ASSET MANAGEMENT - SERIE: ALTERSVORSORGE IM VERGLEICH (TEIL 3)

Rentenreförmchen reicht nicht aus

Frankreichs Altersvorsorgesysteme berücksichtigen die hohe Lebenserwartung sowie die niedrige Beschäftigungsquote viel zu wenig

Rentenreförmchen reicht nicht aus

Die Rentenkassen in Frankreich sind hochdefizitär. Da reicht auch die am 1. Juli in Kraft getretene Rentenreform für privatwirtschaftlich Beschäftigte, die eine Erhöhung des Renteneintrittsalters von 60 auf 62 Jahre vorsieht, bei weitem nicht aus. Der Staat muss zusätzliche Mittel lockermachen. Angesichts der wachsenden Lebenserwartung, der rasch voranschreitenden Überalterung, einer nach wie vor niedrigen Beschäftigungsquote – vor allem bei älteren Menschen – und geringer Wachstumsraten sind weitere Maßnahmen dringend geboten.Von Gerhard Bläske, ParisDie Franzosen haben eine der höchsten Lebenserwartungen der Welt. Männer, die heute mit durchschnittlich 58,7 Jahren in den Ruhestand gehen – früher als alle anderen ihrer Geschlechtsgenossen im Raum der Pariser Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – genießen ihre Rente mehr als 22 Jahre. Frauen, die laut Statistik ab 59,5 Jahren Rente beziehen, können ihren dritten Lebensabschnitt sogar 27,2 Jahre genießen.Einer von zwei der über 50-jährigen Franzosen arbeitet gar nicht mehr. Das Land weist eine der niedrigsten Beschäftigungsquoten unter den älteren Menschen auf. Für Monika Queisser, Rentenexpertin der OECD, ist eine Erhöhung dieser Quote einer der Schlüsselfaktoren für eine Verbesserung der finanziellen Situation des Rentensystems in Frankreich. Für die Finanzierung seines gesetzlichen Rentensystems wendet Paris 13,5 % des Bruttoinlandsprodukts auf – mit Ausnahme Italiens viel mehr als alle anderen Staaten der OECD (siehe Grafik).Die Situation der Rentenkassen ist schon seit langem untragbar. Doch Reformen sind in Frankreich immer schwer durchsetzbar, und “soziale Errungenschaften” wie die 1983 unter Staatspräsident François Mitterrand erfolgte Herabsetzung des gesetzlichen Rentenalters von 65 auf 60 Jahre galten lange als sakrosankt. Frankreich brauchte rund 20 Jahre, um diese Fehlentscheidung wenigstens teilweise zu revidieren. Mit 62 in den RuhestandSeit dem 1. Juli müssen die Beschäftigten der Privatwirtschaft ab Jahrgang 1955 mindestens bis 62 arbeiten, um in den Ruhestand gehen zu können. De facto werden viele aber länger im Berufsleben stehen, vorausgesetzt, sie behalten ihren Job. Da die Zahl der Jugendlichen mit Studienabschluss zunimmt und die Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch ist, steigen junge Leute immer später in den Beruf ein. Sie erreichen damit die für eine volle Rente nötigen 166 Beitragsquartale (das entspricht 41,5 Jahren) nicht oder erst spät. Eine volle Rente werden sie oft erst mit 67 (bisher: 65) beziehen können.Frankreichs Rentner, die in der Privatwirtschaft gearbeitet haben, leben nicht allein von dem umlagefinanzierten staatlichen Grundsystem. Ergänzend gibt es eine lohnbezogene, obligatorische Zusatzversorgung (für leitende Angestellte sogar eine weitere), deren Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert und verwaltet werden. Ähnliche Kassen gibt es für Selbständige. Für die etwa 6 Millionen Beamten, viele Angestellte des öffentlichen Dienstes und Beschäftigte in staatlichen oder halbstaatlichen Unternehmen existieren rund 300 Sondersysteme mit meist großzügigen Altersregelungen. Allerdings werden diese mit langen Übergangsfristen allmählich an die der privatwirtschaftlich Versicherten angeglichen. Viele Staatsdiener können jedoch nach wie vor mit Anfang oder Mitte 50 in Pension gehen.Zum Ausgleich für die Einschnitte in der staatlichen Altersversorgung durch verschiedene Reformen wurden 2004 die PERP (Plan d’Epargne Retraite Populaire) – eine Art Riester-Rente – sowie ihre betriebliche Variante, die PERCO, geschaffen. Die Auszahlung der privaten Zusatzvorsorge erfolgt zwingend in Form einer zu versteuernden Rente. Das Bewusstsein der Bedeutung des Vorsorgesparens ist in Frankreich jedoch nicht sonderlich verbreitet. Vor allem die breite Masse der Bevölkerung, also diejenigen, die eine Aufstockung ihrer Renten besonders bräuchten, nutzen die PERP wenig.Die jährlichen Prämieneinnahmen der Versicherungen belaufen sich auf gerade einmal 5,3 Mrd. Euro oder 2 % der gesamten Rentenzahlungen. Das ist deutlich weniger als in Deutschland oder gar Großbritannien. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Franzosen eine hohe Sparquote aufweisen, in viel höherem Maße als etwa die Deutschen Immobilieneigentum haben und sehr viele Lebensversicherungen besitzen, die wesentlich flexibler als die PERP zu handhaben sind. Fehlbetrag in der KasseDie (bescheidenen) Reformen der verschiedenen Rentensysteme, die teilweise durch großzügige Zugeständnisse erkauft wurden, reichen aber bei weitem nicht aus, die Finanzen auf eine tragfähige Grundlage zu stellen. Schon seit 1991 erhebt der Staat die Allgemeine Soziale Pflichtabgabe (CSG), eine Steuer, die auch auf Kapitalerträge anfällt und zur Finanzierung der Rentenversicherung beiträgt. Dennoch wies die Rentenkasse 2010 einen Fehlbetrag von 32 Mrd. Euro aus. Um bis 2018 halbwegs ausgeglichene Rentenkassen auszuweisen, werden von dem 2001 geschaffenen Rentenreservefonds, der zum 31.12.2010 mit 37 Mrd. Euro gefüllt war, jährlich 2,1 Mrd. Euro abgezapft sowie weitere Haushaltsmittel in zweistelliger Milliardenhöhe transferiert.Selbst unter äußerst günstigen Annahmen wie einer Reduzierung der Arbeitslosenrate von heute 9,5 % auf 7 oder gar 4,5 % sowie einer jährlichen Produktivitätssteigerung um 1,5 bis 1,8 % werden die Rentenkassen 2020 ein Defizit aufweisen. Längerfristig, bis 2050, erwartet der Rentenorientierungsrat (Conseil d’orientation des retraites), der regelmäßig Projektionen durchführt, einen jährlichen Fehlbetrag – je nach Szenario – zwischen 72 und 115 Mrd. Euro und eine Verschuldung, die 77 bis 100 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Die letzte Vorhersage berücksichtigt allerdings die letzten Reformen aus dem Jahre 2010 nicht.Die Entwicklung des französischen Rentensystems gibt trotz einer vergleichsweise hohen Geburtenrate, die mit etwa 2,0 Kindern je Frau europäische Spitze ist, erheblichen Anlass zur Sorge. Diese Einschätzung wird auch in einem internationalen Vergleich deutlich. Der “Melbourne Mercer Global Pension Index”, der die Versorgungssysteme so unterschiedlicher Länder wie USA, Brasilien, China, Japan, Singapur, aber auch Deutschland, Frankreich und der Schweiz vergleicht, sieht Frankreich nur auf dem zehnten Platz unter 14 Ländern, knapp vor Deutschland.Das Beratungshaus untersuchte anhand von 29 Kriterien die Qualität der Vorsorgesysteme im Hinblick auf deren Finanzierung, ihre erbrachten Leistungen und die Integrität. Dabei schnitt Frankreich zwar in Bezug auf die Qualität der Vorsorgesysteme und den Zugang zu Leistungen (etwa die Absicherung durch eine Mindestrente) sehr gut ab, wies aber in puncto Finanzierung und Beitragssituation katastrophale Ergebnisse sowie bei der Integrität (Steuerung, Kosten etc.) sehr schlechte Ergebnisse auf. Mercer empfiehlt Maßnahmen, die auf höhere Einnahmen abzielen, eine weitere Anhebung des Rentenalters, eine Erhöhung der Beschäftigungsquote vor allem älterer Arbeitnehmer sowie verbesserte gesetzliche Rahmenbedingungen für private Altersvorsorgemaßnahmen, die heute fast ausschließlich von Besserverdienenden genutzt werden. Schon im WahlkampfAngesichts der schwierigen finanziellen Situation des Landes mit einer Verschuldung von 82,3 %, einem Budgetfehlbetrag von 7 % (2010) sowie einer Arbeitslosenrate von 9,5 % und defizitären Rentenkassen wäre Handeln dringend geboten. Doch zehn Monate vor den Wahlen spricht nichts für weitere Reformschritte, und keiner der Kandidaten geht mit der (unpopulären) Forderung nach einer weiteren Rentenreform in den Wahlkampf.—-Zuletzt erschienen:- In Spanien spitzt sich die Lage zu (26.7.)- Nur gemächliches Reformtempo in der Schweiz (12.7.)