Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Michael Schlitt

Neue rechtliche Rahmenbedingungen für Börsenkandidaten

Frühzeitige Abstimmung mit der BaFin angeraten

Neue rechtliche Rahmenbedingungen für Börsenkandidaten

Herr Dr. Schlitt, Sie beraten Investmentbanken wie Emittenten regelmäßig bei Börsengängen. Ist das neue Prospektrecht schon bei der Strukturierung einer Transaktion zu beachten? – Ja, schon in der Vorbereitungsphase sind die Auswirkungen auf den Zeitplan zu berücksichtigen. Für die Prospektbilligung stehen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bei einem Börsengang 20 Werktage zur Verfügung. In der Regel sollte man aber weitere zehn Werktage bis zum Erhalt der ersten Anmerkungen durch die BaFin einkalkulieren. Denn erst mit Einarbeitung aller von der BaFin zusätzlich angeforderten Informationen beginnt die Frist endgültig zu laufen. Hinzu kommt, dass die Anforderungen an den Inhalt der Prospekte tendenziell gestiegen sind. Damit entsteht zusätzlicher zeitlicher Aufwand bei der Prospekterstellung. – Welcher Punkt kann sich aus Ihrer Sicht bei einem Börsengang als am zeitkritischsten erweisen?Mitunter entsprechen die zu Beginn des Projekts beim Börsenkandidaten vorhandenen Finanzangaben nicht den Vorgaben des neuen Prospekt-rechts. Besonderen Augenmerks bedürfen dabei die “financials” von Emittenten mit komplexer Finanzhistorie, also solche Gesellschaften, die wesentliche gesellschaftsrechtliche Umstrukturierungen, wie etwa Verschmelzungen oder Ausgliederungen, oder Unternehmensakquisitionen hinter sich haben. Da die Erstellung von zusätzlichen Abschlüssen und ihre Prüfung durch Wirtschaftsprüfer regelmäßig großen Zeitaufwand bedeutet, ist früh zu klären, welcher Angaben es im Einzelfall bedarf. Dabei empfiehlt sich eine frühzeitige Abstimmung mit der BaFin. So können etwa noch nachzuholende “Hausaufgaben” gemeinsam besprochen und entsprechend im Zeitplan berücksichtigt werden. – Immer häufiger hört man das Stichwort “decoupled bookbuilding”. Was verbirgt sich in rechtlicher Hinsicht dahinter?Beim “decoupled bookbuilding” werden die Preisspanne und in der Regel auch die Angebotsfrist für das Bookbuilding erst einige Tage nach Veröffentlichung des Prospekts festgelegt. Dies hat den Vorteil, dass erste Reaktionen von Investoren auf den Prospektinhalt bei Ermittlung der “price range” einfließen können. Man verspricht sich von dieser Vorgehensweise ein besseres Pricing, insbesondere soll ein Herabsetzen der Preisspanne vermieden werden. Das “decoupled bookbuilding” muss bei der Erstellung des Prospekts berücksichtigt werden. Mit Festlegung der Preisspanne ist ein Nachtrag zu veröffentlichen. Erst dann beginnt das eigentliche Bookbuilding. – Bei Börsengängen werden gerne Zeitungsannoncen und Flyer zur Unterstützung der Vermarktung der Aktien eingesetzt. Bestehen hiergegen rechtliche Bedenken?Nein. Der Publicity anlässlich eines Börsengangs sind durch das neue Recht aber engere Grenzen gesetzt worden. Es gilt ein generelles Konsistenzgebot: Alle wesentlichen in den Werbematerialien getroffenen Aussagen müssen mit den Angaben im Prospekt übereinstimmen. Wie bisher ist zudem darauf zu achten, dass ein deutlich sichtbarer Hinweis auf den Prospekt und seine Erhältlichkeit aufgenommen wird. – Immer mehr Emittenten erwägen eine Erstnotierung im neuen Entry Standard. Wie ist dieser rechtlich einzuordnen? Gilt auch hier das neue Prospektrecht?Der Entry Standard ist als Teilbereich des Freiverkehrs (Open Market) rein privatrechtlich organisiert. Erhöhte Transparenzpflichten gegenüber dem Freiverkehr sollen den Emittenten mehr Aufmerksamkeit sichern. Bei einer reinen Einbeziehung besteht im Gegensatz zu einer Zulassung im Amtlichen oder Geregelten Markt keine Prospektpflicht. Bei der Ansprache eines breiten Investorenpublikums muss der Emittent jedoch einen Prospekt mit all dem zeitlichen und finanziellen Aufwand veröffentlichen. Für die Banken gilt beim Entry Standard die Besonderheit, dass sie die Verantwortung für die fortlaufende Einhaltung der Transparenzpflichten durch den Emittenten übernehmen müssen. Leider ist der Umfang der Pflichten der Banken in den Freiverkehrsrichtlinien nicht eindeutig umschrieben. – Wird in Zukunft der neu in Mode gekommene “transaction counsel”eine größere Rolle spielen?Den Banken ist aus Gründen der Prospekthaftung häufig daran gelegen, einen Anwalt ihrer Wahl an ihrer Seite zu haben. Soweit keine Konfliktsituation besteht, bestehen keine Bedenken dagegen, dass dieser für die Transaktion insgesamt eine steuernde Funktion auf der rechtlichen Seite übernimmt. Auf diese Weise kann der Prozess bisweilen verschlankt werden. Häufig wird der Emittent auf die Vorteile eines eigenen Beraters aber nicht verzichten wollen. Dr. Michael Schlitt ist Partner der Anwaltsgesellschaft Allen & Overy LLP.Die Fragen stellte Walther Becker.