RECHT UND KAPITALMARKT

Restrukturierung ohne Stigma der Insolvenz

Neues EU-Recht ermöglicht Sanierungen mit Gläubigermehrheit von 75 Prozent

Restrukturierung ohne Stigma der Insolvenz

Von Tom Braegelmann und Dr. Georg Bernsau *)Bei jeder Transaktion stellt sich stets die Frage: Wer trägt das Insolvenzrisiko? Bald lautet die Frage anders: Wer trägt das Restrukturierungsrisiko? Denn das deutsche Wirtschaftsrecht steht vor einer Umwälzung: Die EU führt zügig ein vorinsolvenzliches Restrukturierungsverfahren ein – mit großen Folgen für das Insolvenz-, Gesellschafts- und Bankrecht. Nach der politischen Einigung (vgl. BZ vom 20.12.2018) wird nun in Deutschland um die beste Umsetzung der EU-Richtlinie gerungen werden. Ein Entwurf für ein Restrukturierungsgesetz außerhalb der Insolvenzordnung ist Ende 2019 (Geltung von 2021 an) zu erwarten, mit folgenden Grundlinien:Das Restrukturierungsverfahren wird zeitlich weit vor einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingeschaltet. Dann kann ein Unternehmen – ohne Insolvenzverfahren – mittels eines von den Gläubigern mit der Mehrheit von 75 % beschlossenen Restrukturierungsplans einen Schuldenschnitt durchführen. Derzeit braucht man hierfür außerhalb des Insolvenzverfahrens grundsätzlich die Zustimmung von 100 % aller Gläubiger. Gleichzeitig werden alle Vollstreckungshandlungen für vier bis zwölf Monate gestoppt, das Management bleibt im Sattel (Debtor in Possession). Nur ausnahmsweise wird ein Restrukturierungsverwalter als Aufseher bestellt. Die Neuregelung erinnert an das in der Praxis beliebte Scheme of Arrangement in England.Rechtspolitische Fragen bleiben: Für einen Formelkompromiss typisch (und das ist keine negative Kritik) bietet der EU-Vorschlag für das Kriterium, ab wann das Verfahren zulässig sein soll, nur den schwammigen Begriff der “drohenden Insolvenz”. Diese soll früher einschlägig sein als die “drohende Zahlungsunfähigkeit” des Insolvenzrechts. Die Bedingungen hierfür festzulegen – vor allem, wer diese prüft und bescheinigt -, steht dem Gesetzgeber frei. Er könnte einen frühzeitigen Zugang zum Verfahren gewähren, z. B. drei Jahre vor Eintritt einer Insolvenzreife, und der Geschäftsführung dabei Beurteilungsspielraum lassen – ähnlich dem amerikanischen Bankruptcy Proceeding, das keinen Insolvenztatbestand als Voraussetzung kennt. Doch auch wenn die Rechte der Arbeitnehmer gewahrt bleiben, wie die EU es vorsieht, stellt sich die Frage, wie Missbräuche verhindert werden können. In den USA untersuchten etwa die Wirtschaftsnobelpreisträger George Akerlof und Paul Romer, wann profitorientierte (räuberische) Sanierungen vermehrt auftreten: wenn schlampige Buchhaltung, lockere Regulierung und geringe Sanktionen von Missbrauch zusammentreffen. Man sollte diese Erkenntnisse berücksichtigen. Nur ein GerichtNach einhelliger Meinung sind die Insolvenzgerichte ungeeignet für dieses Restrukturierungsverfahren – wegen der Zersplitterung durch die vielen Amtsgerichte und der teilweise fehlenden Erfahrung der Insolvenzrichter mit vorinsolvenzlichen Sanierungen. Es liegt nahe, ein Restrukturierungsgericht an den Landgerichten zu gründen, zuständig für das Verfahren und die damit zusammenhängenden Prozesse; eins pro OLG-Bezirk sollte ausreichen, mit einem Rechtsmittel direkt zum BGH. An diesem Gericht sollten neben dem Berufsrichter wie bei der Kammer für Handelssachen zwei ehrenamtliche Richter aus der Praxis sitzen. Das entspräche dem angloamerikanischen Ansatz, erfahrene Anwälte zu Bankruptcy Judges zu machen, welche aus eigener Anschauung die Probleme und (die guten oder auch einmal faulen) Tricks der Sanierungspraxis kennen.Der Gesetzgeber kann für einige Fälle die zwingende Bestellung eines Restrukturierungsverwalters anordnen. Hier ist indes politischer Streit zu erwarten: Die großen internationalen Kanzleien dürften die Restrukturierungsverfahren weitgehend ungestört durchführen wollen, ohne einen aktiven und die Interessen aller Gläubiger wahrenden Restrukturierungsverwalter. Wie weit der Gesetzgeber das Verfahren vorwiegend in die Hände der Berater legen sollte, ist zu diskutieren. Es gibt Rechtsordnungen, wo das funktioniert. Breiter SpielraumWeiterhin zu klären ist, wie sich das neue Recht zum Insolvenzrecht verhält, wie weit es die Insolvenzantragspflicht hemmt und mit Lizenzen, Patenten etc. verfährt. Soll der Instrumentenkasten des Insolvenzrechts (Beendigung von Verträgen, Anfechtung von Rechtshandlungen, Insolvenzgeld, Entlassung von Arbeitnehmern, Verwertung von Vermögen/Asset Deal) auch im Restrukturierungsverfahren zur Verfügung stehen? Soll die Betonung doch auf Schuldenbereinigung liegen? Sind Sicherheiten weiterhin absolut geschützt? Sollen Sanierungskreditgeber bevorzugt befriedigt werden? Der breite Umsetzungsspielraum der EU-Richtlinie gibt Deutschland die Chance, einem modernen Sanierungsrecht den Weg zu ebnen. Ob damit auch das politisch gewünschte Ende der Stigmatisierung gescheiterter Unternehmensgründer einhergehen wird, bleibt jedoch abzuwarten.—-*) Dr. Georg Bernsau ist Partner, Tom Braegelmann Anwalt bei BBL Bernsau Brockdorff & Partner.