Recht und Kapitalmarkt

Nicht jeder Managementfehler ist strafbar

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Tatbestand der Untreue gibt ein Signal für zurückhaltende Strafverfolgung

Nicht jeder Managementfehler ist strafbar

Von Heiner Hugger *)Jeder macht Fehler. Das gilt insbesondere für Manager. Sie müssen ihre Entscheidungen oft aufgrund von Prognosen und unter Zeitdruck treffen. Falls dann etwas schiefgeht, drohen nicht nur Rausschmiss und zivilrechtliche Haftung, sondern auch Strafverfolgung und damit bürgerliche Ächtung.Die Strafjustiz wendet auf Managementfehler aller Art, die negative wirtschaftliche Folgen für die betroffenen Unternehmen haben, oft den Straftatbestand der Untreue (Paragraph 266 des Strafgesetzbuchs) an. Er scheint wie dafür geschaffen. Denn er setzt nur Folgendes voraus: Der “Täter” muss erstens die Pflicht zur Betreuung der Vermögensinteressen eines anderen haben, zweitens diese Pflicht verletzen und drittens dadurch einen Nachteil (Schaden) für das betreute Vermögen verursachen.Dabei muss er zwar vorsätzlich handeln, also mit Wissen und Wollen. Doch soll sogenannter bedingter Vorsatz ausreichen. Er liegt vor, wenn der Sachverhalt zumindest für möglich gehalten und “billigend” in Kauf genommen wird. Nicht erforderlich ist für eine Strafbarkeit wegen Untreue, dass der Täter sich oder jemand anderen bereichert hat oder dies wollte. Seit langem in der KritikDas könnte als ebenso schlichte wie umfassende strafgesetzliche Beschreibung eines jeden Managementfehlers missverstanden werden. Bei manchen Entscheidungen von Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichten in Wirtschaftstrafverfahren wird zuweilen unterstellt, dass sie auf einem solchen Missverständnis beruhen. Seit langem stehen der Untreuetatbestand und seine Auslegung in der Strafverfolgungspraxis deshalb in der Kritik. Zum Teil wird lediglich eine restriktivere Auslegung und zurückhaltendere Strafverfolgung gefordert. Zum Teil wird der Untreuetatbestand jedoch insgesamt für verfassungswidrig und damit nichtig gehalten, und zwar, weil er wegen seiner Weite gegen das verfassungsrechtliche Gebot gesetzlicher Bestimmtheit der Strafbarkeit (Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes) verstoße.In diese Debatte hat sich das Bundesverfassungsgericht nun mit einem Beschluss vom 23. Juni 2010 (2 BvR 2559/08) eingeschaltet. Die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des Straftatbestands der Untreue hat es mit einem vermittelnden “ja, aber” beantwortet, das für seine Rechtsprechung nicht untypisch ist.Zwar genüge der Untreuetatbestand “noch” dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot für Strafvorschriften. Doch müsse er in der Praxis “hinreichend restriktiv und präzisierend ausgelegt” werden. Für die restriktive Auslegung hat das Bundesverfassungsgericht insbesondere die folgenden Hinweise gegeben: Die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht müsse “klar und deutlich (evident)” sein. Ferner dürfe von einer Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht nicht ohne Weiteres auf einen Vermögensnachteil geschlossen werden. Schließlich müsse ein Nachteil nicht nur konkret festgestellt sondern auch betragsmäßig ermittelt werden, und sei es durch einen Sachverständigen, wenn komplexe wirtschaftliche Analysen erforderlich sind. Das gelte gerade auch dann, wenn bereits wegen einer Gefährdung von Vermögenspositionen ein Vermögensnachteil angenommen wird, also ein sogenannter Gefährdungsnachteil.Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluss auch die Anwendung des Untreuetatbestands für drei sehr praxisrelevante Fallgruppen grundsätzlich gebilligt: die Bildung schwarzer Kassen zu Korruptionszwecken, die Zahlung überobligatorischer Vergütungen und Kreditentscheidungen bei Banken. Einen Fall einer solchen Kreditentscheidung hat es allerdings an das zuständige Landgericht zurückverwiesen, weil ein Gefährdungsnachteil zwar angenommen, aber nicht konkret festgestellt worden sei.Es bleibt zu hoffen, dass die Strafjustiz bei der künftigen Anwendung des Untreuetatbestands die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts zur restriktiven Auslegung auch beherzigt. Skeptisch macht insoweit zum Beispiel ein Urteil des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 27. August 2010 (2 StR 111/09). Es erhält eine Verurteilung von Managern wegen strafbarer Beteiligung an einer Untreue im Zusammenhang mit einer schwarzen Kasse aufrecht. Dabei zitiert es wiederholt den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts und nimmt damit wohl für sich in Anspruch, dessen Maßgaben zur hinreichend restriktiven Auslegung beachtet zu haben.Jedoch fällt in dem Urteil insbesondere auf, dass die festgestellte Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht lediglich en passant als “gravierend” bezeichnet wird. Man vermisst aber eine präzise Aussage zu der in der Rechtsprechung und der Rechtswissenschaft bislang umstrittenen Frage, ob ein Verstoß gegen eine Vermögensbetreuungspflicht einen “gravierenden” Pflichtverstoß voraussetzt. Das Erfordernis eines “gravierenden” Pflichtenverstoßes hatte der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in drei Entscheidungen angenommen, bevor es der 3. Strafsenat in seinem Urteil im Fall “Mannesmann” wieder fallen gelassen hat. Klare Aussage zu erwartenDas Bundesverfassungsgericht hat jedoch nun in seinem Beschluss klar und deutlich ausgesprochen, dass eine “gravierende” Pflichtverletzung nur dann angenommen werden könne, wenn sie “evident” sei; und eine “evidente” Pflichtenverletzung hat es ja für eine Verletzung einer Vermögensbetreuungspflicht vorausgesetzt. Danach wäre auch vom Bundesgerichtshof insoweit eine klarere Aussage zu erwarten.Die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte sollten insbesondere bei der Anwendung des Straftatbestands der Untreue den strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz und die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts dazu nicht nur formal, sondern auch inhaltlich anerkennen. Zurückhaltung ist dabei nicht etwa erst bei abschließenden gerichtlichen Entscheidungen geboten, sondern auch und vor allem schon dann, wenn im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren über die Einleitung und Durchführung eines – für die Betroffenen Unternehmen und Manager an sich schon belastenden – Verfahrens oder über Zwangsmaßnahmen wie Durchsuchungsaktionen oder gar Verhaftungen entschieden wird.Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss eigens darauf hingewiesen, dass es sich für zuständig hält zu prüfen, ob die Strafgerichte in der Praxis den Untreuetatbestand ausreichend begrenzen, konturieren und präzisieren. Hoffentlich wird das allenfalls in Ausnahmefällen erforderlich sein, dann jedoch auch jeweils ebenso klar erfolgen wie in dem bereits vorliegenden Beschluss.Für Fehlverhalten von Managern besteht sicherlich kein rechtsfreier Raum, auch nicht im Hinblick auf den Untreuetatbestand und andere Straftatbestände. Doch gilt auch für Manager, dass nicht jeder Fehler rechtlich relevant oder gar strafbar sein muss. Zu den grundlegenden Gemeinplätzen im Strafrecht gehört, dass es “fragmentarischen Charakter” hat und Ultima Ratio ist. Diese Grundsätze sollten auch bei Managementfehlern nicht nur von der Strafjustiz stets berücksichtigt werden, sondern sich auch in den Medien und in der öffentlichen Meinung durchsetzen, nicht zuletzt bei der weiteren Aufarbeitung der Folgen der Finanzkrise.—-*) Dr. Heiner Hugger ist Partner im Frankfurter Büro der internationalen Anwaltssozietät Clifford Chance.