Rechtssicherheit für Leverage-Transaktionen
Von Christoph H. Seibt *) Der von der Bundesregierung beschlossene Entwurf des Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) enthält – von der Fachöffentlichkeit bislang kaum bemerkt – wichtige Klarstellungen für das (Konzern-)Finanzierungsrecht. Die vom Gesetzgeber vorgeschlagenen Gesetzesänderungen sind geeignet, die in den letzten Monaten zunehmende Verunsicherung in Konzernen, bei Kreditinstituten und Finanzinvestoren über die rechtliche Zulässigkeit international üblicher Leverage-Transaktionen aufzulösen.Dabei versteht man unter Leverage-Transaktionen Investitionsvorhaben wie Erwerbe von Unternehmen, Beteiligungen, Großanlagen oder sonstigen materiellen Vermögensgegenständen, die zu einem erheblichen Maße fremdfinanziert werden (Leveraged Buy-out) oder die darauf gerichtet sind, den Umfang der Eigenkapitalfinanzierung des Unternehmens zugunsten einer erhöhten Fremdfinanzierung zu ändern (Leveraged Recapitalization). Diese Strukturen beruhen auf dem sog. Leverage-Prinzip, dem zufolge die Rendite des eingesetzten Eigenkapitals mit steigender Verschuldung zunimmt, solange nur die Gesamtkapitalrendite größer ist als der Fremdkapitalzins. Umstrukturierung erleichtertSolche Transaktionen haben eine – auch in verschiedenen empirischen Studien nachgewiesene – wohlfahrtssteigernde Wirkung: So werden Anteilseignerwechsel und damit Umstrukturierungen und Unternehmensnachfolgen erleichtert und die Effizienz der externen Kontrolle der Geschäftsleitung erhöht. Durch die Erhöhung des Fremdkapitalanteils können den Gesellschaftern ferner Eigenkapitalmittel für aus deren Sicht ökonomisch sinnvollere Reinvestitionen bzw. zur Risikominimierung ausgezahlt werden. Allerdings erhöht sich das Ausfallrisiko der Gläubiger bei statischer Betrachtung (d. h. ohne Berücksichtigung der durch die Kapitalstrukturänderung selbst erhöhten Effizienz der Unternehmensführung und Unternehmenskontrolle), da die Vermögenslage trotzt erhöhten Fremdkapitalbetrags unverändert bleibt und die Liquiditätssituation sich wegen erhöhter Zins- und Tilgungsleistungen auf das Fremdkapital verringert. In dieser Gemengelage von widerstreitenden Gesellschafter- und Gläubigerinteressen will der Gesetzgeber das über die letzten Jahre durch die Rechtsprechung weit zugunsten der Gläubiger ausschlagende Pendel zu Recht rejustieren und die Finanzierungsfreiheit der Eigenkapitalgeber stützen. Dies wird die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen stärken und die Transaktionskosten bei Großinvestitionen in Deutschland senken. Zu den technischen Gesetzesänderungen im Einzelnen: GläubigerschutzDer Gläubigerschutz bei Leverage-Transaktionen wird in erster Linie durch das obligatorische Kapitalerhaltungsrecht gewährleistet. Für dessen Grundnorm § 30 GmbHG hatte der BGH mit seinem Urteil vom 24. November 2003 den traditionell bilanzbezogenen Vermögensschutz in einem noch nicht geklärten Umfang in einen Vermögensgefährdungs- und Liquiditätsschutz weiterentwickelt, in dem es im Fall einer Darlehensvergabe einer GmbH an ihre Gesellschafter alleine im Abfluss von liquiden Mitteln und trotz einer (vollwertigen) Rückzahlungsforderung einen Verstoß gegen das Kapitalerhaltungsrecht angenommen hatte, soweit der Abfluss zulasten des durch die Kapitalerhaltungsgrundsätze gebundenen Vermögens erfolgte.Diese Aufgabe eines bilanzorientierten Vermögensschutzes führte zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit und dogmatisch zu einem unerklärbaren Wertungswiderspruch zur Rechtslage im Vertragskonzern, indem der § 30 GmbHG kompensierende Anspruch auf Verlustübernahme entsprechend § 302 AktG unbestritten nach bilanzrechtlichen Regeln zu bewerten ist. Die durch die November-Entscheidung des BGH ausgelöste “Flucht in den Vertragskonzern” resultierte in einer unangemessenen Verfahrenskomplexität und in an sich vermeidbaren Kosten; in einzelnen Fällen, z. B. bei komplexen Anteilseignerstrukturen, scheiterten auch die Transaktionen. Der Referentenentwurf hatte sich noch bemüht, der Praxis durch Ausweitung der in dem BGH-Urteil selbst aufgeführten (strengen) Ausnahmeregelungen zu helfen, und zwar in Form einer am Gesellschaftsinteresse ausgerichteten Einzelfallprüfung. Fachkommentatoren hatten hieran kritisiert, dass mit der Verankerung eines Wertungsmerkmals “Gesellschaftsinteresse” eine im Rahmen einer Kapitalschutznorm inhaltlich kaum zu füllende Kategorie eingeführt und damit die auch vom Gesetzgeber erstrebte Rechtssicherheit nicht erreicht wird. Der Regierungsentwurf greift diese Kritik auf und revidiert nun ausdrücklich die November-Entscheidung des BGH, indem er unter Rückgriff auf die bilanzielle Betrachtungsweise klarstellt, dass ein Verstoß gegen Kapitalerhaltungsregeln dann nicht vorliegt, wenn aus dem Mittelabfluss ein bilanziell vollwertiger Gegenanspruch folgt (§ 30 Abs. 1 Sätze 2 und 3 GmbHG). Daher wird in Zukunft wieder alleine anhand des Handelsbilanzrechts zu prüfen sein, ob die Ansprüche der Gesellschaft gegenüber ihrem Gesellschafter auf Darlehensrückzahlung, Rückgabe eines Garantieguts, Befreiung von einer Verbindlichkeit oder ähnliche Ansprüche vollwertig sind. Im Regelfall wird bei Leverage-Transaktionen diese Prüfung positiv enden, und dies kann im Streitfall durch die Finanzierungsverträge (und die hierin enthaltenen Covenants) sowie ggf. durch Bewertungsanalysen von Ratingagenturen oder anderen Beratern belegt werden. Diese Rückkehr zur Bilanzorientie-rung des Kapitalerhaltungsrechts gilt nicht nur für die GmbH, sondern wegen einer entsprechenden Änderung bei § 57 AktG auch für die AG. Auch für Finanzierungen im Vertragskonzern sieht der Regierungsentwurf nun Klarstellungen vor: In dem neuen § 30 Abs. 1 Satz 2 wird geregelt, dass der Kapitalerhaltungsgrundsatz nicht für Leistungen gilt, “die zwischen den Vertragsteilen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags erfolgen”. Diese Bestimmung spiegelt die im Schrifttum – auch auf der Basis einer entsprechenden BGH-Rechtsprechung – vorherrschende Meinung wider, wonach im GmbH-Vertragskonzern § 291 Abs. 3 AktG analog anzuwenden ist, was aber von einzelnen Kreditinstituten und ihren Beratern in jüngster Zeit anders gesehen worden war. ErweiterungEs ist bedeutsam festzuhalten, dass die Neuregelung über das aktienrechtliche Pendant in § 291 Abs. 3 AktG hinausgeht, indem es nicht nur Leistungen aufgrund eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags freistellt, sondern alle Leistungen innerhalb des GmbH-Vertragskonzerns. Dies hat Bedeutung bei isolierten Gewinnabführungsverträgen, da hier nach bisher überwiegender Auffassung nur die jährliche Abführung des (hypothetischen) Jahresüberschusses freigestellt wird, nicht aber darüber hinausgehende, vor allem unterjährige Leistungen. Diese Erweiterung ist vor dem Hintergrund der für Beherrschungs- und isolierte Gewinnabführungsverträge gleichermaßen geltenden Verlustausgleichspflicht nach § 302 AktG überzeugend. Eine entsprechende Bereichsausnahme für Leistungen im Vertragskonzern soll – ohne dass dies zu materiellen Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage führt – in § 57 Abs. 1 Satz 2 AktG verankert werden. Im Gesetzgebungsverfahren ist § 291 Abs. 3 AktG noch in zweierlei Hinsicht anzupassen, nämlich durch Übernahme der Wortlaute der Bereichsausnahmen in § 30 GmbHG und § 57 AktG sowie durch die Verweisergänzung auf § 71a AktG, die versehentlich bei Einführung der Sondervorschrift im Jahre 1997 unterblieben war. Schließlich nimmt der Regierungsentwurf Forderungen der Wissenschaft auf, beim Gläubigerschutz behutsam vom starren Kapitalerhaltungsrecht auf ein flexibleres Sys-tem der Verhaltenspflichten von Geschäftsführern und Gesellschaftern umzusteuern. Die Bundesregierung schlägt nämlich mit Ergänzung von § 64 Abs. 2 GmbHG sowie § 92 Abs. 2 AktG eine Geschäftsführerhaftung für Zahlungen an Gesellschafter vor, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dass dies aus Sicht eines sorgfältigen Geschäftsleiters nicht erkennbar war. Durch diese Pointierung der nach zutreffendem Verständnis bereits heute so bestehenden Geschäftsleiterpflicht sollen Gläubiger vor Abzug von Vermögenswerten geschützt werden, welche die Gesellschaft bei objektiver Betrachtung zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigt. Die Geschäftsleiter werden verpflichtet sein, vor Durchführung von Leverage-Transaktionen zu prüfen, ob ein Mittelabfluss oder eine Sicherheitengewährung an einen Gesellschafter zu einer konkreten Existenzgefährdung führt. Wie bei der sich an den Gesellschafter richtenden Existenzvernichtungshaftung sind auch die Geschäftsleiter zu einer Solvenzprognose für die Gesellschaft für einen der konkreten Fremdkapitalaufnahme entsprechenden Zeitraum verpflichtet. Dabei ist die getroffene Solvenzprognose bei einer gebotenen Ex-ante-Betrachtung nicht zu beanstanden, wenn sie auf der Grundlage angemessener Informationen, bei Nutzung anerkannter finanzwirtschaftlicher Methoden sowie der Marktüblichkeit der Finanzierung (z. B. Höhe des Zinsdeckungsgrades) nachvollziehbar und schlüssig erfolgte. Keine ErfolgshaftungEine Erfolgshaftung besteht daher weder für die Gesellschafter noch für die Geschäftsleiter, und es gibt auch keine Vermutung dafür, dass Leverage-Transaktionen per se bestandgefährdend sind, sondern umgekehrt spricht das Bestehen einer Marktgegenseite (nämlich der finanzierenden Kreditinstitute) für ein regelmäßig auch für die Gläubigergesamtheit hinnehmbares Bestandsrisiko. *) Christoph H. Seibt ist Partner im Hamburger Büro der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer.