Recht und Kapitalmarkt

Reformpläne für Anleiherecht bedürfen der Korrektur

Referentenentwurf genügt nicht den Anforderungen an ein international wettbewerbsfähiges Schuldverschreibungsrecht

Reformpläne für Anleiherecht bedürfen der Korrektur

Von Dirk Bliesener und Hannes Schneider *) Das über 100 Jahre alte Schuldverschreibungsgesetz soll grundlegend novelliert werden. Das Bundesjustizministerium hat einen Entwurf für ein neues Schuldverschreibungsgesetz vorgelegt. Der Entwurf ist ein erheblicher Fortschritt gegenüber dem geltenden Recht für Anleihen. Gleichwohl droht der Entwurf, wenn er so Gesetz wird, ein großes gesetzgeberisches Versäumnis zu werden. Im Interesse eines modernen, international wettbewerbsfähigen Kapitalmarktrechts sind insbesondere drei grundlegende Änderungen vorzunehmen. Sie betreffen die Anleihegläubigerversammlung, den Anleihetreuhänder und das Verhältnis von Emissionsbedingungen zum Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen. Insgesamt ist der Gesetzentwurf in der derzeitigen Fassung nicht auf Augenhöhe mit den angelsächsischen Kapitalmarktrechten. Das Gesetz würde deshalb eine Chance vertun, den Finanzplatz Deutschland nachhaltig zu fördern.Im geltenden Recht sind Mehrheitsbeschlüsse der Anleihegläubiger nur zu Sanierungszwecken inländischer Emittenten und in engen Grenzen zulässig. Der Gesetzentwurf erweitert zwar den Anwendungsbereich und enthält eine detaillierte Ausgestaltung zu Kompetenz, Ablauf und Rechtsschutz gegen Beschlüsse der Gläubigerversammlung. Der Entwurf schreibt diese Regeln aber für sämtliche Arten von Anleihen (außer Pfandbriefen), gleich welcher Emittenten, zwingend vor und verbietet es, in den Anleihebedingungen abweichende Regelungen vorzusehen. Das vorgelegte Regelwerk mag auf Industrieanleihen zugeschnitten sein; mit der zwingenden Natur des Regelwerks übersieht der Entwurf aber, dass für eine Vielzahl von Arten von Schuldverschreibungen und Emittenten das Institut der Gläubigerversammlung überhaupt unerwünscht ist und ein universell geltendes, unabänderliches Regelwerk den Anforderungen an ein national und international zeitgerechtes Kapitalmarktrecht nicht entspricht. Zwingendes RegimeSo ist bei einigen Papieren die Möglichkeit der nachträglichen Konditionenänderung schlechthin ausgeschlossen. Das gilt etwa bei Geldmarktpapieren oder kurzlaufenden Anleihen. Gleiches trifft auf Zertifikate zu, die bereits Regeln für die Anpassung des Leistungsinhalts enthalten. Auf der anderen Seite stehen strukturierte Schuldverschreibungen, bei denen die Vorgaben für Änderungen der Anleihebedingungen an die Bedürfnisse eines komplexen Gefüges von vor- und nachgeordneten Ansprüchen unterschiedlicher Gläubigerklassen angepasst sein müssen. Insbesondere bei Verbriefungsemissionen ist die Risikotranchierung Geschäftsgrundlage für Emittent und Investoren, die auch bei Mehrheitsbeschlüssen nicht zur Disposition steht. Ein Anleihestatut, durch das diese Geschäftsgrundlage im Wege gesetzlich autorisierter Mehrheitsbeschlüsse in Zweifel gezogen werden könnte, wäre im internationalen Wettbewerb nicht konkurrenzfähig. Ähnlich verhält es sich bei Hochzinsanleihen, bei denen die Voraussetzungen für Anpassungen des üblichen Netzes von Financial Covenants sehr produktbezogen zu regeln sind. Würde das Schuldverschreibungsgesetz hier zwingende Anforderungen aufstellen, dürften die Marktteilnehmer auch bei High-Yield-Emissionen deutscher Unternehmen wie bisher das deutsche Recht meiden. Schuldverschreibungen werden in erheblichem Umfang von öffentlichen Schuldnern wie dem Bund, der KfW, ausländischen Staaten und internationalen Organisationen ausgegeben. Für diese Emittenten ist ein eng definiertes und lokal geprägtes Regime für Gläubigerversammlungen nicht angebracht. Der Bund hat zwar in seine bisher einzige USD-Währungsanleihe Collective Action Clauses aufgenommen, die mit Inkrafttreten des neuen Schuldverschreibungsrechts wirksam werden. Der Entwurf würde aber auch für Bundeswertpapiere in der Heimatwährung die Möglichkeit von Gläubigerversammlungen vorschreiben, was kaum gewollt sein dürfte. Außerdem ist es unwahrscheinlich, dass sich ausländische öffentliche Schuldner zwingenden Vorschriften des für sie fremden Rechts unterwerfen werden. Speziell Schwellenländer, die bis zu den neunziger Jahren auch nach deutschem Recht emittierten, sehen in ihren Anleihen zunehmend Regeln über Mehrheitsbeschlüsse vor, die voraussichtlich mit den Vorgaben des Gesetzentwurfs kollidieren werden. Der zwingende Charakter würde daher ein unüberwindbares Hindernis für die Akzeptanz des neuen deutschen Anleiherechts darstellen. Um den Anforderungen der Praxis und internationaler Standards hinreichend gerecht zu werden, sollten Abweichungen von den gesetzlichen Regeln erlaubt sein. Der richtige Weg ist, Mindeststandards für die Regelung von Mehrheitsbeschlüssen in Anleihebedingungen zu setzen und es im Übrigen den Marktteilnehmern in den Grenzen der Vertragsfreiheit zu überlassen, geeignete Regeln vorzusehen. Zu Mindeststandards dürften das Quorum für die Beschlussfähigkeit der Gläubiger und die Beschlussmehrheit gehören. Anleihetreuhänder im VorausDer Gesetzentwurf sieht darüber hinaus vor, dass ein gemeinsamer Vertreter der Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss bestellt werden kann, dessen Aufgaben, Rechte und Pflichten ebenfalls gesetzlich zwingend normiert werden sollen. Die Bestellung eines Gläubigervertreters schon bei Ausgabe der Schuldverschreibungen wäre damit ausgeschlossen. Gleichwohl entspricht die Einsetzung eines Anleihetreuhänders bei Emission vielfältigen Bedürfnissen von Gläubigern und den internationalen Gepflogenheiten. Auch ist das Institut der Treuhand dem deutschen Recht von alters her vertraut. Es ist von Nutzen für Anleihegläubiger, wenn – gerade in der Krise – ihre Rechte durch eine Person, die ihren Interessen verpflichtet und ihren Weisungen unterworfen ist, gebündelt durchgesetzt werden können. Diese Kanalisierung ist vielfach auch im Interesse des Emittenten. Wenn die Marktteilnehmer nach international üblichen Vertragsstandards die Einsetzung eines Anleihetreuhänders im Voraus für zweckmäßig halten, sollte das deutsche Recht die Übernahme dieser Standards ermöglichen. Der dritte Punkt trifft einen Nerv des modernen deutschen Kapitalmarktrechts, das auch bei der Gestaltung von komplexen Anleiheprodukten im Wettbewerb mit angelsächsischen Rechtsordnungen bestehen will. Bisher ist im deutschen Recht nicht verbindlich geklärt, ob Anleihebedingungen der richterlichen “Inhaltskontrolle” nach den Regeln über allgemeine Geschäftsbedingungen unterliegen. Die Inhaltskontrolle von Klauselwerken soll auf der Grundlage europarechtlicher Vorgaben eine unangemessene Benachteiligung des Publikums im Rahmen der Vertragsgestaltung verhindern. Die daraus folgenden Gebote der Verständlichkeit und Orientierung an gesetzlichen Leitbildern und Wahrung des Vertragszwecks sind insbesondere auf Liefer- und Dienstleistungsverträge zugeschnitten. Sie passen nicht zur Ausstattung von Schuldverschreibungen, bei denen der Inhalt des Rechtsverhältnisses selbst durch die Bedingungen definiert wird und wegen ihrer Handelbarkeit ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit Voraussetzung für einen funktionierenden Markt mit effizienter Preisbildung ist. Gerade im Fall von strukturierten Schuldverschreibungen, deren Kapital- oder Zinsansprüche etwa an die Bonität von Referenzaktiva gebunden sind, erscheint eine Beurteilung von komplexen Anleihebedingungen anhand gesetzlicher Leitbilder schlechterdings ausgeschlossen. Das deutsche Anleiherecht sollte im Rahmen der Vertragsfreiheit Gestaltungsspielräume für sämtliche Formen von Schuldverschreibungen eröffnen und die Beteiligten nicht auf andere Rechtsordnungen verweisen. Dies ist nur scheinbar ein Widerspruch zu einem effektiven Verbraucherschutz. Denn zur wirkungsvollen Wahrung von Verbraucherrechten steht bereits ein jüngst weiter ausgefeiltes Instrumentarium im Vertriebsrecht für Wertpapierdienstleistungen und im Prospektrecht zur Verfügung. Es wäre eine gute Gelegenheit für den Gesetzgeber klarzustellen, dass bei Anleihebedingungen keine Inhaltskontrolle stattfindet. *) Dr. Dirk H. Bliesener und Dr. Hannes Schneider sind Rechtsanwälte und Partner von Hengeler Mueller.