RECHT UND KAPITALMARKT

Reform des Governance-Kodex: Zurück zum Goldstandard?

Neue Grundsätze erhöhen Aufwand für Unternehmen deutlich

Reform des Governance-Kodex: Zurück zum Goldstandard?

Von Moritz Maier und Thomas Richter *)Der Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK) hat über die Jahre an Stringenz und Übersichtlichkeit eingebüßt. Normenkataloge oder Vergütungsleitlinien aus der Feder von Anlegerverbänden oder institutionellen Investoren sind immer stärker zur Konkurrenz geworden. Die Regierungskommission will das 2002 erstmals aufgelegte Regelwerk nun “relevanter, klarer, kompakter” machen. Noch bis Ende Januar läuft die Beratungsperiode, in der die Kommission auch verstärkt auf den direkten Dialog mit Stakeholdern setzt. Im April soll dann die Neufassung vorliegen. Doch auf dem Weg zurück zum Goldstandard halten die Kommissionsvorschläge noch einige Stolpersteine bereit.Zwölfmal wurde der DCGK inzwischen angepasst, immer komplexer und zusehends zur Lektüre der Juristen. Jetzt will die Kommission verschlanken und modernisieren. Inhaltlich konzentriert sie sich auf detaillierte Empfehlungen zur Vorstandsvergütung sowie zur Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern. Eine bedeutende systematische Neuerung ist, dass sich zu dem Prinzip “Comply or Explain” ein weiteres gesellt: “Apply and Explain”. Unternehmen sollen erklären, auf welche Weise sie die im Kodex neu etablierte Kategorie der “Grundsätze” umsetzen.Die Vorstandsvergütung – oft im Fokus der Öffentlichkeit – erhält im Konsultationsentwurf mit Abstand den meisten Raum. Institutionelle Investoren und Stimmrechtsberater haben ihr Abstimmungsverhalten zunehmend an eigenen oder von Anlegerverbänden aufgestellten Normenkatalogen oder Vergütungsleitlinien anstelle des DCGK orientiert. Die Folge: In der HV-Saison 2017 fielen drei von acht der “Say on Pay”-Beschlüsse in Dax-Gesellschaften durch. Der Konsultationsentwurf soll nun die zentralen Kritikpunkte aufnehmen und Transparenz, Verständlichkeit und Akzeptanz der Vorstandsvergütung verbessern. Die Vorgaben lassen im Detail allerdings noch einige Fragen offen. Besonders kontrovers wird diskutiert, die langfristige variable Vergütung in Aktien der Gesellschaft zu leisten, die vier Jahre lang nicht veräußert werden können. Vorteil ist zwar, dass die Vorstandsmitglieder direkt an der Wertentwicklung am Kapitalmarkt partizipieren. Es verwundert allerdings, dass ausgerechnet diese unter zahlreichen möglichen Spielarten der langfristigen Vergütung herausgegriffen und Best Practice werden soll. Nach reger Beteiligung im Konsultationsverfahren sind besonders hier noch finale Anpassungen zu erwarten.Ein weiterer Schwerpunkt der Reform liegt auf der Unabhängigkeit der Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat. So führt der Kodexentwurf unter anderem einen Katalog von Negativindikatoren als Leitlinie für die Einschätzung der Unabhängigkeit ein. Die Erfüllung bereits eines einzigen Indikators genügt, um dem Unternehmen eine Pflicht zur Begründung in der Erklärung zur Unternehmensführung aufzuerlegen, wenn das betroffene Aufsichtsratsmitglied trotzdem als unabhängig erachtet wird.Die Neuerungen verdienen teils Beifall, vor allem mit Blick auf die Verschlankung des Kodex sowie auf die Klarstellung der Anforderungen an die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern. Doch wo Licht ist, fällt auch Schatten: Die Einführung der sogenannten Grundsätze und des “Apply and Explain”-Ansatzes führt zweifelsohne zu erhöhtem Verwaltungsaufwand. Konnte man bislang einem umfassenderen Reporting noch durch die vollständige Befolgung der Kodexempfehlungen entgehen, wird dies in Zukunft nicht mehr möglich sein. Selbst bei Befolgung aller Grundsätze des neuen Kodex wird zu erläutern sein, in welcher Art und Weise diese umgesetzt werden. Allerdings führt die Reform auch zu einer Vereinfachung der Berichterstattung. Der in seinen Anforderungen bislang eher nebulöse “Corporate Governance Bericht” wird gestrichen und in der Erklärung zur Unternehmensführung aufgehen. “Blutleere Formeln”Zweifelhaft ist, ob das “Apply and Explain”- Prinzip überhaupt zum Ziel führt. Die immerhin 30 Grundsätze des Kodexentwurfs sind sehr allgemein gehalten. Dies lässt befürchten, dass sich nach anfänglichen Unsicherheiten hinsichtlich der erforderlichen Ausführungen ein Fundus an blutleeren Formeln herausbildet, die sich in unterschiedlichen Konstellationen in vielen Berichten wiederholen. Darüber hinaus unterliegen kapitalmarktorientierte Gesellschaften bereits jetzt umfassenden Berichtspflichten, die auch die Unternehmensführung behandeln.Die Erläuterungen des Kodexentwurfs weisen selbst darauf hin, dass weitgehende Redundanz mit den handelsrechtlich vorgeschriebenen Angaben zu Unternehmensführungspraktiken sowie der Beschreibung der Arbeitsweise von Vorstand und Aufsichtsrat bestehen dürfte. Auf dem Weg zum Goldstandard auf dem “Markt für Selbstregulierung” werden auch die neuen Grundsätze und Berichtspflichten zum Prüfstein werden – hoffentlich nicht zum Stolperstein.—-*) Dr. Moritz Maier ist Senior Associate, Dr. Thomas Richter, Associate in der Praxisgruppe Gesellschaftsrecht von Hogan Lovells in München.