RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: MARC BENZLER

Ohne Handelsabkommen käme es doch noch zu einem harten Brexit

EU und London müssen Marktzugang für Finanzdienstleistungen regeln

Ohne Handelsabkommen käme es doch noch zu einem harten Brexit

Herr Benzler, fast dreieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum steht mit dem 31. Januar 2020 der Tag fest, an dem das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlässt. Was bedeutet dies für den Finanzsektor?Mit Vollzug des Brexit verliert das Vereinigte Königreich seinen Status als EU-Mitgliedstaat und damit seinen privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt für Finanzdienstleistungen. Umgekehrt verlieren EU-Institute ihren weitgehend freien Zugang zum britischen Markt. Während des Übergangszeitraums bis 31. Dezember 2020 wird das Vereinigte Königreich jedoch wie ein EU-Mitglied behandelt. Damit können erlaubnispflichtige Finanzdienstleistungen wie zuvor unter dem sogenannten Europäischen Pass gegenüber EU-Kunden erbracht werden. Das Austrittsabkommen bindet aber weder Drittstaaten noch die Mitglieder des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Möchte die Regierung des Vereinigten Königreichs von diesen Staaten weiterhin als EU-Mitglied behandelt werden, muss sie tätig werden. Ist die Gefahr eines harten Brexit mit dem Austrittsabkommen gebannt?Sollten sich die Verhandlungspartner nicht auf ein Freihandelsabkommen einigen oder Finanzdienstleistungen darin nicht geregelt werden, käme es mit Ablauf des Übergangszeitraums zu einem harten Brexit. Der Übergangszeitraum kann einmalig bis maximal 31. Dezember 2022 verlängert werden. Die Auswirkungen eines solchen Brexit 2.0 können derzeit noch nicht abgeschätzt werden. Zwar hatten die Marktteilnehmer zusätzliche Zeit zur Vorbereitung. Die Übergangsvorschriften zur Abfederung eines harten Brexit stellen aber allein auf das Scheitern eines Austrittsabkommens ab, nicht auf das endgültige Scheitern der Verhandlungen. Hier müsste der Gesetzgeber gegebenenfalls erneut tätig werden. Ein entsprechendes Risiko besteht ebenfalls, sollten Finanzdienstleistungen bzw. der Marktzugang in einem Freihandelsabkommen nicht hinreichend geregelt werden. Die Regelung des Marktzugangs für Drittstaaten, einschließlich des Zugangs und der Anerkennung von Finanzmarktinfrastruktur, könnte auch in die politischen Überlegungen zur Ausgestaltung der Kapitalmarktunion eingebracht werden. Welchen Spielraum bietet das geplante Freihandelsabkommen?Bestehende Freihandelsabkommen regeln Finanzdienstleistungen, insbesondere den unmittelbaren Marktzugang, nur begrenzt. Die politische Absichtserklärung zum Austrittsabkommen bezieht sich daher auf das Instrument der Äquivalenz. Im Rahmen einer Äquivalenzentscheidung kann der Marktzugang für Kunden beziehungsweise Bereiche gewährt werden, bei denen es auf eine Vergleichbarkeit der Standards ankommt. Dies betrifft beispielsweise bestimmte Wertpapierdienstleistungen. Voraussetzung für eine solche Entscheidung ist unter anderem, dass die EU-Kommission die britische Gesetzeslage als mit dem EU-Recht vergleichbar ansieht. Die Entscheidung kann sie grundsätzlich zurücknehmen, zum Beispiel falls die derzeit dem EU-Recht noch entsprechenden britischen Standards aufgelockert werden oder die britische Regierung eine Weiterentwicklung des EU-Rechts nicht nachvollzieht. Nach aktuellem Recht ist eine Äquivalenzentscheidung aber nur für bestimmte Dienstleistungen und Produkte möglich. Ein umfassendes Äquivalenzregime sieht die politische Absichtserklärung nicht vor. Es ist auch nicht sehr wahrscheinlich, dass sämtliche Äquivalenzentscheidungen bis Ablauf des Übergangszeitraums getroffen werden können. Für die EU-Kommission ist klar, dass ein maßgeblicher Unterschied zum Binnenmarkt bestehen muss. Welche weiteren Möglichkeiten haben Finanzinstitute?Unabhängig von einer Äquivalenzentscheidung können sich deutsche Marktteilnehmer im Rahmen der passiven Dienstleistungsfreiheit jederzeit an Londoner Institute wenden, ohne dass letztere Gefahr liefen, unerlaubte Geschäfte zu tätigen. Allerdings wäre die gezielte Ansprache von Kunden durch britische Institute nach geltendem deutschen Recht unzulässig. Der Zugang zur Londoner Finanzmarktinfrastruktur wäre daher in jedem Fall erschwert.Dr. Marc Benzler ist Partner im Bereich Financial Regulatory bei Clifford Chance in Deutschland. Die Fragen stellte Helmut Kipp.