Recht und Kapitalmarkt

Neues Gesetz erhöht Attraktivität deutscher Anleihen

Schuldverschreibungsrecht wird internationalen Standards angeglichen - Richterliche Inhaltskontrolle sollte unanwendbar erklärt werden

Neues Gesetz erhöht Attraktivität deutscher Anleihen

Von Michael Schlitt und Susanne Schäfer *) Die Restrukturierung von Anleihen gestaltet sich in Deutschland seit jeher schwierig. Grund ist das Schuldverschreibungsgesetz von 1899, das einen engen Anwendungsbereich aufweist und für die Restrukturierung nur einen geringen Gestaltungsspielraum lässt. Die von der Praxis dringend benötigte Reform wurde 2003 zwar in Angriff genommen, kam jedoch über das Stadium eines Diskussionsentwurfs nicht hinaus. Nun liegt ein lang erwarteter neuer Referentenentwurf vor, der das deutsche Recht an die international üblichen Anforderungen anpassen und damit die Attraktivität deutscher Anleihen erhöhen will.Anders als bislang sollen künftig alle deutschem Recht unterliegenden Anleihen vom Schuldverschreibungsgesetz erfasst werden, unabhängig davon, ob sie im In- oder Ausland begeben werden. Da Anleihen aus steuerlichen Gründen häufig über Finanztöchter im Ausland begeben werden, erweitert sich der Anwendungsbereich des Gesetzes damit erheblich. Das neue Gesetz gilt zudem unabhängig davon, ob es sich um eine isoliert begebene Anleihe oder ein Anleiheprogramm handelt. Keine BeschränkungAnders als nach geltendem Recht sollen die Regelungen zur Beschränkung oder dem Verzicht auf Rechte der Anleihegläubiger nicht nur im Insolvenzfall oder einer Krise des Emittenten gelten. Dies stellt eine wesentliche Erweiterung des Anwendungsbereichs dar, da Emittenten auch schon im Vorfeld von der Möglichkeit zur Änderung von Anleihebedingungen profitieren und das Entstehen einer Krise damit abwenden können.Das Gesetz normiert den Grundsatz der “kollektiven Bindung”. Danach ist eine bilaterale Änderung von Anleihebedingungen ausgeschlossen, sofern die rechtlich identische Ausgestaltung der betroffenen Bestimmungen erforderlich ist, um die freie Handelbarkeit der Schuldverschreibungen zu einem einheitlichen Preis zu gewährleisten. Insbesondere die Hauptleistungspflichten unterliegen daher der kollektiven Willensbildung der Anleihegläubiger. Für diese Willensbildung sieht der Gesetzesentwurf ein Verfahren vor, das auch für die Änderung einer typischerweise von der Konzernmutter gegebenen Garantie gilt, sofern dies in den Anleihebedingungen angeordnet ist. Gemeinsamer VertreterDie Willensbildung erfolgt künftig durch die Abstimmung der Anleihegläubiger und die Möglichkeit zur Bestellung eines gemeinsamen Vertreters zur Geltendmachung von Rechten. Hinsichtlich des Verfahrens lehnt sich der Gesetzesentwurf sehr stark an die Hauptversammlungsvorschriften an. Ähnlich wie das Aktiengesetz sieht der Entwurf eine Rechtsschutzmöglichkeit einzelner Anleihegläubiger in Form von Widerspruch und (die Umsetzung eines Beschlusses hindernde) Anfechtungsklage vor, wobei der Emittent gegen Letztere ein Freigabeverfahren anstrengen kann.Anders als bei einer Hauptversammlung ist jedoch auch eine Abstimmung der Anleihegläubiger in Textform ohne Abhaltung einer Versammlung möglich. Eine solche Abstimmung kann innerhalb von 72 Stunden erfolgen und soll dem Emittenten und den Anleihegläubigern eine schnelle Handlungsmöglichkeit eröffnen. Ausreichend ist in beiden Fällen jeweils ein Quorum von 50 % der wertmäßig ausstehenden Schuldverschreibungen. Wird dieses nicht erreicht, ist im zweiten Durchgang ein Quorum nur noch bei einer Änderung wesentlicher Anleihebedingungen erforderlich und beträgt dann 25 % der Schuldverschreibungen. Größere Flexibilität schafft das Gesetz auch hinsichtlich des Inhalts nachträglicher Änderungen der Anleihebedingungen. Das Bedürfnis hierfür kann durch nicht absehbare Änderungen im Steuerrecht, eine Krise des Schuldners oder Umstrukturierungen im Konzern des Emittenten oder Garanten ausgelöst werden. Während der angloamerikanische Rechtskreis in solchen Fällen einen Treuhänder (trustee) vorsieht und dabei von dessen starker Rechtsstellung profitiert, steht im deutschen Recht auch bei Umsetzung der Reform kein entsprechendes Konzept zur Verfügung. Die neue Möglichkeit zu weitreichenden Änderungen durch die Gläubiger ist ein richtiger Schritt in diese Richtung. Damit kommt die Vereinbarung deutschen Rechts auch für High-Yield-Anleihen in Betracht, bei denen typischerweise eine erhöhte Wahrscheinlichkeit späteren Änderungsbedarfs besteht und für die aus diesem Grund bislang nahezu ausschließlich New Yorker Recht vereinbart wird.So können die Anleihegläubiger etwa die Stundung bzw. den Verzicht auf Zinsen oder eine Stundung bzw. den teilweisen Verzicht auf die Hauptforderung und einen Nachrang ihrer Forderungen im Insolvenzfall beschließen. Anders als bisher können solche Änderungen nicht nur für eine bestimmte Zeit, sondern für die gesamte Laufzeit der Anleihe beschlossen werden.Auch nach neuem Recht kann eine Verpflichtung zur Leistung für die Anleihegläubiger nicht begründet und auf die Hauptforderung nicht vollständig verzichtet werden. Änderungen des wesentlichen Inhalts der Bedingungen können nur mit einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln der teilnehmenden Stimmen, andere Änderungen mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Modifikation zu erwartenNach der Rechtsprechung sind Anleihebedingungen als allgemeine Geschäftsbedingungen anzusehen. Anders als der Diskussionsentwurf von 2003, der Anleihebedingungen ausdrücklich der richterlichen Inhaltskontrolle am Maßstab von Treu und Glauben unterwarf, lässt die Regierungsbegründung offen, ob Anleihebe dingungen der richterlichen Inhaltskontrolle unterliegen. Stattdessen schafft er einen gesetzlichen Rahmen zulässiger Anleihebedingungen: Zum einen normiert er einen abschließenden Katalog von Kündigungsrechten und erlaubt sogar einen vollständigen Ausschluss des Kündigungsrechts für bestimmte Anleihelaufzeiten.Insbesondere Emittenten typischerweise sehr lange laufender Hybrid-Anleihen können hiervon profitieren. Zum anderen können Anleihebedingungen nach dem neuen Gesetz eine Schuldnerersetzung zulassen, wenn der bisherige Schuldner oder Garant zu mindestens 90 % am neuen Schuldner beteiligt ist, den Gläubigern gleichwertiges haftendes Vermögen des neuen Schuldners zur Verfügung steht und etwaige Sicherheiten gleichwertig erhalten bleiben. Folgen Anleihebedingungen diesem gesetzlichen Leitbild, ist eine richterliche Inhaltskontrolle insoweit nicht zu befürchten. Es ist daher zu erwarten, dass Emittenten künftig diese Regelungen aufgreifen und sich der Marktstandard für Anleihebedingungen insofern ändern wird. Was noch fehlt Der Gesetzesentwurf gleicht das deutsche Schuldverschreibungsrecht internationalen Standards an und erhöht damit substanziell die Attraktivität deutscher Anleihen. Es wäre wünschenswert, wenn im weiteren Gesetzgebungsverfahren angesichts der damit verbundenen Rechtsunsicherheit die richterliche Inhaltskontrolle für unanwendbar erklärt würde. Die Beschränkung nachträglicher Änderungen auf einen nur teilweisen Verzicht auf die Hauptforderung kann im Einzelfall eine vollständige Restrukturierung von Anleihen behindern. Ob die alternativ bestehende Möglichkeit eines Umtauschs der Schuldverschreibungen in Gesellschaftsanteile dies kompensieren kann, erscheint aufgrund der aktienrechtlichen Beschwerlichkeiten fraglich.Zudem sollte das Gesetz – wie im Diskussionsentwurf von 2003 vorgesehen – die Möglichkeit schaffen, bereits in den Anleihebedingungen Person, Aufgaben und Befugnisse eines gemeinsamen Vertreters zu bestimmen, der während der Laufzeit der Anleihe für die Anleihegläubiger tätig werden kann. *) Dr. Michael Schlitt ist Partner von Fried Frank Harris Shriver & Jacobson und Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln; Dr. Susanne Schäfer ist European Counsel bei Fried Frank in Frankfurt.