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Probleme und Potenziale von Schiefergas

Börsen-Zeitung, 29.6.2013 Während Deutschland den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreibt und der Strompreis jedes Jahr neue Rekordmarken erklimmt, hat sich in den USA in den letzten sieben Jahren eine ganz eigene Energiewende vollzogen: die...

Probleme und Potenziale von Schiefergas

Während Deutschland den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreibt und der Strompreis jedes Jahr neue Rekordmarken erklimmt, hat sich in den USA in den letzten sieben Jahren eine ganz eigene Energiewende vollzogen: die Schiefergasrevolution. Die kommerzielle Ausbeutung der riesigen amerikanischen Schiefergasvorkommen hat schon jetzt erhebliche Auswirkungen auf Wirtschaft und Umwelt. Und zwar nicht nur im Hauptabbaugebiet, den USA, sondern weltweit.Aus diesem Grund haben Aktienanalysten und Nachhaltigkeitsexperten von Dexia Asset Management die wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen der Schiefergasförderung in einer aktuellen Studie beleuchtet und geprüft, wie dieser neue Energieträger unter Nachhaltigkeitsaspekten zu bewerten ist. Energie-Autarkie für die USASchiefergas besteht wie Erdgas überwiegend aus Methan. Während sich konventionelles Erdgas in porösem Gestein befindet und sich in Blasen unterhalb undurchlässiger Gesteinsschichten sammeln kann, ist Schiefergas direkt im undurchlässigem Gestein gebunden, das durch hohen Druck großflächig aufgebrochen werden muss. Dazu wird eine Mischung aus rund 94,5 % Wasser, 5 % Sand und 0,5 % Chemikalien unter hohem Druck in die Bohrlöcher gepumpt. Diesen Vorgang nennt man Fracking.Die Entwicklung der FrackingTechnologie hat den amerikanischen Energiemix nachhaltig verändert. Noch 2007 importierten die USA täglich rund 12 Mill. Barrel Öl, darüber hinaus wurden Kapazitäten für den jährlichen Import von rund 140 Mill. Tonnen Flüssiggas ausgebaut, um den erwarteten mittelfristigen Gasbedarf in den USA zu decken. Allein zwischen 2007 und 2009 hat sich dann jedoch die Fördermenge von Schiefergas verdreifacht, der Anteil am insgesamt verbrauchten Gas stieg von 5 auf über 20 %. Nach Prognosen der Internationalen Energieagentur (IEA) wird der Anteil von Schiefergas am amerikanischen Energiemix weiter steigen, bis 2035 auf etwa 46 %. Inzwischen gehen Experten davon aus, dass die USA bis 2025 zum Netto-Exportland von Erdöl werden könnten. Schon heute trägt der Schiefergassektor mit rund 1 % des Bruttoinlandsprodukts messbar zum Wirtschaftswachstum bei.Zwar verfügen auch andere Regionen über erhebliche Schiefergasvorkommen, darunter China, Lateinamerika und auch Europa. Systematisch gefördert wird der Rohstoff außerhalb Nordamerikas aber bisher kaum. Dennoch hat der Schiefergasboom die weltweite Energiebilanz spürbar verändert. Da die Kosten für Gas in den USA massiv zurückgegangen sind, von 14 Dollar pro MBTU (Million British Thermal Units, Maßeinheit für Gas) im Jahr 2008 auf rund 4 Dollar 2013, werden in den USA immer mehr energieintensive Industrien – von Verkehr bis zur Stromerzeugung – auf Gas umgestellt. Heute ist Gas in den USA zweieinhalbmal günstiger als in Europa und sogar viermal günstiger als in Asien. Kohlepreis bricht einDie Folge ist ein deutlicher Preiseinbruch bei Kohle. Hatten europäische Experten vor Kurzem noch 100 bis 130 Dollar pro Tonne erwartet, liegt der Preis heute um die 80 Dollar. Seitdem hat der Einsatz von Kohle für die Energieerzeugung wieder spürbar zugenommen. Die IEA prognostiziert sogar, dass Kohle bis 2017 zum weltweit wichtigsten Energieträger aufsteigen wird.Aus Sicht nachhaltiger Investoren ist diese Entwicklung durchaus zwiespältig. Beim Verbrauch schneidet Schiefergas gut ab: Erdgas erzeugt bei der Verbrennung im Schnitt nur halb so viel Treibhausgase wie Kohle. Die USA haben durch die Umstellung ihre Emissionswerte deutlich senken können, sie liegen heute wieder auf dem Niveau von 1994. Dagegen sind durch den stark wachsenden Kohleverbrauch die europäischen Treibhausgas-Emissionen wieder angestiegen, in Deutschland 2012 um 2,2 %, im Vereinigten Königreich sogar um 3 %. Die Bemühungen, die Erderwärmung auf 2 Grad zu reduzieren, bekommen damit einen erheblichen Dämpfer.Auf Seiten der Förderung ist die Bilanz weniger eindeutig. Zu den wesentlichen Risiken der Förderung gehören der hohe Wasserverbrauch, der Umgang mit Abwasser und das Risiko der Umweltverschmutzung durch Kontamination von Grundwasser oder ungewollter Freisetzung von Methan in die Luft. Während zum Beispiel für konventionelles Gas nur bis zu 0,01 Kubikmeter Wasser pro Terajoule (TJ) eingesetzt werden müssen, liegt der Wassereinsatz bei Schiefergas je nach Förderbecken zwischen 2 und 100 Kubikmeter/TJ. Im Vergleich zum konventionellen Erdöl schneidet Schiefergas aber gut ab, auch hier werden je nach Lage bis zu 65 Kubikmeter/TJ verbraucht. Zudem setzen fortschrittliche Förderunternehmen in den USA vermehrt auf Recycling von Fracking-Wasser oder auf Meerwasser, um Trinkwasserressourcen zu schonen.In den USA sind heute zwei Drittel aller börsennotierten Energieunternehmen zumindest teilweise in Fracking involviert. Davon konnten nur acht Unternehmen, das entspricht rund 11 % der im MSCI Energy North America gelisteten Firmen, einen hinreichend professionellen Umgang mit potenziellen Risiken nachweisen. Vorbildlich bei der Weiterentwicklung von Best Practices waren nur drei: Encana, Range Resources und Talisman.Encana, ein nordamerikanischer Fracking-Riese, überwacht seine Bohrungen mit seismischer Technologie, um Sicherheitsabstände zu Grundwasser führenden Schichten einzuhalten. Zusätzlich reduziert Encana die Nutzung von Chemikalien im Fracking-Wasser. Range Resources und Talisman reduzieren die ungewollte Methanemission bei der Förderung. Talisman entwickelt zudem Rückgewinnungssysteme, die das Abfackeln und Ableiten von Gasen bei der Bohrung minimieren und frei werdende Gase wieder auffangen. Diese grüne Technologie verwendet das Unternehmen bei allen Bohrungen im Bundesstaat New York, mittelfristig soll die Technologie auch in anderen Fördergebieten zum Einsatz kommen.Die Beispiele zeigen, dass ein verantwortungsbewusster Umgang und die technische Weiterentwicklung der Fracking-Technologie die Nachhaltigkeitsbilanz von Schiefergas insgesamt verbessern können. Schon heute gehen diejenigen Firmen am sorgfältigsten mit den potenziellen Risiken um, deren Anteil an der Schiefergasproduktion am größten ist. Auch wenn Schiefergas nicht mit erneuerbaren Energien wie Wind- und Wasserkraft mithalten kann – eine pauschale Verdammung hat dieses Segment nicht verdient. Investoren, die nachhaltigeres Wirtschaften in allen wesentlichen Sektoren unterstützen möchten, finden auch im Energiemarkt Unternehmen, die sich aktiv um eine Verbesserung der Umweltbilanz bemühen.—-Nicolas Rutsaert, Aktienanalyst von Dexia Asset Management Elisa Vergine, Senior SRI-Analystin von Dexia Asset Management