Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Hans-Ulrich Wilsing

"Rechtssicherheit für Investoren auf hohem Niveau"

Praktikable Gestaltungsinstrumente für Übernahmen in Deutschland vorhanden

"Rechtssicherheit für Investoren auf hohem Niveau"

– Herr Wilsing, im Vorfeld der Konferenz Superreturn haben Private-Equity-Häuser die Übernahme eines Dax-Unternehmens als unwahrscheinlich bezeichnet, unter anderem, weil der Weg Public to Private hierzulande so schwierig sei. Wie schätzen Sie diese Äußerungen ein?Der Eindruck scheint in der Tat vorzuherrschen – nicht nur bei den Investoren. Ich glaube aber, dass wir in Deutschland bewährte, praktikable Gestaltungsinstrumente haben, um ein Unternehmen von der Börse zu nehmen. Für die meisten Unternehmen ist ohnehin vor allem der Ausschluss von Minderheitsaktionären interessant, derzeit möglich durch einen aktienrechtlichen Squeeze-out. Hierdurch erlangen sie maximale gesellschaftsrechtliche Gestaltungsfreiheit. Der entscheidende Schritt ist, die dafür erforderlichen 95 % des Grundkapitals zu erlangen. Hält der Hauptaktionär erst alle Anteile an der Gesellschaft, wird die bestehende Börsennotierung der Aktien mangels Handels von Amts wegen eingestellt. Das börsenrechtliche Delisting ist dann noch eine reine Formsache. – Auf die 95 % muss ein Investor aber erst mal kommen – Beispiele wie Wella oder Celanese mit jahrelangen Verhandlungen und Rechtsstreitigkeiten müssen doch abschrecken.Letztlich ist für einen Investor entscheidend, wie planbar eine Übernahme ist und auf welche Eventualitäten er sich bei Anschlussmaßnahmen einstellen kann und muss. Dann können die áegenläufigen wirtschaftlichen Interessen sinnvoll austariert werden. Die meisten rechtlichen und tatsächlichen Problemfragen sind in den letzten Jahren gerichtlich ausgeleuchtet worden; es haben sich Marktstandards herausgebildet, die Planungssicherheit geben. – Dennoch fürchtet sich mancher Investor auch jenseits der 95 %-Grenze noch immer vor den sogenannten “räuberischen Kleinaktionären”.Aus meiner Sicht zu Unrecht. Natürlich kann es lästig sein, wenn man einem Aktionär mit einer Aktie beinahe so viel Aufmerksamkeit schenken muss wie dem institutionellen Aktionär, der 5, 10 oder mehr Prozent des Grundkapitals hält. Aber das Gesetz differenziert zwischen diesen beiden Aktionärstypen nicht. Wir haben in den vergangenen Jahren rund 30 Squeeze-out-Verfahren vorbereitet und begleitet – die meisten konnten sehr schnell erfolgreich beendet werden. – Was bringt die gerade vom Kabinett verabschiedete Umsetzung der EU-Übernahmerichtlinie?Neben den aktienrechtlichen soll der übernahmerechtliche Squeeze-out treten. Der Hauptaktionär kann binnen drei Monaten nach Ende der Angebotsfrist beim Landgericht Frankfurt am Main beantragen, dass ihm durch Gerichtsbeschluss die Aktien der übrigen Minderheitsaktionäre übertragen werden, wenn sein Übernahmeangebot von mindestens 90 % der außenstehenden Aktionäre angenommen worden ist und er die Schwelle einer Beteiligung in Höhe von 95 % der stimmberechtigten Aktien überschritten hat. – Wie sieht es dann mit der Abfindung aus?Die im Rahmen des Übernahmeangebots gewährte Gegenleistung wird dann gesetzlich als angemessene Barabfindung fingiert. In übernahmerechtlichen Squeeze-outs wird das Eigentum an den ausstehenden Aktien also durch rechtskräftigen Gerichtsbeschluss und nicht durch Handelsregistereintragung übertragen. Streitige Hauptversammlungen, Beschlussanfechtungsklagen und Spruchverfahren entfallen. Die gerichtliche Auseinandersetzung mit Minderheitsaktionären beschränkt sich auf die sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Der übernahmerechtliche Squeeze-out ist daher gerade für institutionelle Investoren eine hochinteressante Alternative. – Wie beurteilen Sie den deutschen Rechtsrahmen im internationalen Vergleich?Schauen Sie in die USA: Wie schwer ist es dort, die Börse zu verlassen und sich dem rigiden Sarbanes-Oxley-Regime zu entziehen? Oder Luxemburg und Frankreich, die jetzt zum Teil völlig unverblümt als Reaktion auf die angekündigte Arcelor-Übernahme ihre nationalen Abwehrmöglichkeiten gegen vermeintlich feindliche öffentliche Übernahmen aus dem Ausland verstärken. Wir in Deutschland waren dagegen in Sachen öffentliche Übernahmen bei der inhaltlichen Ausgestaltung des WpÜG vor einigen Jahren schon der “Musterknabe” in der EU; aber wir haben eben allgemein die Tendenz, uns schlechter zu machen, als wir eigentlich sind. Am EU-Standard gemessen bietet Deutschland aber auf hohem Niveau Rechtssicherheit und Planbarkeit für Investoren. *) Hans-Ulrich Wilsing ist Rechtsanwalt und Partner im Kölner Büro der Kanzlei Linklaters Oppenhoff & Rädler. Die Fragen stellte Walther Becker.