RECHT UND KAPITALMARKT

Patentlösung gegen die Pleitewelle gesucht

Das Schutzschirmverfahren ist kein Allheilmittel - Es gibt andere Möglichkeiten

Patentlösung gegen die Pleitewelle gesucht

Von Franz Bernhard Herding und Sven Prüfer *)Die Covid-19-Pandemie ist ein Katalysator. Für die Digitalisierung, für mobiles Arbeiten, aber auch für die Notwendigkeit, krisengeschüttelte Unternehmen zu restrukturieren. In der Finanzkrise 2008 spannten Politiker und Notenbanker finanzielle Schutzschirme zumeist für systemrelevante Banken und Versicherungen auf. Dieses Mal ruhen die Hoffnungen von Unternehmen unterschiedlichster Branchen vor allem auch auf dem insolvenzrechtlichen Schutzschirm, der 2012 durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) eingeführt worden ist.Nachdem der Ferienflieger Condor bereits im Herbst 2019 im Schatten der Thomas-Cook-Insolvenz ein Schutzschirmverfahren beantragt hatte, folgten im Frühjahr bedingt durch die Covid-19-Krise Schlag auf Schlag bekannte Namen: Esprit, Karstadt Kaufhof, Appelrath Cüpper – sie alle suchten Zuflucht in einem Schutzschirmverfahren. Selbst für die Lufthansa oder die TUI wurde es international diskutiert. EigenverwaltungWas also ist ein Schutzschirm? Erstens: Der Schutzschirm ist ein Insolvenzverfahren – auch hier geht es um ein Gesamtvollstreckungsverfahren unter gerichtlicher Kontrolle, in dem jeder Gläubiger nur auf eine teilweise Befriedigung in Höhe der Quote hoffen darf, sofern die von ihm zur Insolvenztabelle angemeldete Forderung festgestellt wird. Zweitens: Der Schutzschirm ist ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung – dies macht es für Unternehmen attraktiv, denn die bisherige Geschäftsleitung führt die Geschäfte weiter, wenngleich üblicherweise mit Unterstützung durch insolvenzerfahrene Interimsmanager (landläufig als Chief Restructuring Officer, CRO, bezeichnet). Hinzu kommt der gerichtlich eingesetzte Sachwalter, der im Interesse der Gläubigergesamtheit stets die Geschäftsleitung überwacht. Drittens: Der Schutzschirm ist ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung, bei dem die Gesellschaft zahlungs- und sanierungsfähig ist und das Gericht von dem seitens der Gesellschaft vorgeschlagenen Sachwalter nur abweichen darf, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist. Damit kann das Unternehmen in der Regel darauf hinwirken, dass ein Sachwalter seines Vertrauens das Verfahren mitgestaltet – ein entscheidender Aspekt, weil sachliche Kompetenz, persönliche Integrität und eine “gute Chemie” zwischen den Beteiligten für das Gelingen eines Schutzschirmverfahrens wesentlich sind.Hinzu kommt: Ein Schutzschirm hat einen positiven Spin, denn der Antrag erfolgt durch den Schuldner proaktiv und ist nur möglich bei Zahlungs- und Sanierungsfähigkeit, womit an betroffene Lieferanten, Kunden und Arbeitnehmer das Signal gesandt wird: Das Unternehmen hat eine realistische Chance auf eine durchgreifende Sanierung und möchte diese nutzen. Zudem ordnet das Gericht an, dass ein Insolvenzplan innerhalb von längstens drei Monaten vorgelegt werden soll. Damit wird eine Sanierung mit den Mitteln des Insolvenzrechts innerhalb eines kurzen Zeitraums angestrebt. Durch die verpflichtende Vorlage eines Insolvenzplans wird auch sichergestellt, dass die Gläubiger des Unternehmens insgesamt an der Sanierung des Unternehmens aktiv teilhaben, da ohne ihre Zustimmung ein Insolvenzplan nicht zustande kommen kann.Dass die Eigenverwaltung den Gläubigern auf der Nase herumtanzt, muss nicht befürchtet werden. Fälle, die nicht für einen Schutzschirm geeignet sind, wie etwa German Pellets, werden vom Gericht aussortiert, häufig auch unter Berücksichtigung ablehnender Stellungnahmen der Gläubiger. Die Eigenverwaltung wird darüber hinaus zwingend in mehrfacher Weise an die Interessen der Gläubiger rückgekoppelt und überwacht: laufend durch den gerichtlich bestellten Sachwalter sowie bei wesentlichen Entscheidungen durch den Gläubigerausschuss und – ganz entscheidend – durch die notwendige Zustimmung der Gläubigergruppen zum Insolvenzplan, wobei eine Zustimmung zum Insolvenzplan nur zu erwarten ist, wenn dieser ein besseres Ergebnis verspricht als eine übertragende Sanierung mit sich bringt.Nach anfänglichen Zweifeln bei seiner Einführung erlangt der Schutzschirm inzwischen immer öfter die ihm ursprünglich zugedachte besondere Attraktivität als Verfahrensform für eine gerichtlich unterstütze Sanierung. Tatsächlich bietet er besondere Chancen, aus einem Insolvenzverfahren in leistungs- und finanzwirtschaftlicher Hinsicht gestärkt hervorzugehen. Doch eine Patentlösung für die Restrukturierung angeschlagener Unternehmen bietet auch er nicht, denn auch der Schutzschirm ist und bleibt ein Insolvenzverfahren.Für Unternehmen und andere Beteiligte wird es in den kommenden Monaten vielmehr darauf ankommen, unter Berücksichtigung der Neuerungen, die der Gesetzgeber im Zuge der Covid-19-Krise zur Stabilisierung der Wirtschaft schnell eingeführt hatte, auch die neuen Instrumente der vorinsolvenzlichen Restrukturierung in Deutschland und im europäischen Ausland zu kennen und im jeweiligen Krisenfall je nach Bedarf klug zur Anwendung zu bringen.In Deutschland wurde (zunächst) bis zum 30. September 2020 die Insolvenzantragspflicht für Covid-19-bedingte Pleiten ausgesetzt. Ob danach eine Verlängerung oder eine Insolvenzwelle kommt, bleibt abzuwarten. Aktuell wird mit einer zeitweisen Verlängerung der überschuldungs-, nicht aber der zahlungsunfähigkeitsbedingten Insolvenzantragspflicht gerechnet.Parallel wurden Stützungsmaßnahmen durch Marktteilnehmer wie etwa Neukredite insbesondere anfechtungs- und haftungsrechtlich privilegiert. Zudem stehen den Unternehmen die KfW- und Bürgschaftsprogramme der Länder zur Verfügung, um akute Liquiditätssorgen zu kompensieren. Vielen Unternehmen haben die staatlichen Stützungsprogramme kurzfristig geholfen, jedoch erhöht die Beteiligung der öffentlichen Hand die Komplexität bei jeder weiteren Krisenbewältigung.Der ebenfalls bereits im März aufgegleiste Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WStFG) hat mit Lufthansa einen ersten prominenten Fall. Die erheblichen Mittel können zur Überwindung von Liquiditätsengpässen und Stärkung der Kapitalbasis genutzt werden und sind für Unternehmen vorgesehen, deren Bestandsgefährdung erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft, die technologische Souveränität, Versorgungssicherheit, kritische Infrastrukturen oder den Arbeitsmarkt hätte. Auch diese, gegenüber den KfW- und Bürgschaftsprogrammen subsidiäre Stützungsmöglichkeit wird in den nächsten Monaten in einzelnen Fällen eine besondere Rolle spielen. MeilensteinEin Meilenstein für die vorinsolvenzliche Restrukturierung schließlich wird die Einführung des präventiven EU-Restrukturierungsrahmens in Deutschland sein. Wenn er in Kraft tritt, wird es erstmals bereits im Vorfeld der Insolvenz und auf Initiative des Managements möglich sein, mittels Mehrheitsentscheidung von Gläubigern und im Schutz eines Moratoriums eine finanzwirtschaftliche Restrukturierung umzusetzen, ohne von obstruierenden Gläubigern mit Hold-out-Positionen daran gehindert zu werden. Einige Fragen, wie die Rolle des Restrukturierungsbeauftragen, die Reichweite des Moratoriums, die Ausgestaltung eines (klassenübergreifenden) Cram-down oder die Funktion des insolvenzrechtlichen Überschuldungstatbestands, sind auch nach monatelanger Diskussion noch offen. Ein Umsetzungsgesetz wird in diesen Wochen hierzulande nichtsdestoweniger ungeduldig erwartet.Wie auch immer sich die Lage für das jeweilige Unternehmen entwickelt – der Schutzschirm bekommt Konkurrenz: insbesondere vorinsolvenzliche Instrumente der Restrukturierung werden neue Möglichkeiten eröffnen, aus der Krise gestärkt hervorzugehen. Klar ist angesichts der Dynamik aber: Übersichtlicher wird es für die Unternehmen nicht werden. Dies gilt umso mehr als auch ein Blick in unsere Nachbarländer – etwa in die Niederlande mit ihrem sogenannten “Dutch Scheme” – weitere Optionen eröffnet. *) Dr. Franz Bernhard Herding und Dr. Sven Prüfer sind Partner von Allen & Overy im Bereich Insolvenzrecht & Restrukturierung.