RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: SACHA LÜRKEN

Neue Sanierungsverfahren zur Abwehr von Blockaden durch Gläubiger

Großbritannien und Niederlande suchen flexible Lösung für Restrukturierungen

Neue Sanierungsverfahren zur Abwehr von Blockaden durch Gläubiger

Herr Lürken, Großbritannien und die Niederlande haben Regierungsentwürfe zu außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahren vorgestellt. Was ist neu?Großbritannien plant mit der Corporate Insolvency and Governance Bill die Einführung eines weiteren Sanierungsverfahrens neben dem bestehenden Scheme of Arrangement speziell für Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten. Neu daran sind ein Moratorium sowie ein klassenübergreifender (“Cross-class”) Cram-down, also die Ersetzung der Zustimmung einzelner Gläubigergruppen im Rahmen eines Restrukturierungsplans. Ein ähnlich ausgestaltetes flexibles Sanierungsverfahren haben – in Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie – auch die Niederlande mit dem Wet Homologatie Onderhands Akkoord (WHOA) vorgelegt. Welche Vorteile bietet das für die Kreditnehmer?Im Kern geht es darum, das Akkordstörerpotenzial einzelner Gläubiger oder Gläubigergruppen im Rahmen von Sanierungen außerhalb der Insolvenz zu überwinden. Vor allem für die Restrukturierung von LBO-Finanzierungen mit verschiedenrangigen Instrumenten oder Tranchen, die häufig englischem Recht unterliegen, bietet der Cross-class Cram-down eine echte Erleichterung, weil das Scheme of Arrangement dieses Instrument nicht vorsieht und so dieser Sanierungsweg oft versperrt war. Auch das deutsche Insolvenzrecht kennt mit dem Obstruktionsverbot bereits die Möglichkeit, die Zustimmung von Gläubigergruppen zu ersetzen, nicht jedoch außerhalb eines Insolvenzverfahrens. Nach den britischen und niederländischen Gesetzesentwürfen genügt es, wenn eine einzige Gläubigergruppe mehrheitlich dem Sanierungsplan zustimmt. Wenn der Plan eine höhere Befriedigungsaussicht bietet als die Alternative, wird die Zustimmung der anderen Gruppen ersetzt. In den Niederlanden muss den Gläubigern, die nicht zustimmen wollten, zusätzlich eine Barabfindung angeboten werden. Werden Gläubiger das goutieren?Würde man den widersprechenden Gläubigergruppen das Recht einräumen, eine bessere Befriedigungsmöglichkeit zu torpedieren, ginge es allen Gläubigern gleich schlecht. Der Cross-class Cram-down sorgt dafür, dass es allen Gläubigern in gleichem Maße besser geht. Inwieweit können die Vorschläge aus UK und den Niederlanden eine Blaupause für Deutschland in der Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie sein?Zunächst, Deutschland sollte als Sanierungsstandort attraktiv sein, um Abwanderungsbewegungen zu vermeiden. Insbesondere die Restrukturierung von Schuldscheindarlehen ohne Insolvenz ist aber hierzulande praktisch nahezu unmöglich. Der Gesetzgeber sollte daher die von der EU-Restrukturierungsrichtlinie eröffneten Gestaltungsspielräume ähnlich flexibel wie das WHOA anbieten. Läuft die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht im Zuge von Corona zum 30. September 2020 aus, ist eine Insolvenzwelle zu erwarten. Daher ist aus Sicht der Praxis eine ähnliche Schnelligkeit im Gesetzgebungsverfahren wünschenswert, um rechtzeitig auf das neue Sanierungsverfahren zugreifen zu können. Zahlreiche Insolvenzen dürften damit zu verhindern sein. Wäre die Anerkennung eines englischen oder niederländischen Restrukturierungsplans hierzulande möglich, wenn ein Schuldner ins Ausland abwandert?Vor dem Brexit zum 31. Dezember 2020 wäre die Bestätigungsentscheidung des englischen Gerichts wie bislang bei Schemes of Arrangement nach der Europäischen Gerichtsstands-Verordnung (EuGVVO) anerkennungsfähig; soweit die Verbindlichkeiten englischem Recht unterliegen, danach jedenfalls nach der Rom I-Verordnung. Das WHOA unterscheidet wiederum zwischen einem privaten und einem öffentlichen Verfahren. Gerichtliche Entscheidungen im Rahmen eines öffentlichen Verfahrens könnten nach Notifizierung des Verfahrens als “Insolvenzverfahren” nach Anhang A der Europäischen Insolvenz-Verordnung anerkannt werden, Entscheidungen in einem privaten Verfahren möglicherweise nach der EuGVVO, nach der Rom I-VO wohl nur bei niederländischem Recht unterliegenden Forderungen. Sacha Lürken ist Partner bei Kirkland & Ellis in München. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.