Pensionsvermögen sichern trotz Staatsschuldenkrise
Finanzielle Repression, überalterte Gesellschaften und vielfach rekordverdächtige Staatsschulden – das ist der gefährliche Cocktail, der Europas Renten- und Pensionssysteme bedroht sowie Politik, Investoren und Treuhänder von Pensionsvermögen vor große Herausforderungen stellt. “Wenn Europa heute 7 % der Weltbevölkerung stellt, rund 25 % des globalen Bruttoinlandsprodukts produziert, aber 50 % der globalen Sozialausgaben zu finanzieren hat, ist es offensichtlich, dass es sehr hart daran arbeiten muss, um Wohlstand und Lebensstandard zu halten”, so Bundeskanzlerin Angela Merkel. Schneeballsystem UmlageMerkels Worte zeigen, dass die Politik kein Erkenntnisproblem hat. Allerdings erlangen die Zahlen dann echte Brisanz, wenn man sie im Zusammenhang mit der demografischen Entwicklung in Europa sieht. Denn die rückläufige Bevölkerungsentwicklung stellt nicht nur eine Wachstumsbremse dar. Sie bedeutet auch, dass sich die im Umlageverfahren finanzierten Sozialsysteme als Schneeballsysteme entpuppen, bei denen immer weniger Beitragszahlern immer mehr Leistungsempfänger gegenüberstehen. Solide Haushaltspolitik nötigGenau betrachtet ist die demografische Schwäche Deutschlands und Europas für sich genommen kein Drama. Geringeres Wachstum kann bei einer schrumpfenden Bevölkerung ausreichend sein, um den Wohlstand pro Kopf zu erhalten oder gar zu mehren. Voraussetzung ist aber die Bereitschaft zu solider Haushaltspolitik, auch und gerade um den Preis politisch unpopulärer Sparanstrengungen. Einstweilen beschreitet die Politik den vermeintlich bequemeren Weg der finanziellen Repression.So können große Kapitalsammelstellen kraft aufsichtsrechtlicher Vorgaben gar nicht anders, als einen bedeutenden Teil der ihnen anvertrauten Pensionsvermögen trotz negativer Realrenditen in “sichere” Staatsanleihen zu investieren.In der aktuellen Diskussion um Ursachen und Lösungsansätze der europäischen Finanz- und Staatsschuldenkrise wird denn auch viel über Symptome, aber wenig über die eigentliche Ursache gesprochen: Unsere westlichen Demokratien haben in wirtschaftlichen und demografischen Boomzeiten zu Lasten der kommenden Generationen zu viel versprochen. Und wir sollten uns eingestehen, dass dies seitens der Politiker und der Wähler wider besseres Wissen geschehen ist – nicht nur in Griechenland. Implizite VerschuldungBisher jedoch werden Debatten über Staatsschulden und zusätzliche Sozialleistungen von den Regierungen der EU ganz überwiegend unter Bezug auf die explizite Staatsverschuldung geführt. In Deutschland redet man derzeit also über Staatsschulden von gut 80 % des Bruttosozialprodukts (BSP). Tatsächlich belaufen sich die Schulden aber auf circa 200 % des BSP, wenn man neben den am Kapitalmarkt eingegangenen Verbindlichkeiten auch bereits zugesagte Sozialleistungen einbezieht, analog zur Bilanzierung von Pensionszusagen in Unternehmen. Dies zeigt eine Ende 2011 erstellte Studie von Professor Bernd Raffelhüschen von der Universität Freiburg. Vergleichbare Studien etwa der OECD kommen teilweise zu noch deutlich drastischeren Ergebnissen. Keine NachhaltigkeitDer Befund lautet also: In Europas derzeit stärkster Volkswirtschaft belaufen sich die Schulden auf 200 % des BSP. Dem stehen jährliche Steuereinnahmen von weniger als der Hälfte des BSP gegenüber. Eine nachhaltige Finanzierung sieht anders aus! Dies gilt umso mehr, als das Durchschnittsalter der Bevölkerung in Deutschland seit 1980 von etwa 35 auf 45 Jahre angestiegen ist und bis 2050 auf über 50 Jahre klettern wird. Trotzdem erhalten Anleger auf 10-jährige Bundesanleihen Anfang 2013 lediglich eine Rendite (vor Steuern) von etwa 1,5 % pro Jahr. Bei einer Inflationsrate von gut 2 % bedeutet dies effektiv einen Verlust. Auf Repression reagierenInvestoren müssen auf verschiedenen Ebenen auf diese Art der finanziellen Repression, die von der Politik gewünscht und von den Zentralbanken gefördert wird, reagieren. Zunächst sollten Investoren als Bürger gegenüber ihren Volksvertretern viel stärker als bisher auf haushaltspolitischer Transparenz bestehen und eine Offenlegung auch der impliziten Staatsschulden einfordern; was für Unternehmen seit den 80er Jahren zwingend ist, sollte endlich auch für die Regierungen gelten. Erst auf Basis solcher realistischen Zahlen lassen sich Sparerfolge einer Regierung wirklich beurteilen und Forderungen nach zusätzlichen staatlichen Leistungen diskutieren.Zugleich sollten die großen Kapitalsammelstellen als Treuhänder für ihre Kunden diese Art der politischen Lobbyarbeit stärker auf ihre Agenda setzen. Denn aufsichtsrechtliche Regelwerke wie Solvency II, die primär auf der technischen Ebene diskutiert werden, sind nichts anderes als verfeinerte Ausdrucksformen finanzieller Repression.Das Ende risikofreier Anlagen mit positiven Realrenditen erfordert von den Investoren aber auch ein Umdenken bei ihren Anlagestrategien. Vorbei sind die Zeiten, in denen Institutionen ihre Zusagen mit sicheren Staatsanleihen und Pfandbriefen bequem erfüllen konnten und Risikoanlagen wie Aktien nur zur Ertragsoptimierung eingesetzt wurden. Zur Erzielung realer Renditen ist heute im Normalfall das Eingehen von Investmentrisiken unumgänglich. Manch einer spricht denn auch von einer neuen Normalität. Zu deren Merkmalen gehört, dass etwa bei festverzinslichen Anlagen Investment-Grade-Unternehmensanleihen von Emittenten aus Europa, den USA und Asien eine zunehmend wichtige Rolle spielen, gefolgt von Aktien und Immobilien. Hochzinsunternehmensanleihen sowie Aktien und Anleihen aus Schwellenländern entwickeln sich nach und nach von taktischen Beimischungen zu strategisch wichtigen Anlageklassen. Letztlich geht es darum, direkt oder indirekt von Wachstumsmärkten zu profitieren, in Europa und gerade auch in den aufstrebenden Regionen der Welt. Leistungszusagen ändernDie neue Normalität wird die Art der Zusagen im Bereich der Altersvorsorge mindestens ebenso deutlich verändern wie die Kapitalanlage. Beitragszusagen statt garantierter Leistung sind auch auf dem Kontinent, insbesondere in Holland und Deutschland auf dem Vormarsch. Denn bei konventionellen Leistungszusagen (sogenannte Defined Benefits, kurz DB-Pläne) ist nicht nur die langfristige Finanzierbarkeit zunehmend in Frage gestellt. Auch die kurzfristigen Bilanzrisiken der DB-Pläne sind für Unternehmen nicht mehr akzeptabel. An Beiträgen orientierenMit beitragsorientierten, fondsgebundenen Versorgungszusagen (sogenannten Defined Contributions, kurz DC-Plänen) hingegen können Unternehmen ihre finanziellen und bilanziellen Risiken begrenzen – und gleichzeitig ihre Kapitalanlage im Interesse der Begünstigten freier und langfristiger gestalten. Damit könnten DC-Pläne eine – dringend gebotene – Renaissance der betrieblichen Vorsorge in Deutschland ermöglichen.