Finanzen persönlich

Ohne Eigenkapital ins eigene Heim

Immer mehr Banken bieten 100-Prozent-Finanzierungen an - Die Risiken sind enorm - Erhebliche Mehrkosten

Ohne Eigenkapital ins eigene Heim

Von Heino Reents 20 % – so lautete bislang die magische Zahl, die für viele junge Familien eine schier unüberwindliche Größe darstellte. Gemeint ist der Prozentsatz, der an Eigenkapital mitgebracht werden muss, um hierzulande von der Bank einen Baukredit bewilligt zu bekommen. Ohne diese 20 % eigenes Kapital blieb der Traum vom eigenen Haus bislang oft unerfüllt.Als Faustformel gilt in der Branche: Das jährliche Nettoeinkommen mit dem Faktor 9 multipliziert ergibt die mögliche Kreditsumme. Wer Monat für Monat demnach 2 000 Euro netto verdient, darf also auf 216 000 Euro Baukredit hoffen. Das Angebot steigtDoch der harte Konkurrenzkampf unter den Banken führt dazu, dass immer mehr Institute hierzulande eine Vollfinanzierung anbieten. Einige Banken gehen sogar noch darüber hinaus und finanzieren bis zu 120 % der für den Hausbau beziehungsweise -kauf erforderlichen Summe. Der große Vorteil: Damit können auch Nebenkosten wie Notargebühren, Maklerprovision, Grunderwerbsteuer, Renovierungen oder der Einbau einer neuen Küche abgedeckt werden.Die Vorreiter auf dem Markt der Komplettfinanzierung sind Internetbanken und Direktanbieter. Über sie gelangen die Angebote ausländischer Banken aus den Niederlanden, Großbritannien und den USA auf den deutschen Markt. Denn in diesen Ländern ist Immobilienkauf komplett auf Pump schon lange üblich. Als Zielgruppe haben sich die Banken vor allem zwei Kundengruppen ausgesucht: Zunächst Akademiker, die schon nach wenigen Jahren in der Berufswelt so weit etabliert sind, dass sie ein Eigenheim erwerben wollen. Sie hatten in der Regel während des Studiums keine Möglichkeit, nennenswert Eigenkapital anzusparen. Die zweite Gruppe bilden Familien mit gutem Einkommen, die ihre finanziellen Reserven jedoch nicht durch den Kauf eines Hauses schmälern wollen.Während deutsche Hypothekenbanken traditionell Pfandbriefe nutzen, um sich die Mittel für die Kreditvergabe zu beschaffen, setzen die neuen Anbieter stärker auf Verbriefungen. Grund: Für Pfandbriefe darf nur der Teil des Kredits verwendet werden, der 60 % des Beleihungswerts entspricht. Nachfrage ist großDie Nachfrage bei Vollfinanzierungskrediten ist groß. Experten sprechen bereits von einer neuen Kreditkultur. So vergab der US-Finanzdienstleister GMAC-RFC, eine Tochter von General Motors, im vergangenen Jahr in Deutschland die neuen Kredite in Höhe von mehr als 1 Mrd. Euro – nach nur 240 Mill. Euro im Vorjahr. Ähnliche Zuwachsraten vermelden andere Banken.Für die Vollfinanzierung spricht, dass man in der Zukunft durchaus Geld sparen kann, weil die Zinsen für Hypothekendarlehen gerade sehr niedrig sind. Denn wer jetzt erst einmal abwartet und Eigenkapital anspart, riskiert, dass bei steigenden Bauzinsen ein Teil seines Eigenkapitals wieder durch höhere Kreditkosten aufgezehrt wird.Doch das Angebot lohnt sich nicht für jeden: Die Immobilie ohne Erspartes ist meist teuer erkauft. Der Schuldner muss in der Lage sein, viele Jahre lang den Kredit auch wirklich abzahlen zu können. Die Risiken sind enorm. Bricht die Vollfinanzierung zusammen, droht die Zwangsversteigerung. Hohe Tilgung empfohlenDenn klar ist: Eine Vollfinanzierung – so verlockend sie auch sein mag – hat ihren Preis. Nach Berechnungen der Zeitschrift Finanztest kosten Vollfinanzierungen 0,2 bis 0,4 Prozentpunkte mehr Zins als ein Hypothekendarlehen in Höhe von 80 % des Kaufpreises. Und wegen der hohen Kreditsumme raten Experten dazu, möglichst eine hohe Tilgung anzustreben. 2 oder 3 % sollten es schon sein. Dadurch steigt die monatliche Belastung weiter an. Folgendes Beispiel soll das verdeutlichen: Das ersehnte Traumhaus kostet 250 000 Euro. Wenn der Bauherr 20 % davon an Eigenkapital mitbringt, benötigt er ein Darlehen von 200 000 Euro. Bei einer Zinsbindung von 15 Jahren und einem Zinssatz von 4,7 % beträgt die monatliche Belastung bei 2 % Tilgung 1 117 Euro. Wer dagegen das Angebot einer Vollfinanzierung mit einem angenommenen Zinsaufschlag von 0,3 % wahrnimmt – also insgesamt 5 % Zinsen -, muss monatlich demnach 1 458 Euro aufbringen, das sind immerhin Monat für Monat etwa 30 % mehr.Die Kosten steigen sogar noch, wenn auch die 12 500 Euro Nebenkosten finanziert werden sollen. Statt 5 % kostet der Effektivzins dann plötzlich 5,36 % für die gesamte Summe. Das bedeutet: 12 500 Euro zusätzlicher Kredit führen zu über 1 500 Euro zusätzlichen Zinsen pro Jahr. Kein Wunder also, dass für eine Vollfinanzierung nicht jeder in Frage kommt. Ein sicherer Arbeitsplatz sowie ein überdurchschnittliches Einkommen sind die Grundvoraussetzung für eine Finanzierung ohne Eigenkapital. Alternative Forward-KreditAls Alternative zur Vollfinanzierung raten Verbraucherschützer zu einem Forward-Darlehen. Das ist ein Kredit, der zu einem fest vereinbarten Zeitpunkt in der Zukunft ausgezahlt wird. Damit werden hohe Risiken vermieden, gleichzeitig sichert man sich die niedrigen Zinsen. Für einen vergleichsweise geringen Aufschlag kann man mit Forward-Darlehen bis zu fünf Jahre lang die günstigen Zinsen von heute für den Hauskauf von morgen “bunkern” – und dazu noch Eigenkapital auf die Seite legen. Nach Angaben der Stiftung Warentest liegt der Zinsaufschlag für ein Forward-Darlehen mit zehnjähriger Zinsbindung bei einer Vorlaufzeit von drei Jahren im Mittel bei 0,74 Prozentpunkten gegenüber einem Darlehen mit sofortiger Auszahlung (www.stiftung-warentest.de/online/bauen_finanzieren). Sie rät aber, vor Abschluss eines Forward-Darlehens noch bei der bisherigen Bank ein Angebot zur sofortigen Umschuldung einzuholen.