Regulierung treibt Abschlussprüfer ins Dilemma
Von Thomas Gasteyer *)Auf der Suche nach den Schuldigen an der Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Europäische Union auch die Abschlussprüfer ins Visier der verstärkten Regulierung genommen. Im Jahr 2011 schlug die EU-Kommission eine Änderung der Abschlussprüferrichtlinie sowie eine neue Verordnung für Abschlussprüfungen bei börsennotierten Aktiengesellschaften, Banken und Versicherungen vor. Insbesondere der Umfang und der Umgang mit Informationen, die der Abschlussprüfer an die Abschluss- und Abschlussprüfungsadressaten weiterleitet, sollen reformiert werden. Ziele sind erhöhte Transparenz und bessere Information durch Einbeziehung und unmittelbare Kommunikation der Erkenntnisse des Abschlussprüfers. Einblick für AktionäreNeben dem Jahresabschluss mit dem Lagebericht des Vorstands und dessen Bericht in der Hauptversammlung soll es künftig nach dem Verordnungsvorschlag einen im Inhalt deutlich erweiterten Bestätigungsvermerk des Abschlussprüfers geben. Dadurch sollen die Aktionäre einen ausführlicheren Einblick in ihr Unternehmen erhalten. Wohlgemerkt nicht durch einen besseren Bericht des Vorstands, sondern einen Parallelbericht des Abschlussprüfers. Sein Mindestinhalt wird mit 23 Einzelangaben vorgegeben, sogar sein Umfang wird geregelt (“maximal vier Seiten oder 10 000 Zeichen ohne Leerstellen”). Weiter wird ein Zusatzbericht des Abschlussprüfers an den Prüfungsausschuss neu eingeführt, der bei entsprechendem (und zu erwartendem) Beschluss durch die Unternehmensleitung der Hauptversammlung vorgelegt wird.All diese Berichte werden in ihren Kernaussagen und -botschaften aufeinander abgestimmt werden müssen, so dass der Abschlussprüfer in die Unternehmenskommunikation eingebunden wird. Dem Vorstand wird dagegen ein Teil seiner Hauptaufgabe abgenommen, seine Ent-scheidungen und die Entwicklung der Gesellschaft in den Zusammenhang zu stellen und nach Wichtigkeit und Vertraulichkeit geordnet gegenüber den Aktionären, dem Aufsichtsrat und der Aufsicht zu kommunizieren. Diese Rolle soll er sich künftig mit dem Abschlussprüfer teilen.Der Prüfungsbericht des Abschlussprüfers wird bei Kreditinstituten von ihm selbst an die Aufsichtsbehörden (BaFin und Bundesbank) weitergereicht. Die Bundesbank wertet ihn nach gemeinsam mit der BaFin entwickelten Prüfungskriterien aus. Zusätzlich sollen hierfür noch Leitlinien durch die europäischen Aufsichtsbehörden entwickelt werden, die die nationalen Aufsichtsbehörden beim Umgang mit den Prüfungsberichten unterstützen. Über diese Prüfung sollen die Aufsichtsbehörden nun ihrerseits einen Bericht veröffentlichen. Festgestellte Verstöße der Unternehmen und Abschlussprüfer gegen die neue Verordnung sollen mit Sanktionen geahndet werden können.Der Vorschlag der EU-Kommission ist konsistent mit ihrem Ansatz, durch erhöhte Kontrolle und Kommunikation Fehlentwicklungen vorzubeugen. Die Ausweitung der Tätigkeiten und der Berichtspflicht des Abschlussprüfers muss also vor dem Hintergrund zweier Grundsatzthemen, der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers und der Corporate Governance, bewertet werden.Während die EU-Kommission auf anderen Gebieten die Unabhängigkeit der Organmitglieder betont und die Unabhängigkeit des Wirtschaftsprüfers, das heißt seine Distanz zu den Entscheidungen der Unternehmensleitung, zu Recht durch die Einschränkung zulässiger Beratungstätigkeit stärken will, sind die jetzigen Vorschläge damit inkonsistent und werden den unerwünschten Effekt haben, die Organe von ihrer Verantwortung zu entlasten.Aufgabe des Abschlussprüfers ist bisher die Prüfung des ihm vorgelegten Jahresabschlusses, die Erläuterung seiner Prüfungstätigkeit und des gegebenenfalls einzuschränkenden Testats gegenüber dem ihn beauftragenden Prüfungsausschuss oder Aufsichtsrat sowie der Aufsichtsbehörde.Die Ausweitung der Berichtspflichten des Abschlussprüfers bringt das Problem mit sich, dass jede nicht rundheraus negative Beschreibung von Unternehmensangelegenheiten unabhängig von ihrer Formulierung als Billigung verstanden werden wird. Der Abschlussprüfer läuft damit Gefahr, durch die Außenkommunikation und Selbstbindung an einmal gemachte Wertungen seine Unabhängigkeit zu schwächen. Die Organe können sich auf seine Aussagen berufen und werden von ihrer Verantwortung entlastet.Die EU-Kommission setzt sich bei ihren Regulierungsvorhaben in Widerspruch zur Förderung der Unabhängigkeit der Organe und des beratenden Umfeldes (Wirtschaftsprüfer, Ratingagenturen, Vergütungsexperten). Sie scheint hier die Schaffung immer neuer Kontrollinstanzen einzuführen.Sie sollte an dem Konzept der Corporate Governance und dem Fokus auf die Hauptverantwortlichen schlechter Unternehmensführung festhalten. Bei einer Aktiengesellschaft ist für die Geschäftsleitung in erster Linie der Vorstand zuständig und sollte auch für schlechte Arbeit zur Verantwortung gezogen werden. Überwacht und auch beraten wird er durch den Aufsichtsrat. Die Hauptversammlung entscheidet als drittes Organ einer Aktiengesellschaft über eine Entlastung beider. Verteilte VerantwortungDiese Überwachungsfunktionen liegen bei stärkerer Regulierung bei weiteren, gesellschaftsexternen Gremien. Der Bericht über unternehmerische Entscheidungen erfolgt in erster Linie nicht mehr durch die gesellschaftsrechtlich verantwortlichen Organe, sondern durch Dritte wie den Wirtschaftsprüfer. Er ist ihnen also aus der Hand genommen. Schon psychologisch ist das für das Bewusstsein der Eigenverantwortlich keit des Organs schädlich. Mehr noch: Die Verantwortung wird auf immer mehr Schultern verteilt. Sie liegt im Ergebnis bei den handelnden Organen, den Wirtschaftsprüfern und bei den verschiedenen Aufsichtsbehörden.Folgt dem Bericht keine Beanstandung oder auch nur Rückfrage der Aufsichtsbehörde, wird das als stillschweigende Billigung verstanden werden müssen. Dem kann man zwar entgegensetzen, dass die Verantwortung rechtlich bei den Organen verbleibt, die tatsächlich gelebten Standards jedoch entwickeln sich im Zusammenspiel mit allen offiziellen und inoffiziellen Personen mit Überwachungsfunktionen. Zugleich werden die Positionen aller Beteiligten fixiert, so dass es für jeden einzelnen und – weil er nicht alle Details offenlegen kann – insbesondere den Abschlussprüfer schwieriger wird, seine einmal geäußerte Auffassung zu ändern.Verbunden ist das mit dem Verlust der Vertraulichkeit der Informationen an den Abschlussprüfer, die er bisher in zahllosen Gesprächen mit den im und für das Unternehmen Tätigen erlangte. Der umfangreichere Bestätigungsvermerk ist für die Öffentlichkeit gedacht.Viele der jetzt neu aufzunehmenden Informationen beruhten bisher auf vertraulichen Gesprächen des Abschlussprüfers mit der Unternehmensleitung, die dazu dienten, einen richtigen Einblick in das Unternehmen zu gewinnen. Wäre der Abschlussprüfer nun gezwungen, und sei es nur zur Minderung des eigenen Haftungsrisikos, nahezu alles, was er erfährt, der Öffentlichkeit preiszugeben, würde dem Vorstand die Herrschaft über das Geheimhaltungsinteresse genommen und auf den Abschlussprüfer als Externen übergehen. Größere Zurückhaltung bei der Kommunikation sensibler Daten an ihn ist zu befürchten, vielleicht sogar rechtlich erforderlich. Die Vertrauensgrundlage zwischen Vorstand und Abschlussprüfer als unerlässliche Voraussetzung guter Prüfungstätigkeit droht nachhaltig gestört zu werden. SpannungsverhältnisDie klassische gesellschaftsrechtliche Corporate Governance und die Durchsetzung der Verantwortlichkeit der Organe, insbesondere der Geschäftsleitung, stehen in einem Spannungsverhältnis zur Aufsicht. Die Verteilung von Detailinformationen und Kontrollverantwortung an eine Mehrzahl an Prüfungsinstanzen führt dann zu einer stillschweigenden Billigung, wenn keine oder nur nichtssagende Reaktionen erfolgen. Rechtlich sollte man am Postulat der Verantwortlichkeit der Organe festhalten und es auch verwirklichen. Faktisch muss man das Risiko sehen, dass untätige Kenntnis der Aufsicht als Billigung verstanden wird und alle gemeinsam sich nicht mehr persönlich verantwortlich sehen.—-*) Prof. Dr. Thomas Gasteyer ist Of Counsel der Kanzlei Clifford Chance in Frankfurt am Main.