Recht und Kapitalmarkt

Neufassung der Prospektverordnung auf der Zielgeraden

Geänderte Anforderungen für Bezugsrechtskapitalerhöhungen - Haftung für Zusammenfassung weitgehend unverändert

Neufassung der Prospektverordnung auf der Zielgeraden

Von Benedikt Gillessen *)Wenige Tage vor dem fünfjährigen Jubiläum des Wertpapierprospektgesetzes (WpPG) hat das Europäische Parlament am 17. Juni 2010 nach erster Lesung seinen Standpunkt hinsichtlich der Änderung der Prospektrichtlinie (2003/71/EG) beschlossen. Da der Rat der Europäischen Union bereits vorab seine Bereitschaft zur Zustimmung informell signalisiert hatte, können die Änderungen als endgültig gelten. Sie werden nach Zustimmung durch den Rat der Europäischen Union und Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union spätestens im Herbst 2010 in Kraft treten. Nach derzeitigem Stand hat die Umsetzung in nationales Recht dann innerhalb von 18 Monaten zu erfolgen. HaftungserweiterungEiner der Hauptdiskussionspunkte betraf die Frage einer Haftungserweiterung bezüglich des Inhalts der Zusammenfassung bzw. deren Ersetzung durch ein “Key Information Document” (KID), in dem alle für den Anleger wesentlichen Informationen enthalten sein sollten. Von beidem wurde wieder Abstand genommen. Die “Zusammenfassung” muss aber nun in Verbindung mit dem Prospekt Informationen über “wesentliche Angaben” enthalten, die dem Investor bei seiner Anlageentscheidung behilflich sein sollen. Der Begriff der wesentlichen Angaben wird in der Richtlinie näher definiert und umfasst wesentliche und angemessen strukturierte Informationen, die den Anleger in die Lage versetzen sollen, die Natur und Risiken der jeweiligen Wertpapiere zu verstehen.Die praxisfremde Überlegung, dass die Zusammenfassung einen strukturierten Vergleich auch mit grundverschiedenen Anlageprodukten ermöglichen solle, ist vernünftigerweise aufgegeben worden. Die Richtlinie wird nur noch vorsehen, dass das Format der Zusammenfassung den Vergleich lediglich mit ähnlichen Wertpapieren ermöglichen soll, indem entsprechende Informationen immer an der gleichen Stelle der jeweiligen Zusammenfassung aufgeführt werden. Die Neuregelung, deren detaillierte Ausgestaltung an die Kommission delegiert wurde, dürfte daher mehr die Frage einer einheitlichen Anordnung betreffen als eine wesentliche inhaltliche Abweichung der derzeit gängigen Zusammenfassungen.Die in den Erwägungsgründen enthaltene Beschränkung auf 2 500 Wörter wird entgegen den bisherigen Erwartungen doch nicht aufgehoben oder gelockert. Sie dürfte zu Recht auch weiter von der Praxis ignoriert werden.Eine der größten Neuerungen betrifft Bezugsrechtskapitalerhöhungen, für die sich der Vorschlag einer generellen Befreiung von der Prospektpflicht nicht durchsetzen konnte. Bei solchen Kapitalerhöhungen werden in Zukunft Vorschriften über eine “verhältnismäßige Offenlegung” zu erfüllen sein, was im Grundsatz eine Rückkehr zu der in Deutschland bereits vor Inkrafttreten des Wertpapierprospektgesetzes (WpPG) im Juli 2005 geltenden Rechtslage bedeutet. Entsprechende Anforderungen sollen auch für Angebote von kleinen und mittleren Unternehmen bzw. Gesellschaften mit “geringer Marktkapitalisierung” gelten. Die entsprechende Definition wird neu eingeführt und erfasst Unternehmen mit einer durchschnittlichen Marktkapitalisierung von weniger als 100 Mill. Euro während der vorausgehenden drei Jahre.Die Festlegung der genauen Schwellenwerte und Anforderungen für eine verhältnismäßige Offenlegung wird an die Kommission delegiert. Hierfür gibt es noch keine Entwürfe. Wie groß der praktische Nutzen dieser Erleichterung sein wird, ist ungewiss: Unter alter Rechtslage wurde in dem Bedürfnis, den Anleger angemessen aufzuklären, von den damals vorgesehenen Erleichterungen jedenfalls nur begrenzt Gebrauch gemacht. Es ist zu erwarten, dass diese Überlegung auch in Zukunft den Inhalt von Wertpapierprospekten mit beeinflussen wird.Die emittentenfreundliche Auslegung von § 4 Abs. 2 Nr. 7 WpPG durch die Frankfurter Wertpapierbörse, die prospektfreie Bezugsrechtskapitalerhöhungen unter Beteiligung ausschließlich bestehender Aktionäre ermöglicht, wird angesichts des klaren Wortlauts in Zukunft nicht mehr zulässig sein. Dies dürfte jedenfalls ab Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht gelten, könnte aber auch schon vorher der Fall sein, wenn die Frankfurter Wertpapierbörse zu der Auffassung kommt, dass die bisherige Auslegung unter den geänderten Umständen nicht länger haltbar ist. Unternehmen, die diese Transaktionsform noch nutzen wollen und für die sich diese aufgrund der Gesamtumstände eignet, sollten schnell handeln. Darüber hinaus werden eine Reihe weiterer, eher technischer Änderungen implementiert. So soll das europaweite Fristenchaos beseitigt werden. Die Pflicht zur Erstellung von Nachträgen wird in Zukunft mit Abschluss der Angebotsfrist oder Notierungsaufnahme enden, je nachdem, welcher Zeitpunkt der spätere ist. Rücktrittsrechte von Investoren bestehen nur im Falle eines öffentlichen Angebots und nur wenn das für den Nachtrag maßgebliche neue Ereignis vor Ende der Angebotsfrist und Lieferung der Wertpapiere eintrat bzw. der entsprechende wesentliche Fehler oder die wesentliche Ungenauigkeit vor diesem Zeitpunkt entdeckt wurde. Ein Rücktritt wird dann einheitlich zwei Tage ab Veröffentlichung des Nachtrags möglich sein, sofern die Prospektverantwortlichen nicht eine längere Frist einräumen. Keine RechtssicherheitBei Notifizierungen im Rahmen grenzüberschreitender Angebote wird dem Prospektherausgeber zwar in Zukunft die Bestätigung über die Prospektbilligung gleichzeitig mit der Behörde des anderen Mitgliedstaats zur Verfügung gestellt, eine eigene Bestätigung durch den Aufnahmestaat ist jedoch weiterhin nicht vorgesehen. Die aus Emittentensicht notwendige Rechtssicherheit, dass das öffentliche Angebot in dem jeweils anderen Land durchgeführt werden darf, wird weiterhin nicht erreicht. Schon bislang waren von den Aufsichtsbehörden mangels gesetzlicher Grundlage nur informelle Auskünfte über eine erfolgte Notifizierung zu erhaschen.Die Veröffentlichung von Prospekten muss in Zukunft voraussichtlich (abhängig von der Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten) stets in elektronischer Form erfolgen. Die Veröffentlichung kann dabei auf der Website des Unternehmens, aber auch auf der einer an der Transaktion beteiligten Bank erfolgen. Andere Veröffentlichungsformen bleiben aber zusätzlich zulässig.Weitere Änderungen betreffen die Anhebung von Schwellenwerten für prospektfreie Platzierungen (zulässige Personenzahl nunmehr 150 je Land, Mindestanlagesummen bzw. Mindeststückelungen jetzt 100 000 Euro, deutliche Erleichterungen für europaweite Aktienoptionsprogramme und Anpassungen von Definitionen. Darunter fällt die als unglücklich zu bewertende Angleichung der Definition des “qualifizierten Investors” an das MiFID-Konzept, obwohl sich dieses in die Regelungen der Prospektrichtlinie schlecht einfügt: Qualifizierte Investoren könnten im Einzelfall verlangen, als nichtprofessioneller Investor behandelt zu werden. Zu diesem Zeitpunkt könnten sie aber bereits Informationen über die Transaktion erhalten haben, zudem könnte derselbe Investor von unterschiedlichen Intermediären unterschiedlich eingestuft und behandelt werden. Das kann zu großer Unsicherheit führen. Die Verwendung eines Prospekts in Retail-Kaskaden ist zukünftig möglich, bedarf aber der Zustimmung der Prospektverantwortlichen.Änderungen anderer Punkte wurden zwar diskutiert, dann aber doch verworfen. So bleibt die Gültigkeit von Prospekten auf zwölf Monate ab dem Datum der Billigung beschränkt. In der Praxis wäre bei längerer Nutzungsdauer der Aufwand für die Erstellung eines Nachtrags zur Aktualisierung ohnehin dem für die Erstellung eines neuen Prospekts praktisch gleichgekommen.Ganz nebenbei wurde auch unnötiger Ballast abgeworfen: Das “Jährliche Dokument” wird abgeschafft, was den sich in vielfältigen Publizitätsverpflichtungen zunehmend erstickenden Unternehmen zumindest eine kleine Erleichterung verschafft.—-*) Dr. Benedikt Gillessen ist Local Partner von White & Case, Frankfurt.