden Stellen: Wann müssen die vor der Hauptversammlung gestellten Fragen spätestens beantwortet werden? Müssen die Fragen, wie heute in Deutschland, einen klaren Bezug zu den Tagesordnungspunkten haben? Und welche Auswirkungen haben falsch oder unvollständig beantwortete Fragen? Gerade im Hinblick auf die in Deutschland vorhandenen Rechte zur Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen sind solche Fragen von entscheidender Bedeutung. Es wird einen großen Unterschied machen, ob zum Beispiel nur die in der Hauptversammlung selbst gestellten Fragen und Antworten Relevanz für eine auf eine Fehlinformation gestützte Anfechtungsklage haben oder ob die Richtigkeit aller auf der “Aktionärswebsite” veröffentlichten Antworten maßgeblich ist. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass sich die Anzahl der im Hinblick auf die HV zu beantwortenden Fragen vervielfachen wird. Das gilt dann im gleichen Maße für Irrtümer oder Fehler, die bei ihrer Beantwortung auftreten können. Ob dadurch wirklich ein informatorischer Mehrwert erzielt wird, bleibt fraglich. In einer Frage-Antwort-Darstellung eine große Menge an Informationen übersichtlich und klar darzustellen ist keine einfache Aufgabe. Präzisierung nötigEs bleibt zu hoffen, dass die EU-Kommission bereit ist, klare und zweckmäßige Präzisierungen des Auskunftsrechts zu erlauben, damit das Fragerecht handhabbar, die Informationen klar und die Anfechtungsrisiken überschaubar bleiben. Denkbar wäre im Hinblick auf das Anfechtungsrecht, dass Aktionäre, die mit der Antwort auf ihre Frage unzufrieden sind, diese in der HV erneut stellen müssen, bevor sie die Anfechtung eines Beschlusses auf eine falsche oder unvollständige Antwort stützen können.Sollte der Vorschlag der Kommission wie geplant umgesetzt werden, wird er die Praxis deutscher Hauptversammlungen verändern. Die Auswirkungen werden zwar weniger tiefgreifend sein als in einigen anderen EU-Ländern. Insbesondere die sinnvolle Regelung der erweiterten Auskunftsrechte und ihre Auswirkungen auf die Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen dürfte aber noch für erhebliche Diskussionen sorgen. *) Dr. Kai Mertens ist Rechtsanwalt und Partner im Berliner Büro der Sozietät Hammonds.