Recht und Kapitalmarkt

Neues Prospektrecht bewährt sich in der Praxis

Haftungsrecht in der EU aber noch nicht vereinheitlicht - Kaum Resonanz auf Europäischen Pass bei Börsengängen

Neues Prospektrecht bewährt sich in der Praxis

Von Volker Land und Boris Kläsener *) Im zweiten Halbjahr 2005 haben allein neun Unternehmen den Börsengang an den amtlichen Markt der Frankfurter Wertpapierbörse gewagt. Damit konnten bereits umfangreiche Erfahrungen mit dem am 1. Juli 2005 in Kraft getretenen Wertpapierprospektgesetz (WpPG) bei der Anwendung auf Börsengänge gesammelt werden. Neben dem WpPG ist dabei vor allem die EG-Prospektverordnung für den Inhalt von Wertpapierprospekten von Bedeutung.Die Praxis hat sich schnell auf das neue Recht eingestellt und daneben mit dem sogenannten “decoupled bookbuilding”-Verfahren eine neue Methode für die Ermittlung eines angemessenen Emissionspreises entwickelt. Der Europäische Pass ist dagegen in Bezug auf Börsengänge ein Beispiel dafür, dass nicht alle Neuheiten des neuen Prospektrechts von der Praxis angenommen wurden. Prospektprüfungsverfahren Durch das WpPG ist die Zuständigkeit für die Prüfung und Billigung von Wertpapierprospekten von den Zulassungsstellen der Börsen auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleitungsaufsicht (BaFin) übergegangen. Entgegen anfänglichen Befürchtungen der Praxis hat sich die BaFin als verständige und insbesondere praxisnahe Anwenderin des neuen Prospektrechts erwiesen. Dabei hat sie das Verfahren zur Prüfung von Wertpapierprospekten allerdings bereits einmal geändert. Zunächst hatte die BaFin nämlich im Rahmen eines inoffiziellen “Vorprüfungsverfahrens” die Vorabeinreichung des Wertpapierprospekts gefordert. Im Rahmen der Vorprüfung, die rund zehn Werktage dauerte, gab die BaFin dem Emittenten bereits vor der offiziellen Einreichung ihre Anmerkungen zur Vollständigkeit, Kohärenz und Verständlichkeit des Prospekts. Nach Aufnahme der Anmerkungen wurde der Prospekt dann im offiziellen Prüfungsverfahren eingereicht. Die BaFin hatte dann bei Börsengängen erneut 20 Werktage Zeit für die Billigung des Prospekts. Aus Sicht der BaFin war das Vorprüfungsverfahren allerdings problematisch. Wenn der Emittent sich nach der Vorprüfung entschied, den Prospekt nicht mehr zur offiziellen Prüfung einzureichen, fielen bei der BaFin keine Gebühren an. Um das Risiko eines kostenlosen Tätigwerdens auszuschließen und die Qualität der eingereichten Prospekte zu erhöhen, hat die BaFin ihre Praxis seit einigen Wochen geändert. Der Wertpapierprospekt muss nunmehr unmittelbar gebührenpflichtig eingereicht werden. Im Ergebnis ändert sich allerdings am Zeitplan in der Regel nichts. Denn die BaFin teilt dem Emittenten weiterhin regelmäßig nach zehn Werktagen ihre Anmerkungen schriftlich mit. Nachdem der Emittent diese dann aufgenommen hat und den Prospekt erneut zur Prüfung einreicht, stehen der BaFin erneut 20 Werktage zur Prüfung zur Verfügung. Je nachdem, wie viel Aufwand die Prüfung erfordert, kann die Zwanzigtagefrist allerdings in Absprache mit der BaFin auch kürzer ausfallen. Insgesamt ist die Prüfungsphase nach neuem Prospektrecht damit zwar länger als nach altem Recht, das der Börse insgesamt lediglich 15 Börsentage Zeit für die Prüfung gab. Die Praxis hat sich jedoch erfolgreich auf die verlängerte Prüfungsdauer eingestellt. Das WpPG und die EG-Prospektverordnung enthalten nur wenige verbindliche Vorgaben für die Gliederung eines Wertpapierprospekts. Dem anfänglichen Wunsch der BaFin, Prospekte anhand der Gliederung der Prospektverordnung aufzubauen, hat sich bislang kein Emittent angeschlossen. Stattdessen ist festzustellen, dass die nach neuem Prospektrecht veröffentlichten Prospekte im Wesentlichen dem international etablierten Standardaufbau folgen. Privatplatzierungen Viel Beachtung fand beim Inkrafttreten des WpPG die Einführung eines Europäischen Passes für Emittenten. Danach kann die Billigungsbescheinigung der BaFin auch für die Zulassung und das Angebot der Aktien des Emittenten im Ausland verwendet werden. Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass der Prospekt auch in einer “in internationalen Finanzkreisen gebräuchlichen Sprache” (regelmäßig also auf Englisch) abgefasst ist. Daneben kann die jeweilige ausländische Behörde nur noch eine Übersetzung der Zusammenfassung des Prospekts in die jeweilige Landessprache verlangen. Diese in der Theorie viel gelobte Errungenschaft des neuen Prospektrechts hat in der Praxis von Börsengängen noch keine große Bedeutung erlangt. Ein Grund besteht darin, dass das Prospekthaftungsrecht in der EU noch nicht vereinheitlicht ist. Es besteht daher ein zum Teil unterschiedliches Verständnis von der Richtigkeit und Vollständigkeit eines Prospekts. In der Praxis erfolgen daher zusätzliche Angebote deutscher Emittenten im europäischen Ausland regelmäßig wie bisher in Form von Privatplatzierungen. Vor dem 1. Juli 2005 wurden in Fällen der nachträglichen Festlegung von Angebotsbedingungen sogenannte unvollständige Verkaufsprospekte veröffentlicht, in denen für die relevanten Angaben Platzhalter eingesetzt wurden. Die nachträglich festgelegten Angebotsbedingungen wurden im Wege eines – damals nicht billigungspflichtigen – Nachtrags veröffentlicht. In der Regel wurde der Inhalt des Nachtrags sodann in den unvollständigen Verkaufsprospekt eingearbeitet und nochmals in Form eines neu gefassten – vollständigen – Verkaufsprospekts kurz vor Ende des Angebotszeitraums veröffentlicht. Das neue Prospektrecht lässt die Verwendung von Platzhaltern nicht mehr zu. In der Praxis werden die nachträglich festgelegten Angebotsbedingungen nunmehr ausschließlich durch billigungspflichtige Nachträge veröffentlicht. Die wichtigste nachträglich festgelegte Angebotsbedingung ist der Emissionspreis. Üblicherweise wird dieser nicht bereits im Prospekt veröffentlicht, sondern potenzielle Investoren werden im Anschluss an die Prospektveröffentlichung aufgefordert, Kaufaufträge innerhalb der veröffentlichten Preisspanne abzugeben. Diese werden vom Konsortialführer im Orderbuch gesammelt und dienen nach Beendigung der Bookbuilding-Phase als Grundlage der Ermittlung eines marktgerechten Emissionspreises. Während die herkömmliche Bookbuilding-Phase bis zu zwei Wochen beträgt, wird diese im Rahmen des “accelerated bookbuilding” auf etwa drei Tage begrenzt.In Deutschland wurde in diesem Jahr erstmals bei einer Reihe von Börsengängen das sog. “decoupled bookbuilding”-Verfahren (entkoppelte Preisfindung) durchgeführt. Dabei handelt es sich um ein “accelerated bookbuilding”, bei dem im veröffentlichten Prospekt nicht nur auf die Angabe des Emissionspreises, sondern auch auf die Preisspanne verzichtet wird. Auch der Angebotszeitraum wird noch nicht endgültig festgelegt. Die auf die Prospektveröffentlichung folgende Roadshow dient dem Emittenten somit in der Anfangsphase zur Einschätzung einer angemessenen Preisspanne auf Basis der Reaktionen der angesprochenen Investoren. Nach Festlegung der Preisspanne und des Angebotszeitraums sind diese Angaben im Wege eines billigungspflichtigen Nachtrags zum Prospekt zu veröffentlichen. Obwohl die BaFin laut Gesetz bis zu sieben Werktage für die Entscheidung über die Billigung beanspruchen kann, ist sie in diesen Fällen dem Bedürfnis der Praxis nach einer sehr kurzfristigen Billigung nachgekommen. Nach Veröffentlichung des gebilligten Nachtrags beginnt der etwa dreitägige Angebotszeitraum, in dem Kaufaufträge in das Orderbuch eingestellt werden. Die endgültige Festlegung des Emissionspreises nach Ende des Angebotszeitraums wird dann nicht in Form eines erneuten Nachtrags zum Prospekt, sondern im Wege einer Ad-hoc-Meldung veröffentlicht. Offenes IPO-Fenster Auch wenn nicht alle Börsengänge in diesem Jahr nach der Notierungsaufnahme den erhofften Kursanstieg vorweisen konnten, so ist die Anzahl der nach Inkrafttreten des WpPG bereits durchgeführten IPOs beachtlich. Dabei konnte sich eine verlässliche Praxis etablieren, die zusammen mit der kürzlichen Einführung des Entry Standard als neues Segment im Freiverkehr der Frankfurter Börse (nunmehr “Open Market”) auf eine Vielzahl weiterer Börsengänge im kommenden Jahr hoffen lässt.*) Dr. Volker Land und Boris Kläsener sind Partner im Hamburger Büro der Kanzlei White & Case LLP .