Recht und Kapitalmarkt

Neue Optionen bei feindlichen Übernahmeversuchen

Umsetzung der Übernahmerichtlinie eröffnet Wahlmöglichkeiten für Emittenten

Neue Optionen bei feindlichen Übernahmeversuchen

Von Andreas Austmann *) Ende Mai dieses Jahres muss die europäische Übernahmerichtlinie in deutsches Recht umgesetzt sein. Der Gesetzgeber wird es nicht ganz schaffen, aber fast: Seit Mitte Februar dieses Jahres liegt der Regierungsentwurf für das deutsche Umsetzungsgesetz vor, und das Gesetz soll nach zügiger Behandlung in den parlamentarischen Gremien am 1. Juli in Kraft treten. Der deutsche Gesetzgeber beschränkt sich bewusst darauf, das erst wenige Jahre alte Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz nur so weit zu ändern wie absolut notwendig, um die EU-Vorgaben zu erfüllen. Es gibt also keine Gesamtrevision, auch die rechtspolitischen Grundsätze des geltenden deutschen Übernahmerechts werden nicht in Frage gestellt. Deshalb wird die anstehende Reform von vielen als unspektakulär angesehen. Sie ist es aber nicht, weil sie den Emittenten Optionen an die Hand gibt, mit denen sie ihren Auftritt am Kapitalmarkt wesentlich gestalten können. Kein NeutralitätsgebotDiese Optionen finden sich bei dem stets brisanten Thema der Abwehr feindlicher Übernahmeversuche. Nach geltendem deutschen Recht unterliegt der Vorstand der Zielgesellschaft keinem strikten Neutralitätsgebot. Er darf bereits aus eigener Kompetenz Maßnahmen ergreifen, durch die der Erfolg des Angebots verhindert werden könnte. Voraussetzung dafür ist lediglich, dass diese Maßnahmen auch ein Vorstand ergriffen hätte, dessen Gesellschaft nicht Ziel eines Übernahmeangebots ist. Dadurch erhält der Vorstand der Zielgesellschaft weitgehende Handlungsfreiheit, die deutlich über die Fortführung der gewöhnlichen Geschäfte und die Durchführung bereits vor dem Übernahmeangebot geplanter Maßnahmen hinausgeht. Ferner darf der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats jedwede sonstige Abwehrmaßnahme ins Werk setzen, die nicht durch allgemeines Aktienrecht verboten ist. Vorstand und Aufsichtsrat sind also gemeinsam grundsätzlich voll handlungsfähig. Außer für Maßnahmen, die ohnehin in die Kompetenz der Hauptversammlung fallen, wie etwa Kapitalerhöhungen, brauchen sie die Aktionäre bei der Abwehr eines feindlichen Übernahmeversuchs nicht um Erlaubnis zu fragen. Deshalb ist die Ermächtigung zur Abwehr feindlicher Übernahmeangebote, die von der Hauptversammlung für 18 Monate erteilt werden kann, praktisch ohne Belang; von ihr hat in den vier Jahren seit Bestehen des deutschen Übernahmegesetzes auch keine einzige Gesellschaft Gebrauch gemacht. Der Gesetzgeber lässt diese abwehrfreundliche Rechtslage bestehen und macht damit von der Möglichkeit der Übernahmerichtlinie Gebrauch, das europäische Neutralitätsgebot nicht umzusetzen (so genanntes “opt-out”). Dafür erhalten die Emittenten die Gelegenheit, sich durch Satzungsregelung dem europäischen Neutralitätsgebot zu unterwerfen (“opt-in”), um sich auf diese Weise für das Anlegerpublikum interessanter zu machen, das auf Übernahmen und die damit einhergehenden Kurssteigerungen spekuliert. Gesellschaften, die diesen Weg gehen, dürfen Maßnahmen, durch die der Erfolg eines Übernahmeangebots verhindert wird, nur noch ergreifen, wenn die Hauptversammlung dazu nach Bekanntgabe des Übernahmeangebots ermächtigt hat oder wenn die Maßnahmen zum normalen Geschäftsbetrieb gehören oder bereits vor Bekanntgabe des Übernahmeangebots geplant und teilweise umgesetzt wurden. Außerdem bleibt natürlich die Suche nach einem “weißen Ritter” erlaubt.Darüber hinaus können Emittenten, um ihre Anlegerfreundlichkeit weiter zu unterstreichen, die so genannte europäische Durchbrechungsregel in der Satzung verankern. Dann verlieren während des Übernahmeangebots satzungsmäßige oder vertragliche Übertragungsbeschränkungen von Aktien, Stimmrechtsbeschränkungen und Stimmbindungsverträge ihre Wirkung; Mehrstimmrechtsaktien gewähren nur noch eine Stimme. Unter gewissen Voraussetzungen gilt dies auch in der ersten Hauptversammlung, die auf Verlangen des Bieters einberufen wird. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die neu erworbene Mehrheitsbeteiligung des Bieters sich auch in einer entsprechenden Stimmenmehrheit niederschlägt.Emittenten, die sich freiwillig dem europäischen Neutralitätsgebot unterwerfen oder die europäische Durchbrechungsregel anwenden, sollen daran aber nicht festgehalten werden, wenn sie von einem Bieter angegriffen werden, der diese Offenheit für sich selbst nicht gelten lassen will. Die Hauptversammlung eines Emittenten kann deshalb beschließen, dass das jeweilige Opt-in gegenüber solchen Bietern nicht gelten soll. Dieser Beschluss gilt für höchstens 18 Monate, so dass er, wenn die Gegenseitigkeit stets verbürgt sein soll, in jeder ordentlichen Hauptversammlung wiederholt werden muss. Hinter dieser Regelung steht der Gedanke, dass der Zielgesellschaft die Möglichkeit zum Gegenangriff auf den Bieter erhalten bleiben soll. Diese so genannte “Pac-Man”-Verteidigung ist allerdings in Deutschland bisher theoretisch geblieben und wird auch in höher entwickelten Kapitalmärkten, wie etwa den USA, praktisch nicht angewandt. Höhere TransparenzSowohl für den Bieter als auch für die Zielgesellschaft ist Transparenz in einer Übernahmesituation ein wichtiges Thema. Beide Beteiligten müssen sich zur Formulierung ihrer Strategie darüber klar werden, ob eine feindliche Übernahme erfolgreich sein kann. Dabei kommt es in erster Linie auf wirtschaftliche Parameter, wie insbesondere den Übernahmepreis, den “wahren” inneren Wert der Zielgesellschaft und mögliche Synergien an, daneben aber auch auf rechtliche Übernahmehürden. Wenn beide Beteiligten ihre Chancen und Risiken realistisch einschätzen, wird entweder der Bieter seine Übernahmeabsicht fallen lassen oder die feindliche wird zu einer freundlichen Übernahme. Diese wesentliche Weichenstellung kann nur gelingen, wenn auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Übernahme von beiden Beteiligten richtig bewertet werden. Um insoweit die Transparenz zu verbessern, müssen die Emittenten für die Geschäftsjahre ab dem 31. Dezember 2005 in ihrem jährlichen Lagebericht angeben, welche Übernahmehindernisse und Abwehrinstrumente bei ihrer Gesellschaft bestehen. Ob und in welchem Umfang ein Emittent vom Opt-in Gebrauch gemacht hat, ist seiner Satzung zu entnehmen, die für jeden beim Handelsregister einsehbar ist. Der Beschluss der Hauptversammlung, das Opt-in nur bei Gegenseitigkeit gelten zu lassen, muss den Börsenaufsichtsbehörden bekannt gegeben und kann dort von jedem abgefragt werden. Dem Vernehmen nach gibt es bei den ersten großen Dax-Unternehmen Überlegungen, den abwehrfreundlichen Boden des geltenden deutschen Übernahmegesetzes zu verlassen und das europäische Neutralitätsgebot und die europäische Durchbrechungsregel anzuwenden, allerdings mit dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit. Bei Emittenten ohne Mehrheitsgesellschafter oder institutionalisiertem Aktionärskreis könnte schon diese Maßnahme kurssteigernd wirken. Wenn die Kurssteigerungen signifikant sind, werden die Beispiele voraussichtlich Schule machen und den Druck auf die noch zögernden Emittenten erhöhen. Dabei wird man sicher auch die Entwicklung in den anderen europäischen Mitgliedstaaten im Auge behalten müssen. Man mag zwar das geltende deutsche Übernahmerecht als protektionistisch geißeln und den Emittenten Mut wünschen, bei der Markteröffnung voranzuschreiten. Es wäre aber naiv, dabei die sehr deutlich artikulierten Tendenzen zur Marktabschottung bei unseren europäischen Nachbarn (wie etwa in Spanien im Fall Endesa und in Frankreich im Fall Suez) außer Betracht zu lassen. Dennoch erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Minimalkonsens, der den Regelungen der Übernahmerichtlinie zugrunde liegt und den Mitgliedstaaten letztlich nur vorschreibt, den Emittenten Wahlmöglichkeiten zu eröffnen, bereits ausreicht, um weitere Freiheiten auf den europäischen Kapitalmärkten zu schaffen. *) Dr. Andreas Austmann, LL.M., ist Partner der Sozietät Hengeler Mueller in Düsseldorf.