Recht und Kapitalmarkt

Neue Wege zur Sanierung "notleidender" Anleihen

Schuldverschreibungsgesetz ermöglicht erstmals umfassende Restrukturierung unabhängig von einer Krisensituation

Neue Wege zur Sanierung "notleidender" Anleihen

Von Ulli Janssen und Ingo Scherer *)Am 5. August ist das Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen (SchVG) in Kraft getreten. Es ermöglicht erstmals, Unternehmensanleihen umfassend zu restrukturieren und damit den Anleiheschuldner finanziell zu sanieren – unabhängig von einer Krisensituation.Nach altem Recht war eine nachträgliche Änderung der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss nur in begrenztem Umfang und zur Abwendung der Insolvenz des Anleiheschuldners zulässig. Dadurch konnte eine “notleidende” Anleihe in der Regel nur im Wege eines freiwilligen Umtauschangebots saniert werden. Dies führte regelmäßig zu dem Problem des sogenannten “Hold-out”. Hierbei hielten einzelne Gläubiger an der umzutauschenden Anleihe mit der Absicht fest, von dem Sanierungsbeitrag der anderen Gläubiger zu profitieren.Nach dem neuen Schuldverschreibungsgesetz können nun weitreichende Änderungen der Anleihebedingungen und Maßnahmen bis hin zu einem Debt-to-Equity-Swap oder einem Umtausch in andere Anleihen mit einer qualifizierten Mehrheit (75 %) beschlossen werden. Die von der Gläubigerversammlung beschlossenen Maßnahmen wirken für alle Gläubiger, d. h. auch für diejenigen, die gegen die Sanierungsbeiträge gestimmt haben. Anwendbarkeit des GesetzesDas SchVG gilt zunächst für alle dem deutschem Recht unterliegenden Schuldverschreibungen – einschließlich strukturierter Papiere wie z. B. ABS und Zertifikate -, die am oder nach dem 5. August 2009 begeben wurden. Anders als nach altem Recht ist das SchVG nicht auf deutsche Schuldner beschränkt. Die Möglichkeit der Änderung der Anleihebedingungen bzw. der Sanierung von Schuldverschreibungen durch Mehrheitsbeschluss eröffnet sich jedoch nur, wenn die Anleihebedingungen dies vorsehen. Allerdings ist eine nachträgliche Einführung von Mehrheitsbeschlüssen praktisch nicht möglich, weil sie die Zustimmung aller Anleihegläubiger und des Schuldners erfordern würde. Daher sind beim Entwurf von Anleihebedingungen für Neuemissionen der mögliche Sanierungsfall und die Eröffnung von Mehrheitsbeschlüssen einzuplanen.Im Gegensatz hierzu können die Gläubiger bei Anleihen, die vor dem 5. August 2009 begeben wurden, mit qualifizierter Mehrheit (75 %) beschließen, die Anleihebedingungen zu ändern bzw. die Altemission gegen neue Schuldverschreibungen umzutauschen. So können auch sie die Anpassungsmöglichkeiten des SchVG nutzen.Anleihebedingungen können wie folgt geändert werden: entweder durch Beschluss der Gläubiger, der in der Regel in einer Gläubigerversammlung gefasst wird, oder durch Zustimmung eines entsprechend ermächtigten gemeinsamen Vertreters der Gläubiger zu konkreten Änderungsvorschlägen des Schuldners. Die Zustimmung des Schuldners ist stets erforderlich, sie kann jedoch bereits vorher erteilt werden oder in den Anleihebedingungen vorweggenommen sein.Das SchVG eröffnet weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten und listet verschiedene Beschlussgegenstände, die allesamt einer qualifizierten Mehrheit (75 %) bedürfen, beispielhaft auf. Dabei sind für die Sanierungspraxis insbesondere von Bedeutung: Veränderung von Haupt- und Nebenforderung (Fälligkeit, Höhe, Währung, Rang, Schuldner, Leistungsgegenstand), Veränderung und Aufhebung von Nebenbestimmungen, Änderung der Kündigungsmöglichkeiten, Austausch/Freigabe von Sicherheiten sowie vor allem der Umtausch/Austausch der Anleihe gegen neue Anleihen und/oder Gesellschaftsanteile. Hiernach ist zum Beispiel ein Debt-to-Equity-Swap mit qualifiziertem Mehrheitsbeschluss möglich. Dabei kann es sich anbieten, zur Vermeidung eines Haftungsrisikos in Bezug auf die Werthaltigkeit der Forderung die Sanierung nicht über eine Sachkapitalerhöhung zu bewirken, sondern – gesellschaftsrechtliche Ermächtigungen vorausgesetzt – nachträglich die Pflichtwandlung in den Anleihebedingungen zu bestimmen.Im Gegensatz hierzu ist die Ausübung von nicht leistungsbezogenen Bestimmungsrechten, die in den Anleihebedingungen vorbehalten sein können (z. B. der Austausch von Dienstleistern wie Zahlstelle, Berechnungsstelle, Umtauschstelle, Registerstelle oder die Änderung eines Referenzwerts im Falle von bestimmten Störungsereignissen) keine Änderung der Anleihebedingungen. Solche Maßnahmen sind folglich einseitig vom Schuldner durchsetzbar.Die Gläubigerversammlung wird vom Schuldner oder vom gemeinsamen Vertreter der Gläubiger einberufen. Gläubiger, deren Schuldverschreibungen 5 % der ausstehenden Schuldverschreibungen erreichen, können die Einberufung der Gläubigerversammlung und die Bekanntmachung neuer Tagesordnungsgegenstände verlangen und ggf. mit Hilfe des Gerichts erzwingen.In Anlehnung an die aktienrechtliche Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen kann ein Beschluss der Gläubigerversammlung wegen Verletzung des Gesetzes oder der Anleihebedingungen durch Klage von einzelnen Gläubigern angefochten werden. Die Klage ist binnen eines Monats nach der Bekanntmachung des Beschlusses gegenüber dem Schuldner zu erheben. Zuständig ist das Landgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Sitz hat, oder mangels eines Sitzes im Inland das Landgericht Frankfurt am Main. BlockademöglichkeitWiderspruch und Anfechtungsklage hemmen den Vollzug der Änderung der Anleihebedingungen. Einzelne Gläubiger können also, ähnlich wie Aktionäre auf einer Hauptversammlung, den Vollzug von Mehrheitsbeschlüssen der Gläubigerversammlung durch Widerspruch und Anfechtungsklage blockieren. Allerdings kann entsprechend 246 a AktG ein gerichtliches Freigabeverfahren durchgeführt werden, um den Vollzug der Änderungen zu beschleunigen.Die Bedingungen solcher Anleihen zu ändern, die auf der Grundlage einer Ermächtigung oder eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung ausgegeben wurden (z. B. Wandel-, Umtausch- und Optionsanleihen sowie Genussrechte), kann problematisch sein. Der Schuldner darf einem Mehrheitsbeschluss zur Änderung der Anleihebedingungen nur zustimmen, wenn sich die Änderungen im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Ermächtigung bewegen oder die Anteilseigner ihnen mit den erforderlichen Mehrheiten zugestimmt haben. Im Falle weitreichender Änderungen wird daher in der Praxis neben der Beschlussfassung der Anleihegläubiger auch eine Beschlussfassung der Anteilsinhaber erforderlich sein. Fraglich ist auch, wie die Berechtigung zur Teilnahme an der Gläubigerversammlung nachzuweisen ist bzw. auf welches Datum sich der Nachweis zu beziehen hat. Bei girosammelverwahrten Schuldverschreibungen lässt das SchVG einen in Textform erstellten besonderen Nachweis der Depotbank genügen. Dieser müsste sich jedoch nach den Ausführungen in der Gesetzesbegründung auf den Zeitpunkt der Abstimmung beziehen. Das aus dem Aktiengesetz bekannte Konzept des “Record Date” – worauf in der Gesetzesbegründung verwiesen wird – findet sich im Gesetzeswortlaut nicht wieder. Insofern bleibt unklar, ob es sich bei dem geforderten Nachweis um eine Hinterlegungsbescheinigung nach Muster des alten Aktien-rechts oder um ein Record-Date-Konzept handelt. Um Anfechtungsrisiken zu reduzieren, sollte dies in den Anleihebedingungen eindeutig geregelt sein.Eine weiteres Problem: Änderungen der Anleihebedingungen sind nur für die Gläubiger derselben Anleihe verbindlich. So können bei Emissionen, die in verschiedene Klassen aufgeteilt sind, Gläubigerbeschlüsse nicht klassenübergreifend gefasst werden. Dies erschwert insbesondere die Restrukturierung komplexer strukturierter Anleihen erheblich, da für jede Anleiheklasse eine gesonderte Gläubigerversammlung abgehalten werden muss. Hier besteht ggf. Nachbesserungsbedarf durch den Gesetzgeber. Tragbare LösungenDas neue SchVG bietet interessante und vor allem zeitgemäße Möglichkeiten, “notleidende” Anleihen zu sanieren. Inwieweit hierbei einzelne Gläubiger – wie im Aktienrecht – mit geringer Beteiligung Sanierungsmaßnahmen blockieren, um hieraus für sich finanzielle Vorteile zu erlangen, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist zu wünschen, dass eine im Vergleich zu den Aktionären doch homogenere Gläubigergemeinschaft in der Lage sein wird, zusammen mit dem Schuldner Sanierungsmaßnahmen zu beschließen, die für alle Beteiligten wirtschaftlich tragbar sind.—-*) Ulli Janssen ist Rechtsanwalt und Counsel, Dr. Ingo Scherer Rechtsanwalt im Frankfurter Büro von Linklaters LLP.