RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: FREDERIK WINTER

Neue Vorgaben aus EU-Leerverkaufsverordnung

Strengere Regeln für ungedeckte Geschäfte in Aktien - Nationale Unterschiede

Neue Vorgaben aus EU-Leerverkaufsverordnung

– Herr Dr. Winter, die EU-Leerverkaufsverordnung wird in wesentlichen Teilen ab 1. November Geltung erlangen, welche Änderungen ergeben sich in Deutschland?Obwohl die Vorgaben der EU-Leerverkaufsverordnung mit den geltenden deutschen Bestimmungen vergleichbar sind, bestehen im Detail einige nicht unerhebliche Unterschiede. Beispielsweise ist das in der EU-Leerverkaufsverordnung vorgesehene Verbot ungedeckter Leerverkäufe in Aktien strenger: Nicht nur an einer inländischen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassene Aktien, sondern auch an multilateralen Handelssystemen gehandelte Aktien sind betroffen. Daneben wird es unter anderem Änderungen bei den Mitteilungs- und Veröffentlichungspflichten hinsichtlich sogenannter Netto-Leerverkaufspositionen, etwa bei Konzern- und Fondssachverhalten, geben.- Inwiefern?Dies folgt aus einem die Leerverkaufsverordnung konkretisierenden delegierten Rechtsakt der Europäischen Kommission vom 5. Juli, der allerdings noch einer dreimonatigen Einspruchsfrist des EU-Parlaments und des Rates unterliegt. Die Marktteilnehmer werden die schon heute sehr komplexe Berechnungssystematik deshalb voraussichtlich erneut umstellen müssen – nachdem erst im März neue Transparenzvorschriften in Kraft getreten sind.- Wie sieht es in den anderen EU-Ländern aus?Als Reaktion auf die Finanzkrise haben diverse EU-Mitgliedstaaten Maßnahmen getroffen, um Leerverkäufe zu begrenzen. Diese Regelungen waren zum Teil zeitlich befristet. Inhaltlich gibt es nationale Unterschiede: Beispielsweise gelten in Großbritannien derzeit nur Veröffentlichungspflichten für bestimmte Netto-Leerverkaufspositionen. Ein mit dem deutschen Recht vergleichbares Verbot ungedeckter Leerverkäufe in Aktien und bestimmten öffentlichen Schuldtiteln sowie ungedeckter Credit Default Swaps (CDS) gibt es hingegen bislang nicht. Tritt die EU-Leerverkaufsverordnung in Kraft, werden auch in Großbritannien entsprechende Beschränkungen gelten.- Offenbar bestehen in der Politik unterschiedliche Meinungen, ob Börse oder BaFin über zeitlich befristete Leerverkaufsverbote an Handelsplätzen befinden sollen?Nach der EU-Leerverkaufsverordnung dürfen neben dem generellen Verbot ungedeckter Leerverkäufe und CDS auch zeitlich befristete Leerverkaufsverbote angeordnet werden. Eine solche Anordnung kann sich auf sämtliche Finanzinstrumente beziehen, sodass beispielsweise auch ein Verbot ungedeckter CDS auf Unternehmensanleihen möglich wäre. Dabei ist es streitig, welche Behörde derartige Verbote anordnen soll. Der Bundesrat hat sich im Mai für die Zuständigkeit der BaFin ausgesprochen, wohingegen die Bundesregierung die Zuständigkeit bei der jeweiligen Börsengeschäftsführung sieht.- Wer hat recht?Für die Position der Bundesregierung spricht, dass die Börsengeschäftsführungen schnell die erforderlichen Börsendaten und andere relevante Informationen abrufen können. So sind sie bei einer Entscheidung über die Handelsaussetzung letztlich “näher dran”. Andererseits besteht aufgrund der vielen in Deutschland ansässigen Börsen die Gefahr, dass Transaktionen, die an einem Handelsplatz verboten werden, sogleich an einem anderen durchgeführt werden. Um die Zielsetzungen der EU-Leerverkaufsverordnung wirksam umzusetzen, bedarf es daher eines einheitlichen, abgestimmten Vorgehens.- Hat das hierzulande 2010 erlassene Verbot ungedeckter Leerverkäufe Wirkung gezeigt?Ob Leerverkaufsverbote grundsätzlich ein geeignetes Mittel darstellen, um die Risiken auf den Finanzmärkten einzudämmen, ist umstritten. Das in Deutschland seit 2010 geltende gesetzliche Verbot ungedeckter Leerverkäufe ist bislang dem Einwand ausgesetzt, nicht in einen europäischen Kontext eingebettet und damit nur begrenzt wirksam zu sein. Aktien eines Emittenten aus dem europäischen Ausland sind bislang beispielsweise vom deutschen Leerverkaufsverbot ausgenommen, wenn sie auch zum Handel in einem anderen EU-Mitgliedstaat zugelassen sind. Diese Regelung wäre mit Blick auf die Zielsetzung, Risiken für die Finanzmärkte zu begrenzen, dann sinnvoll, wenn an anderen europäischen Märkten ein ähnliches Verbot gälte. Insofern ist es zu begrüßen, dass nunmehr eine einheitliche EU-Regelung getroffen werden soll.—-Dr. Frederik Winter ist Partner im Frankfurter Büro von Linklaters. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.