Recht und Kapitalmarkt

Positive Prognose als Rettungsanker

Der geänderte Überschuldungsbegriff soll bis Ende 2013 gelten - Doch er hilft nur wenigen Unternehmen in der Krise

Positive Prognose als Rettungsanker

Von Andreas Spahlinger und Luidger Röckrath *)Die ursprünglich bis zum 31. Dezember 2010 befristete Änderung des Überschuldungsbegriffs durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz 2008 (FMStG) soll noch vor Ende der Legislaturperiode bis Ende 2013 verlängert werden. Es gibt zwar gute Gründe für eine dauerhafte Beibehaltung des neuen Überschuldungsbegriffs. Ob er einen nennenswerten Beitrag zur Krisenbewältigung zu leisten vermag, ist zu bezweifeln.Mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz ist der Gesetzgeber vorübergehend zum früheren Überschuldungsbegriff zurückgekehrt. Soweit die Fortführung überwiegend wahrscheinlich ist, also eine positive Fortführungsprognose gegeben ist, ist eine Überschuldung ausgeschlossen, selbst wenn die Schulden das nach Fortführungswerten bewertete Vermögen übersteigen. Hintergrund der Änderung war die Befürchtung, dass infolge der Finanzkrise auch Fortführungswerte (insbesondere von Aktien und Immobilien) so stark gemindert sein könnten, dass an sich überlebensfähige Unternehmen in die Insolvenz getrieben würden.Ziel der Reform war primär die Vermeidung der Insolvenz von Kreditinstituten, die durch die Marktbewertung von bestimmten Finanzprodukten in Bedrängnis geraten waren. Da diese aber regulatorischen Eigenkapitalvorschriften unterliegen, die lange vor der Schwelle der Insolvenz eingreifen, darf die Sinnhaftigkeit dieser Regelung durchaus in Frage gestellt werden. Bei anderen Unternehmen ist die Bewertung des Vermögens durch die Finanzkrise nicht im gleichen Ausmaß betroffen. Sie litten und leiden eher unter der zurückhaltenden Kreditvergabe der Banken, was sich zwar unmittelbar auf die Fortführungsprognose, aber nicht auf die Fortführungswerte auswirkt. Die meisten Unternehmen, denen die Krise zu schaffen macht, haben oder erwarten Liquiditätsprobleme. Ihnen hilft die Verlängerung des geänderten Überschuldungsbegriffs nicht, weil bereits Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit droht. Nur vorübergehendFür an sich überlebensfähige Unternehmen, die nur wegen der Finanz- und Wirtschaftskrise vorübergehend zahlungsunfähig werden, sah der Gesetzgeber bisher keinen Handlungsbedarf. Sie müssen wie bisher bei Zahlungsunfähigkeit Insolvenzantrag stellen. Sollte sich die Krise noch länger fortsetzen oder gar ausweiten, wird man hier Erleichterung schaffen müssen, um eine noch nie dagewesene Welle von Insolvenzen zu vermeiden.Ist damit die Verlängerung des geänderten Überschuldungsbegriffs überhaupt sinnvoll? Hintergrund der Verlängerung bis Ende 2013 dürfte die in der Fachliteratur geäußerte Befürchtung sein, dass die automatische Rückkehr zur früheren Rechtslage am 1. Januar 2011 unerwünschte Vorwirkungen zeitigen könnte. Wird ein Unternehmen aus heutiger Sicht trotz positiver Fortführungsprognose am 1. Januar 2011 rechnerisch nach Fortführungswerten überschuldet sein, müsste bei Rückkehr zur alten Rechtslage unverzüglich Insolvenzantrag gestellt werden. Damit stellt sich die Frage, ob dieses Unternehmen heute überhaupt noch eine positive Fortführungsprognose hat und nicht wegen Überschuldung an sich heute schon Insolvenzantrag stellen müsste.Das Problem der möglichen Vorwirkung der Rückkehr zum vorherigen Überschuldungsbegriff wird allerdings durch die Verlängerung des geänderten Überschuldungsbegriffs nicht gelöst, sondern nur verschoben. Es ließe sich vermeiden, wenn der geänderte Überschuldungsbegriff für unbestimmte Zeit fortgelten würde. Eine spätere Rückkehr zum vorherigen Überschuldungsbegriff wäre damit nicht ausgeschlossen.Ob eine solche Rückkehr überhaupt sachgerecht wäre, steht auf einem anderen Blatt. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll mit der Änderung des Überschuldungsbegriffs vermieden werden, dass an sich überlebensfähige Unternehmen in die Insolvenz getrieben werden. Macht man die Überlebensfähigkeit an seiner positiven Fortführungsprognose fest, muss dies auch in Nachkrisenzeiten gelten. Sollte sich der geänderte Überschuldungsbegriff in der derzeitigen Situation bewähren, ist kein Grund ersichtlich, ihn nicht unter Normalbedingungen dauerhaft fortgelten zu lassen.Viel mehr als die Frage, welcher Überschuldungsbegriff gilt, ist für die Praxis von Bedeutung, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen eine positive Fortführungsprognose hat. Hier hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass die Fortführungsprognose aus einem aussagekräftigen Unternehmenskonzept (Ertrags- und Finanzplan) herzuleiten sei. Einzelfragen sind durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt.In der aktuellen Finanzkrise ist oft die entscheidende Frage, ob ein Unternehmen in der Lage sein wird, im Prognosezeitraum fällig werdende Kredite zurückzuzahlen oder zu verlängern oder in dieser Zeit eine nach dem Ertrags- und Finanzplan erforderliche zusätzliche Finanzierung zu erhalten. Kommt es dabei auf Entscheidungen Dritter (Kreditgeber oder Gesellschafter) an, stellt sich die Frage, mit welcher Sicherheit die Finanzierung durch Dritte feststehen muss, um eine positive Prognose zu rechtfertigen. Erhebliches RisikoTeilweise wird vertreten, die von Dritten abhängige Liquidität dürfe nur dann berücksichtigt werden, wenn sie rechtsverbindlich gesichert und nicht nur wahrscheinlich sei. Wäre diese Auffassung richtig, dürften sehr viele Unternehmen, die aktuell keinerlei Liquiditätsprobleme haben und wahrscheinlich auch nie bekommen werden, überschuldet sein und müssten Insolvenzantrag stellen. Es kann kaum ernsthaft bezweifelt werden, dass es sich hierbei um überlebensfähige Unternehmen handelt. Richtigerweise ist daher für die Fortführungsprognose nur maßgeblich, welche Liquidität voraussichtlich zufließen wird, unabhängig davon, ob diese Liquidität vom Unternehmen selbst generiert oder von Dritten zur Verfügung gestellt wird.Solange diese Frage weder vom Gesetzgeber noch der Rechtsprechung abschließend geklärt ist, gehen Geschäftsführer und Vorstände persönliche Haftungsrisiken ein. Geschäftsführer und Vorstände, die trotz Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung keinen Insolvenzantrag stellen, haften unter bestimmten Voraussetzungen gegenüber der Gesellschaft und ihren Gläubigern und machen sich sogar strafbar. Insolvenzverwalter und Gläubiger haben ein Interesse, den Eintritt der materiellen Insolvenz weit in der Vergangenheit festzumachen, um möglichst hohe Haftungsansprüche aus Insolvenzverschleppung geltend zu machen. Überschuldung und zweifelhafte Fortführungsprognose können hier im Sinne einer Haftungsmaximierung instrumentalisiert werden. Der Überschuldungsbegriff beeinflusst damit weniger den Eintritt in das Verfahren (Insolvenzanträge wegen Überschuldung sind sowieso selten) als die Haftung der Organe. Nach der Rechtsprechung muss das in Anspruch genommene Organ die Fortführungsprognose darlegen und beweisen, um der Verschleppungshaftung zu entgehen.Geschäftsführer und Vorstände tun daher gut daran, die Prognose sorgfältig zu dokumentieren und in Krisensituationen sachkundige Berater hinzuzuziehen. Solange nicht abschließend geklärt ist, dass bei der Fortführungsprognose auch die von Dritten abhängigen Liquiditätszuflüsse bereits dann zu berücksichtigen sind, wenn sie überwiegend wahrscheinlich sind, werden Geschäftsführer und Vorstände, die keine Haftungsrisiken eingehen wollen, möglicherweise unnötige Insolvenzanträge stellen. Falls der Gesetzgeber bei der beabsichtigten Verlängerung des geänderten Überschuldungsbegriffs einen echten Beitrag zur Vermeidung der Insolvenz überlebensfähiger Unternehmen leisten will, sollte er klarstellen, dass bei der Fortführungsprognose für alle Umstände – auch die von Dritten abhängige Liquidität – überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich, aber auch ausreichend ist.—-*) Dr. Andreas Spahlinger ist Partner und Dr. Luidger Röckrath ist Counsel der Kanzlei Gleiss Lutz.