Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Arndt Stengel

Regeln zu Übernahmeangeboten schränken Bieter ein

Keine Verlängerung vorgesehen - Unterschiedliche Regulierung im Vergleich zu den USA - Der Fall Schering

Regeln zu Übernahmeangeboten schränken Bieter ein

Der spannende Übernahmekampf um Schering zwischen Bayer und Merck hat Anlass zu Forderungen insbesondere von Seiten des Bayer-Vorstandes gegeben, das Übernahmerecht zu ändern. Die Börsen-Zeitung fragt Arndt Stengel, Rechtsanwalt und Partner bei Clifford Chance, nach seiner Einschätzung. – Herr Dr. Stengel, wie verhält es sich mit der Möglichkeit, ein öffentliches Übernahmeangebot nach geltendem Recht zu verlängern?Das deutsche Übernahmerecht sieht die Möglichkeit einer Verlängerung eigentlich nicht vor. Ändert der Bieter das Angebot jedoch in den letzten zwei Wochen der Annahmefrist, so verlängert sich das Angebot um zwei Wochen, um den Aktionären Gelegenheit zu geben, sich auf das veränderte Angebot einzustellen. Um die Verlängerung zu erreichen, verzichtete Bayer auf eine (nicht weiter relevante) Bedingung des Übernahmeangebots. In diesen zwei weiteren Wochen kann das Angebot aber nicht erneut geändert werden. Das klingt harmloser, als es ist: Der Bieter kann die Annahmeschwelle nicht mehr herabsetzen und nicht auf weitere Bedingungen verzichten. – Er wird also angreifbar? Ja. Deshalb versucht man, möglichst ohne eine Änderung des Angebots in den letzten zwei Wochen auszukommen. Gelingt das ausnahmsweise nicht, muss der Bieter alle Änderungen, die er vielleicht noch benötigen könnte, gewissermaßen auf Vorrat vornehmen. Nur die Erhöhung des Angebotspreises bleibt ihm möglich, und auch das nur über einen Umweg: Erwirbt der Bieter Aktien anderweitig zu einem höheren Preis, muss er den Preis bei denen, die das Angebot angenommen haben, entsprechend nachbessern. – Wäre es aus Ihrer Sicht wünschenswert, etwas zu ändern?Durchaus. Die Regeln über die Änderung öffentlicher Angebote schränken den Handlungsspielraum des Bieters ein. Die wenigen Änderungen, die überhaupt möglich sind, müssen einen Tag vor Ablauf der Annahmefrist veröffentlicht sein. Nehmen Sie die Annahmeschwelle. Ein rationaler Anleger wird das Angebot erst am letzten Tag der Annahmefrist annehmen, weil er sich mit der Annahme einer Dispositionsmöglichkeit begibt. Der Bieter muss also über das Herabsetzen der Annahmeschwelle, z. B. von 75 % auf 50 % plus einer Aktie, zu einem Zeitpunkt entscheiden, zu dem noch fast niemand angenommen hat, der Bieter also kaum mehr über die Akzeptanzquote weiß als zu Beginn des Angebots. – Halten Sie solche Änderungen auch für notwendig?Notwendig wären sie nur dann, wenn das Übernahmerecht in seiner Funktion gestört wäre. Das ist nicht der Fall. Das Gesetz schafft einen ordnungspolitischen Rahmen, der tendenziell den Bieter belastet, um die Rechte der Aktionäre zu stärken und die Transparenz des Angebots zu erhöhen. – Wen hatte der Gesetzgeber im Auge?Er hatte andere Bieter im Fokus (den ausländischen “Raider”, was immer man sich darunter vorstellen mag) und stellte beim Aktionärsschutz auf den privaten Kleinaktionär ab. Auf Bieter wie Bayer wirkt sich das ungewollt negativ aus, auf Hedgefonds als Aktionäre ungewollt positiv. Aber das war eine politische Entscheidung. Auch wenn wir uns etwas Ausgewogeneres gewünscht hätten, kommen wir damit gut zurecht. – Welchen Einschränkungen sollten Aktionäre bzw. Investoren während eines Übernahmeprozesses unterliegen? Die Kapitalmarktvorschriften, die ohnedies anwendbar sind, reichen aus. Um die Transparenz weiter zu erhöhen, hat der Gesetzgeber eine sinnvolle Herabsetzung und Verfeinerung der Meldeschwellen für wesentliche Beteiligungen auf den Weg gebracht. Voraussichtlich werden schon bald Beteiligungen ab 3 % und bestimmte Aktienderivate meldepflichtig. – Und wenn man mehr Ausgewogenheit will?Dann geht das dadurch, dass man dem Bieter mehr Spielraum gibt, aber nicht durch weitergehende Regulierung bei den Aktionären. In einzelnen Fällen unterliegt der Bieter zusätzlich den Beschränkungen des US-Rechts, weil er sein Angebot auch in den USA vorlegen muss und nicht unter die weitergehende generelle Befreiung (Tier 1) fällt. Es wäre nicht einleuchtend, eine “Waffengleichheit” dadurch herstellen zu wollen, dass in Deutschland die Aktionärsrechte beschränkt werden. Dem Bieter hierzulande mehr Flexibilität zu geben wäre hilfreich. – Sollte es einem Aktionär erschwert werden, Aktien an der Börse zu einem höheren Preis als dem des Übernahmeangebots zu erwerben?Nein, nicht über das bereits vorgesehene Maß hinaus. Wer die Schwelle von 30 % erreicht, muss ein Pflichtangebot vorlegen. Wer ein solches Angebot oder ein Übernahmeangebot macht und zu einem höheren Preis kauft, muss nachbessern. Außerhalb dessen können Aktionäre kaufen und verkaufen, ohne Rücksicht auf ihre Mitaktionäre nehmen zu müssen – nur so kann sich ein Marktpreis bilden. Der kann auch oberhalb des Angebots liegen. Damit sich der Marktpreis ungestört bilden kann, gibt es das (unlängst modernisierte) Verbot der Marktmanipulation. Darüber hinaus besteht kein Anlass zum Eingreifen. – Was heißt das bezogen auf Schering?Dort kam der erhöhte Angebotspreis allen Aktionären zugute. Die Zielgesellschaft und deren Aktionäre begrüßen es natürlich, wenn ein Bieter den Preis bezahlt, der an der oberen Grenze des für ihn Vertretbaren liegt. Alle Aktionäre können dann die in ihrem Aktienbesitz angelegte Prämie für den Wechsel der Unternehmenskontrolle vollständig realisieren. So besteht jetzt doch weitgehend Zufriedenheit mit dem Ergebnis dieses Übernahmeverfahrens.Dr. Arndt Stengel ist Rechtsanwalt und Partner bei Clifford Chance in Frankfurt.Die Fragen stellte Walther Becker.