Prospekthaftungsrisiko bei Zweitplatzierungen
Von Tobias Nikoleyczik *) Das Verhältnis von aktienrechtlicher Kapitalerhaltung ( 57 Aktiengesetz) zu kapitalmarktrechtlicher Prospekt- und Informationshaftung stellt die Beratungspraxis häufig vor Probleme: Verpflichten sich Emissionsbanken beim erstmaligen öffentlichen Angebot junger Aktien im Übernahmevertrag zur Zeichnung dieser Aktien, um sie anschließend beim Anlegerpublikum unterzubringen, werden sie kurzfristig Aktionäre der Gesellschaft und unterfallen dem Anwendungsbereich der aktienrechtlichen Kapitalerhaltungsvorschriften. Da die Emissionsbanken neben dem ansonsten Prospektverantwortlichen (also regelmäßig dem Emittenten) den Anlegern im Außenverhältnis als Gesamtschuldner haften, lassen sie sich im Übernahmevertrag von dieser Haftung freistellen. FreistellungEs stellt sich dann die Frage nach der Vereinbarkeit dieser Freistellung mit dem Aktienrecht. Die herrschende Meinung sieht darin gleichwohl keine verbotene Einlagenrückgewähr, da die Freistellungsklausel nur eine interne Abrede über den Gesamtschuldnerausgleich sei bzw. es sich hierbei um bedingte Kosten der Emission handele und eine (verbotene) Einlagenrückgewähr somit ausscheide.Weniger ausgeleuchtet ist die Rechtslage bei der Umplatzierung von Aktien (Secondary Public Offering), zumal höchstrichterliche Rechtsprechung nicht existiert. Dies verwundert, da die aufgezeigten Friktionen zwischen Aktien- und Kapitalmarktrecht hier gleich doppelt zutage treten. Da grundsätzlich auch die Umplatzierung bestehender Aktien prospektpflichtig ist, sofern die Erstplatzierung nicht durch öffentliches Angebot (und damit auf Grundlage eines Prospekts) erfolgte, bzw. teilweise auf freiwilliger Basis ein Prospekt erstellt wird, pflegt die Gestaltungspraxis auch im Rahmen von Zweitplatzierungen im Übernahmevertrag Freistellungsklauseln zugunsten der Emissionsbanken aufzunehmen. Daneben erbringt der Emittent mit der Prospekterstellung und der Übernahme des Prospekthaftungsrisikos aber auch eine Reihe vermögenswerter Leistungen gegenüber den die Aktien abgebenden Altaktionären. Zudem fließt bei einer Zweitplatzierung dem Emittenten kein neues Eigenkapital zu, sondern die Erlöse der Platzierung kommen ausschließlich den Altaktionären zu.Daher besteht in der rechtswissenschaftlichen Literatur Einigkeit, dass die Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch den Emittenten ohne eine ausgleichende Gegenleistung der Altaktionäre (etwa eine angemessene Vergütung) grundsätzlich gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr verstößt.Ungeklärt ist hingegen die Frage, ob ein gesellschaftsseitiges Interesse an der Platzierung der Aktien (beispielsweise die Erlangung der Unabhängigkeit von einem Mehrheitsaktionär) dazu führen kann, dass ein Verstoß gegen 57 Abs. 1 AktG zu verneinen ist. Das Meinungsspektrum ist breit: Teilweise soll ein entsprechendes Gesellschaftsinteresse keine Berücksichtigung finden, wohingegen die Gegenauffassung den umgekehrten Standpunkt einnimmt und ein Interesse der Gesellschaft an der Zweitplatzierung berücksichtigen will. Andere wiederum bejahen zwar grundsätzlich die Möglichkeit des Ausgleichs für die Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch anderweitige Vorteile der Gesellschaft, fordern jedoch, dass diese Vorteile konkret erfass- und bezifferbar sind.Vor diesem Hintergrund verdient eine kürzlich ergangene Entscheidung des OLG Köln (Urteil v. 28.5.2009, Az. 18 U 108/07) besondere Aufmerksamkeit. Sie betrifft den dritten Börsengang der Deutschen Telekom im Jahr 2000. In diesem Zusammenhang wurden bereits ausgegebene und von der KfW treuhänderisch für die Bundesrepublik Deutschland gehaltene Aktien unter anderem in den USA platziert. Den erforderlichen Verkaufsprospekt für die USA erstellte die Telekom selbst und trug auch die Prospektverantwortung gegenüber den Anlegern. Eine von der Telekom angestrebte Vereinbarung mit der Bundesrepublik und der KfW über eine Freistellung der Telekom im Innenverhältnis von eventuellen Schadenersatzansprüchen von Anlegern aus Prospekthaftung konnte der Konzern nicht durchsetzen.Nachdem der Kurs der Telekom-Aktie stark abgestürzt war, wurde das Unternehmen in den USA von Anlegern auf Schadenersatz verklagt. Begründet wurde die Klage mit angeblich falschen bzw. unzureichenden Angaben im Verkaufsprospekt. Mit ähnlicher Begründung läuft auch in Deutschland ein Verfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG). Zur Beilegung des Rechtsstreits in den USA schloss die Telekom einen Vergleich, dessen Vergleichsbetrag von 95 Mill. Euro sie vom Bund und der KfW als Beklagte zurückverlangt. Ein wesentliches Argument der Telekom ist, dass sie die Prospektverantwortung allein auf Veranlassung und im Interesse der Beklagten übernommen habe, was unter anderem nicht mit dem aktienrechtlichen Verbot der Einlagenrückgewähr vereinbar sei.Das LG Bonn als erstinstanzliches Gericht dieses Verfahrens hatte entsprechende Ansprüche der Telekom noch bejaht und sah in der Übernahme des Prospekthaftungsrisikos durch die Gesellschaft eine unzulässige Vermögenszuwendung an die verkaufenden Altaktionäre. Ein mitverfolgtes Eigeninteresse der Gesellschaft an der Umplatzierung ändere daran nichts, da Regelungszweck des 57 AktG der unbedingte und absolute Schutz des Gesellschaftsvermögens vor eigennütziger Verwendung für einzelne Aktionäre sei.Das OLG Köln als Berufungsinstanz beurteilt diese Frage nun anders und verneint einen entsprechenden Anspruch der Telekom. Das Gericht will einen Verstoß gegen 57 AktG dabei bereits dann verneinen, wenn die Gesellschaft vernünftigerweise aufgrund eigener Interessen an der Umplatzierung das mit der Prospekterstellung verbundene Haftungsrisiko eingehen durfte. Es schließt sich damit denjenigen Literaturstimmen an, die ein Gesellschaftsinteresse an der Umplatzierung unabhängig von deren wertmäßiger Bezifferbarkeit ausreichen lassen wollen. Großzügige AnsichtVor dem Hintergrund des gläubigerschützenden Regelungszwecks von 57 AktG erscheint diese Ansicht allerdings nicht zwingend. Denn sie birgt das Risiko, mit pauschalen Erwägungen zu möglichen Eigeninteressen der Gesellschaft die Wertung des 57 AktG auszuhebeln. Auch wenn das OLG Köln zur Frage, unter welchen Voraussetzungen die Gesellschaft das Prospekthaftungsrisiko tragen darf, eine relativ großzügige Ansicht vertritt, sollten sich weder Emittenten noch abgebende Aktionäre hierauf verlassen, solange noch keine höchstinstanzliche Entscheidung vorliegt. Vorstände werden deswegen auch zukünftig auf eine interne Haftungsfreistellung durch den betreffenden Aktionär dringen. Ist eine Freistellung nicht zu erreichen, hat der Vorstand umfassend zu prüfen, ob und warum er die Übernahme des Prospekthaftungsrisikos gleichwohl rechtfertigen kann. Gleiches gilt für den abgebenden Aktionär, will er sich nicht später Ersatzansprüchen der Gesellschaft ausgesetzt sehen. Im Interesse beider sollten deswegen die mit der Platzierung verbundenen Vorteile für die Gesellschaft gründlich schriftlich dokumentiert werden.Offen bleibt schließlich, welche gesellschaftsseitigen Vorteile ausreichen, um eine verbotene Einlagenrückgewähr auszuschließen. Internationale Börsenpräsenz, Erhöhung des Streubesitzes zur Verbesserung der Liquidität der Aktie und Verbreiterung der Aktionärsbasis oder Steigerung des Bekanntheitsgrads der Gesellschaft können hier Anhaltspunkte sein. Gleichwohl dürften sie wegen des gläubigerschützenden Zwecks des 57 AktG nicht von der Prüfung konkret erfassbarer und bezifferbarer Vorteile auf Seiten der Gesellschaft entbinden, soll ein späterer Rückgriffsanspruch der Gesellschaft ausgeschlossen werden.—-*) Dr. Tobias Nikoleyczik ist Rechtsanwalt bei Milbank Tweed Hadley & McCloy in München.