Recht und Kapitalmarkt

Neue Vielfalt bei Bezugsrechtsemissionen

Bipolares Verhältnis von Emittent und Banken in der Strukturierung von Kapitalerhöhungen von komplexeren Verhältnissen abgelöst

Neue Vielfalt bei Bezugsrechtsemissionen

Von Christoph H. Seibt *) In den vergangenen zwölf Monaten waren Bezugsrechtsemissionen für deutsche Börsenunternehmen die wichtigste Struktur zur Eigenkapitalzufuhr. Primär wurden sie zur Refinanzierung, Verbesserung von Bilanzrelationen und zur Beibehaltung von Rating-Bewertungen genutzt (z. B. Volkswagen, Continental, Heidelberg Cement, Infineon, Deutsche Wohnen), daneben auch, um M & A-Transaktionen und zukünftiges Wachstum zu finanzieren (z. B. Volkswagen, K+S, Klöckner & Co., Rhön-Klinikum).Für die Wahl der Bezugsrechtsemission sprechen mehrere Gründe: Bei der von Unternehmen erstrebten Zufuhr neuer Liquidität kommt nur eine Barkapitalerhöhung in Frage, und bei dieser kann das gesetzliche Bezugsrecht der Aktionäre ohne größere Rechtsrisiken nur bis zu einem Emissionsvolumen von maximal 10 % des bestehenden Grundkapitals ausgeschlossen werden. Daher bleibt in aller Regel nur die Bezugsrechtsemission, wenn der Liquiditätsbedarf diese Grenze überschreitet. Flexiblere GestaltungDarüber hinaus sind Bezugsrechtsemissionen gegenüber Kapitalerhöhungen mit Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre vor allem im Hinblick auf die Festlegung des Ausgabebetrags flexibler. Insbesondere darf hierbei der Abschlag auf den Börsenkurs 5 % überschreiten. Dieser Umstand hilft erheblich dabei, die neuen Aktien gerade in Zeiten volatiler Kapitalmärkte zu vermarkten. Die Aktionärsbasis bildet schließlich nicht selten ein gutes Nachfragereservoir bei einer Kapitalerhöhung, da die Altaktionäre die Equity Story des Unternehmens bereits durch ihre frühere Investitionsentscheidung unterstützt hatten.Die Zeiten von “One-Size-fits-all-Modellen” sind aber auch für die Strukturierung der Bezugsrechtsemission vorbei. Vielmehr haben sich in der jüngeren Zeit fünf Grundmodelle herausgebildet, um – unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls – die Interessen des Emittenten, von Ankeraktionären, institutionellen Anlegern sowie des Free Float und schließlich von möglichen Neuinvestoren zum Ausgleich zu bringen. Fünf GrundmodelleDer Emittent ist vor allem an einer zügigen und rechtssicheren Kapitalzufuhr sowie an einem angemessen hohen Ausgabebetrag interessiert, um auch künftig eine wettbewerbsfähige Dividendenrendite und geringe Kapitalaufnahmekosten vorweisen zu können. Während die Altaktionäre insbesondere an einem effektiven Verwässerungsschutz ihrer Beteiligungsquote und vor allem ihres Beteiligungswerts interessiert sind, spekulieren demgegenüber Neuinvestoren auf eine rechtssichere Übernahme eines Aktienpakets zu einem möglichst deutlich unter dem Börsenwert liegenden Preis.Bei der traditionellen Hard-Underwriting-Struktur wird der Ausgabebetrag der neuen Aktien vor Beginn der gesetzlichen Zwei-Wochen-Bezugsfrist festgelegt und mit dem Bezugsangebot veröffentlicht. Die Emissionsbanken verpflichten sich, die neuen Aktien zu zeichnen und übernehmen – mit Ausnahme des Eintritts extremer Sondersituationen wie Force-Majeure-Umständen – das wirtschaftliche Abnahmerisiko. So sind z.B. K+S und Klöckner & Co. vorgegangen. Zur Minimierung des Abnahmerisikos der Banken und zur Unterstützung der Vermarktung der neuen Aktien wird der Ausgabebetrag deutlich unter dem Börsenkurs festgesetzt (Deep-Discount-Emission). In der Hochphase der Kapitalmärkte vor der Insolvenz von Lehman Brothers war ein Abschlag von 15 % bis 20 % vom theoretischen Aktienpreis nach der Kapitalerhöhung (Theoretical Ex-Rights Price – Terp) üblich, aktuell sind es 30 % bis 35 % unterhalb des Terp, wobei in der Spitze sogar höhere Abschläge eingeräumt wurden. Solche Abschläge sind jedenfalls dann unter dem Gesichtspunkt des Verbots eines faktischen Bezugsrechtszwangs zulässig, wenn ein effektiver Bezugsrechtshandel organisiert ist.Denn bei Deep-Discount-Emissionen ist der Wert der Bezugsrechte der Altaktionäre signifikant, und die Bezugsrechtsinhaber müssen die Möglichkeit einer gewissen Wertrealisierung haben.Der Nachteil des erheblichen Preisabschlags wegen des Zeichnungsrisikos der Banken während der Bezugsfrist kann durch eine Backstop- oder Sub-Underwriting-Struktur minimiert werden. Hierbei sind Ankeraktionäre oder Neuinvestoren bereit, die Abnahme eines erheblichen Teils der Gesamtemission bis zu einem maximalen Ausgabepreis zu übernehmen. Mit AnkerinvestorenHierbei darf der Emittent auch eine marktgerechte, sich an üblichen Banksätzen orientierte Provision selbst an Altaktionäre leisten. Bei Conergy, Escada und Deutsche Wohnen hatten sich bestehende Ankeraktionäre gegenüber den Emissionsbanken entsprechend zur Aktienzeichnung verpflichtet, bei der Infineon-Kapitalerhöhung hatte der Private-Equity-Fonds Apollo als möglicher Neuinvestor eine Backstop-Vereinbarung abgegeben. Bei dieser Struktur ist die Festlegung des Ausgabebetrags und des Marktpreisabschlags dann insbesondere von der Volumenabdeckung der Vereinbarung, der hierin garantierten Maximalpreise und sonstigen Emittenten- und Marktumstände abhängig. At Market und Pre-PlacementKann der Emittent solche Backstop-Vereinbarungen nicht gewinnen, kommt eine At-Market-Struktur in Betracht, um das Zeichnungsrisiko zu reduzieren. Bei dieser Struktur wird der Ausgabebetrag zum letztmöglichen Zeitpunkt, nämlich nach § 186 Abs. 2 Satz 2 AktG spätestens drei Tage vor Ablauf der Bezugsfrist festgelegt. Dies ermöglicht bei guter Nachfrage einen erheblich geringeren Abschlag vom Terp. Auf der anderen Seite besteht für den Emittenten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Kapitalerhöhung eine geringere Transaktionssicherheit und die Aktionäre verlieren praktisch die Möglichkeit, ihre Bezugsrechte zu monetarisieren. Die in der Solarenergiebranche tätigen Unternehmen Manz Automation sowie Roth & Rau hatten so 2008 ihren Segmentwechsel in den Geregelten Markt und die Wachstumsfinanzierung strukturiert.Sind beim Emittenten Ankeraktionäre signifikant investiert, haben diese aber kein Interesse oder keine finanziellen Möglichkeiten, an der Bezugsrechtsemission teilzunehmen, so kommt – wie bei Heidelberg Cement, Continental oder Volkswagen – eine Pre-Placement-Struktur in Frage: Dabei übertragen die Ankeraktionäre ihre Bezugsrechte bzw. sie verzichten verbindlich auf ihre Ausübung. In diesem Vereinbarungsumfang können die Emissionsbanken dann die noch zu schaffenden Aktien im Rahmen eines Accelerated-Bookbuilding-Verfahrens noch vor Beginn der Bezugsfrist sicher vermarkten, wobei der Ausgabepreis aus dem Bookbuilding-Platzierungspreis hergeleitet wird. Darüber hinaus platzierte Aktien unterliegen einem Claw-back-Risiko insoweit, als die übrigen Altaktionäre ihr Bezugsrecht während der nachlaufenden Bezugsfrist ausüben. Besondere Sorgfalt ist bei dieser Struktur im Hinblick auf die Information der Pre-Placement-Investoren zu verwenden, damit es zu keinen Verletzungen des Insiderhandelsverbots kommt. Dieses Verfahren reduziert die Marktrisiken für den Emittenten zulasten der Neuinvestoren und maximiert den Kapitalzufluss beim Unternehmen. Das Hard Underwriting der Emissionsbanken wird hier durch das Pre-Placement bei den Neuinvestoren substituiert, was marktseitig nur bei besonders starken Equity Stories durchsetzbar sein wird.Nur in Fällen einer opportunistisch ausgerichteten Kapitalaufnahme wird eine Best-Effort-Struktur ohne Pre-Placement in Frage kommen (z. B. Rhön-Klinikum). Bei diesem Modell verzichtet der Emittent auf ein Hard Underwriting der Emissionsbanken und damit auf Transaktionssicherheit und setzt vielmehr auf eine hohe Marktnachfrage nach der vorgestellten Equity Story bei geringem Terp-Abschlag.Die Hauptlehre aus den vergangenen zwölf Monaten für Bezugsrechtsemissionen ist, dass das einstmals bipolare Verhältnis von Emittent und Emissionsbanken bei der Strukturierung der Kapitalmaßnahme durch komplexere Verhältnisse abgelöst wurde. Dabei sollte der Emittent insbesondere bestehende Ankeraktionäre und mögliche Neuinvestoren einbinden, um bestmögliche Emissionserfolge zu erzielen. Das deutsche Kapitalmarktrecht stellt hierfür flexible Strukturen zur Verfügung.—-*) Prof. Dr. Christoph H. Seibt ist Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer und Honorarprofessor an der Bucerius Law School.