Immobilien - Gastbeitrag

Reverse Mortgages kommen nach Deutschland

Börsen-Zeitung, 28.2.2008 Viele ältere Menschen haben einen Liquiditätsbedarf, den sie aus ihren laufenden Einnahmen nicht mehr decken können. Sinkenden laufenden Einnahmen stehen steigende Ausgaben für Gesundheits- und Pflegebedarf gegenüber. Ein...

Reverse Mortgages kommen nach Deutschland

Viele ältere Menschen haben einen Liquiditätsbedarf, den sie aus ihren laufenden Einnahmen nicht mehr decken können. Sinkenden laufenden Einnahmen stehen steigende Ausgaben für Gesundheits- und Pflegebedarf gegenüber. Ein Großteil der Lebensersparnisse ist im Eigenheim gebunden: Immobilien stellen mehr als 80 % des Vermögens der Deutschen, die 65 Jahre und älter sind. Aus ihrer gewohnten Umgebung möchten vor allem ältere Selbstnutzer nur ungern ausziehen, so dass ein Verkauf für sie nur selten in Frage kommt.An diese Menschen wendet sich ein in Deutschland noch weitgehend unbekanntes Kreditprodukt, die Reverse Mortgage. Eine Reverse Mortgage leitet sich aus der Umkehrung des Zahlungsstroms eines klassischen Hypothekenkredites ab und weist weitere Besonderheiten auf. So ist der Kredit üblicherweise während der Vertragslaufzeit nicht zu tilgen. Die anfallenden Kreditzinsen werden gestundet und erst zum Vertragsende zurückverlangt. Typischerweise endet der Reverse-Mortgage-Vertrag zum Zeitpunkt des Verkaufs oder Auszugs aus der Immobilie, spätestens mit dem Tod des Wohneigentümers, so dass dieser mit lebenslangen Renten seine individuelle Langlebigkeit absichern kann. Nur eine SicherheitDarüber hinaus kann die Bank zusätzlich zur Immobilie keine anderen Vermögenspositionen des Wohneigentümers als Sicherheit zur Befriedigung ihrer Kreditforderung verwenden. Wenn der Kreditbestand aus lebenslangen Rentenzahlungen und gestundeten Kreditzinsen aufgrund einer unerwartet hohen Langlebigkeit des Wohneigentümers den Verkaufserlös der Immobilie zum Vertragsende übersteigt, bleiben keine (Rest-)Forderungen gegenüber dem Wohneigentümer als Kreditnehmer bestehen. Falls der Kreditbestand am Ende der Vertragslaufzeit kleiner ist als der Immobilienpreis, so steht die Differenz dem Wohneigentümer oder dessen Erben zu. Aus diesem Grund sind insbesondere die Lebensdauer der Eigentümer, die Wertentwicklung der Immobilie und die Marktzinsentwicklung von entscheidender Bedeutung.In Deutschland hat die Reverse Mortgage vor allem bei den Nachfragern Akzeptanzprobleme. In einer Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim bei 232 Finanzmarktexperten sehen diese potenzielle Hindernisse auf Seiten der Wohneigentümer bei der Einführung von Reverse-Mortgage-Produkten in Deutschland insbesondere im Wunsch, eine Erbschaft zu hinterlassen, aber auch im Misstrauen gegenüber anbietenden Institutionen sowie in der Passivität älterer Menschen, sich mit der eigenen Vergänglichkeit auseinanderzusetzen. Auf der Angebotsseite schätzen sie vor allem das Verwertungsproblem der Immobilie als gewichtiges Hindernis ein. Ebenso beeinträchtigen das Risiko einer extremen Langlebigkeit des Wohneigentümers und der erschwerte Weiterverkauf von Forderungen und Risiken die Akzeptanz von Reverse Mortgage.Die Ergebnisse der ZEW-Umfrage zeigen jedoch deutlich, dass nach Meinung von mehr als zwei Dritteln der befragten Experten die Bedeutung von Reverse Mortgage in Deutschland in den nächsten Jahren zunehmen wird. In Deutschland gibt es etwa 4 Millionen Eigenheimbesitzer, die 60 Jahre und älter sind und über ein selbst genutztes Immobilienvermögen verfügen. Etwa drei Viertel von ihnen entfallen auf die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Noch wird die “umgekehrte Hypothek” hierzulande zwar nicht angeboten; einige Institute sondieren aber zurzeit den Markt. So kann sich beispielsweise der Leiter der Immobilienabteilung bei der Investitionsbank Schleswig-Holstein, Axel Vogt, noch in diesem Jahr einen testweisen Produktstart vorstellen. “Ein besonderes Augenmerk haben die Förderbanken dabei auf Seniorenhaushalte mit Immobilienvermögen und unterdurchschnittlicher Einkommenssituation”, so Vogt.In anderen Ländern hat sich Reverse Mortgage bereits etabliert. So ist der US-Markt heute weltweit der größte Reverse-Mortgage-Markt nach der Zahl der abgeschlossenen Verträge und des Gesamtvolumens. Ihre breite Akzeptanz verdanken Reverse-Mortgage-Produkte einer staatlichen Absicherung, dem Home Equity Conversion Mortgage Program (HECM), das Risiken der Kreditnehmer und Anbieter abfedert. Versicherung springt einSo erbringt die staatliche Versicherung bei Zahlungsunfähigkeit des Anbieters die dem Eigentümer vertraglich zugesicherten Leistungen. Der Anbieter erhält gleichzeitig eine Versicherung gegenüber Verlusten aus einem Kreditausfall, falls der Bestand des Kreditkontos den Immobilienwert übersteigt. Der Anbieter wird seine Forderungen gegenüber dem Wohneigentümer an die staatliche Federal Housing Administration übertragen, sobald der aufgelaufene Kreditbetrag 98 % des vertraglich festgelegten maximalen Forderungswertes der Immobilie erreicht hat. Die Reverse-Mortgage-Märkte in Kanada, Australien und Neuseeland sind ebenfalls hoch entwickelt. Auch in Europa bilden sich neben dem etablierten Equity-Release-Markt in Großbritannien insbesondere in Spanien, Schweden, Finnland und Frankreich neue Märkte. In Großbritannien existierten bis 1998 vor allem sogenannte Home-Reversion-Instrumente, bei denen es zum Vertragsabschluss zu einem sofortigen Eigentumsübergang kommt (entsprechend der deutschen Leibrente). Die seitdem deutlich gestiegenen Immobilienpreise haben das Interesse an Home Reversion stark verringert, da Wertsteigerungen der Immobilie dem Anbieter zukommen. Zwei Varianten in SpanienIn Spanien werden zwei Varianten der Reverse Mortgage vertrieben, die zeitlich begrenzte Reverse Mortgage (Hipoteca Inversa Limitado) und die lebenslange Reverse Mortgage (Hipoteca Inversa Vitalicio). Bei der limitierten Reverse Mortgage wird ein fester Zeitraum vereinbart, das heißt, die monatlichen Zahlungen fließen bis zu einem Stichtag in der Regel über einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren. Üblich ist eine Produktvariante, bei der zusätzlich zu den monatlichen Auszahlungen zu Vertragsbeginn die Möglichkeit einer Einmalauszahlung besteht. Die bisher abgeschlossenen Verträge entsprechen den in Spanien üblichen hohen Beleihungsgrenzen, hingegen nicht der typischerweise variablen Zinsanpassung.Bis zu den ersten Markttests in Deutschland kann es nicht mehr lange dauern. Bei sinkenden Renten und Geburtenraten, steigenden Immobilienquoten und einer wachsenden Zahl älterer Menschen, die ihren Lebensstandard wahren wollen, gewinnen neue Finanzierungswege an Bedeutung. Die Zeit arbeitet für die “umgekehrte Hypothek”.