RECHT UND KAPITALMARKT

Operation gelungen, Patient tot?

Wie der deutsche Gesetzgeber Hochfrequenzhandel für außereuropäische Anbieter sperrt - Ausweichstrategien schwer zu realisieren

Operation gelungen, Patient tot?

Von Manuel Lorenz *)Am 15. Mai diesen Jahres ist das Gesetz zur Vermeidung von Gefahren und Missbräuchen im Hochfrequenzhandel in Kraft getreten. Der Titel ist eine Mogelpackung, denn tatsächlich reguliert das Gesetz nicht nur den Hochfrequenzhandel, sondern verschärft die Spielregeln für jegliche Formen des computergesteuerten Börsenhandels (als algorithmischer Handel oder kurz Algo-Trading bezeichnet). Algo-Trading wird im Gesetz definiert als Handel, bei dem ein Computeralgorithmus die einzelnen Auftragsparameter automatisch bestimmt. Server neben ServerHochfrequenzhandel ist eine Spielart des algorithmischen Handels, der gekennzeichnet ist durch “hochfrequente” Handelstechnik mit Nutzung von Infrastrukturen, die darauf abzielen, Latenzzeiten zu minimieren, sowie durch ein hohes untertägiges Aufkommen von Orders und Quotes oder Stornierungen. Mit dieser komplexen Definition will man Unternehmen erfassen, deren Handelstechnik primär technologiegetrieben ist und sich durch hohe Handelsvolumina oder zumindest ein hohes Auftragsaufkommen auszeichnet. Diese Händler haben typischerweise ihre Server direkt neben den Servern des Markplatzbetreibers platziert (Kollokation) oder angemietet (Proximity Hosting) oder sich durch Hochgeschwindigkeitszugänge möglicherweise entscheidende physikalische Vorsprünge beim Ausnutzen von minimalen Preisdifferenzen mit Hilfe hoher Orderanzahlen verschafft.Das hohe Orderaufkommen nimmt naturgemäß die Infrastruktur des Handelsplatzes exzessiv in Anspruch. Oft wird nur ein Bruchteil der Orders ausgeführt, bevor diese wieder storniert werden. Diese Orderflut erschwert es anderen Marktteilnehmern, ein verlässliches Bild der Marktlage zu erhalten. Darüber hinaus unterstellt man den Händlern unfaire Methoden – etwa, dass die hohen Ordervolumina gezielt das Handelssystem verlangsamen, die tatsächliche Marktlage verschleiern oder sogar einen falschen Eindruck von der Marktlage erzeugen sollen. Zudem besteht das Risiko, dass fehlerhafte Handelsprogramme zu ungewollten Kursstürzen (Flash Crashes) führen, was in der Praxis schon mehrfach vorgekommen ist.Bei aller Kritik an den Hochfrequenzhändlern ist unbestritten, dass diese in einem ganz erheblichen Maße zur Liquidität des Marktes beitragen und damit die Effizienz der Kapitalmärkte verbessern.Mit dem Hochfrequenzhandelsgesetz nimmt der deutsche Gesetzgeber die gegenwärtig im Rahmen der Reform der EU-Finanzmarktrichtlinie diskutierten Regeln vorweg. Wie schon bei vielen europäischen Regelungsvorhaben geht den Deutschen der EU-Gesetzgebungsprozess zu langsam, und sie preschen mit eigenen Regulierungen vor. Das führt dazu, dass nach Inkrafttreten der EU-Regeln häufig noch einmal nachgebessert werden muss. Nur mit BaFin-ScheinErstens benötigen Hochfrequenzhändler künftig eine Erlaubnis der BaFin als Wertpapierdienstleister. Wer am 15. Mai 2013 an deutschen Börsen oder Handelssystemen Hochfrequenzhandel unmittelbar oder mittelbar betrieben hat und noch keine BaFin-Erlaubnis besitzt, muss diese bis 14. November 2013 (Ausländer bis 14. Februar 2014) beantragen. Die Übergangsfrist gilt aber nicht für nach dem 15. Mai neu eintretende Marktteilnehmer. Wegen der engen Definition soll die Zahl der aktuell betroffenen ausländischen Unternehmen, die eine Lizenz benötigen, nur eine niedrige zweistellige Zahl sein. Für ausländische Unternehmen bedeutet die Erlaubnispflicht, dass diese in Deutschland eine Tochtergesellschaft oder mindestens eine Niederlassung gründen müssen. Besonders brisant ist die Erlaubnispflicht für Hochfrequenzhändler, die nur noch eine Gnadenfrist von sechs bzw. neun Monaten haben, bevor sie den Erlaubnisantrag eingereicht haben müssen. Vor allem für ausländische Händler außerhalb des EWR, die an deutschen Börsen handeln, ist das ein Problem, weil sie die Erlaubnis nur bekommen, wenn sie eine deutsche Niederlassung eröffnen oder hier eine Tochtergesellschaft gründen.Zweitens werden ab 14. November 2013 die deutschen Börsen und Betreiber von sogenannten Multilateralen Handelssystemen Transaktionen, die über algorithmisches Handeln zustande gekommen sind, kennzeichnen müssen. Außerdem müssen sie schon jetzt angemessene Order/Transaktions-Verhältnisse festlegen und ihre Gebühren so ausgestalten, dass die “übermäßige” Inanspruchnahme der Systeme unattraktiv wird. Beides dient dazu, Handelspraktiken einzuschränken, bei denen nur ein Bruchteil der Orders tatsächlich ausgeführt wird, bevor diese wieder gelöscht werden.Drittens müssen alle Händler, die algorithmische Handelstechniken verwenden, zusätzliche Vorkehrungen hinsichtlich der Belastbarkeit der Programme und Systeme, zur Vermeidung von “fehlerhaften” Aufträgen und Störungen des Markts sowie gegen Marktmanipulationen treffen.Viertens wurden neue Tatbestände definiert, die manipulative Handelstechniken verbieten und unter Strafe stellen. Aufträge, die das Handelssystem lahmlegen oder verlangsamen sollen, etwa die Erkennung “echter” Wertpapierorders erschweren oder irreführende Eindrücke über die Marktsituation hervorrufen (sogenanntes Quote Stuffing, Layering beziehungsweise Spoofing), sollen bestraft werden. Drei OptionenHochfrequenzhändler können in den sauren Apfel beißen und eine Erlaubnis beantragen. Wegen der hohen Folgekosten (Büro mieten, Angestellte einstellen, hierzulande Steuern zahlen, Meldepflichten, Compliance etc.) ist das im Vergleich zur jetzigen Situation, bei der sich die Präsenz auf einen angemieteten Server beschränkt, ziemlich unattraktiv. Offengelassen hat die BaFin die Option, dass ein im Ausland beaufsichtigtes Unternehmen der Erlaubnispflicht durch Gewährung einer Freistellung entgehen kann. Andererseits ist damit zu rechnen, dass die EU hier bald nachzieht, wenn die reformierte Finanzmarktrichtlinie verabschiedet wird und die Umsetzungsfrist abgelaufen ist. Man könnte als nichteuropäischer Händler das deutsche “Vorpreschen” als eine Chance begreifen, hier den Stier bei den Hörnern zu packen, sich der Regulierung unterwerfen und dafür den einen “First Mover”-Vorteil gegenüber ausländischen Wettbewerbern herauszuspielen: Mit der in Deutschland erworbenen Lizenz einer eigens gegründeten Tochtergesellschaft dürfte man dann in ganz Europa Hochfrequenzhandel betreiben (Europäischer Pass). Das wird aber nur dann geschehen, wenn diese ausländischen Hochfrequenzhändler den europäischen Markt insgesamt auch unter diesen verschärften Prämissen noch für attraktiv halten und nicht Europa als Betätigungsfeld zukünftig links liegen lassen. Ohne Erlaubnis?Alternativ könnten die Hochfrequenzhändler versuchen, ein Schlupfloch zu finden, um ohne BaFin-Erlaubnis weiter zu handeln. Weil das Gesetz aber auch den “mittelbaren” Hochfrequenzhandel durch Nutzung des Zugangs eines anderen Handelsteilnehmers umfasst, dürften Ausweichstrategien schwer zu realisieren sein. Man könnte allenfalls den Handel so umstrukturieren, dass er nicht mehr als hochfrequent gilt. So soll dies nach der Praxis der BaFin nur bei Kollokation oder Proximity Hosting mit einer Geschwindigkeit von 10 Gigabit/Sekunde der Fall sein. Steht der Server in der nächsten Stadt, liegt schon kein Hochfrequenzhandel mehr vor. Auch wird die Grenze erst bei einem Mitteilungsaufkommen von 75 000 pro Tag überschritten. Ein Herunterbremsen oder eine Volumenreduzierung der Handelsaktivität dürfte allerdings wenig attraktiv sein.Sonst bliebe nur die Option übrig, den Hochfrequenzhandel in Deutschland beziehungsweise in Europa vollständig einzustellen. Dann wird sich weisen, ob die Regulierung dem Markt guttut oder ob sich, wie viele erwarten, auf einmal ein riesiges Marktliquiditätsloch auftut. Die Märkte werden womöglich illiquide, weniger effizient, volatiler und teurer, wenn die Liquiditätsspender plötzlich wegbleiben.—-Dr. Manuel Lorenz ist Partner bei Baker & McKenzie in Frankfurt.