RECHT UND KAPITALMARKT

Rückenwind aus Luxemburg für EU-Kommission

Gericht stützt Feldzug gegen "Steuerbeihilfen", rügt aber technische Mängel

Rückenwind aus Luxemburg für EU-Kommission

Von Ulrich Soltész *)Die vergangenen beiden Wochen dürften manch einem Beamten bei der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission schlaflose Nächte bereitet haben. Denn es stand für die mächtige Wettbewerbsbehörde einiges auf dem Spiel. Bekanntlich hat sie sich in den vergangenen Jahren weit in das Steuerrecht hineingewagt und “Aggressive tax planning measures” den Kampf angesagt. Es folgten Rückforderungsentscheidungen in Milliardenhöhe, die von Unternehmen und Mitgliedstaaten angefochten wurden.Nun fand in der vorletzten Woche im Apple-Fall die zweitägige Verhandlung vor dem Gericht der EU in Luxemburg statt. Zudem hat das Gericht am 24. September 2019 seine Urteile in den Fällen Starbucks und Fiat Chrysler erlassen. Es steht viel auf dem SpielBekanntlich hat Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die dieses Amt auch wieder in der neuen Kommission ausüben wird, ihren Kampf gegen EU-beihilferechtswidrige Steuermaßnahmen zu einer Herzensangelegenheit gemacht. Sie wurde deshalb – auch von Donald Trump – irrtümlicherweise als “Steuer”-Kommissarin bezeichnet.Vestager hat mehrfach klargestellt, dass sie diesen Kreuzzug unerbittlich weiterverfolgen will. Diese energische Politik hat ihr eine hohe Popularität und wohl auch ihre erneute Nominierung als Wettbewerbskommissarin beschert. Sie hat aber natürlich auch Kritik bei Unternehmen und den betroffenen Mitgliedstaaten – vor allem Luxemburg, Irland, den Niederlanden, Belgien und auch Großbritannien – eingebracht. Die von der Kommission bei Fiskalbeihilfen angewandten Prüfungsmaßstäbe sind aus Sicht vieler Beobachter – auch aus Deutschland – nicht klar definiert und tragen zur Rechtsunsicherheit bei.Für die Kommission sind die Luxemburger Verfahren somit von hoher Bedeutung. Hätten die Richter die Beschlüsse zu Starbucks und Fiat Chrysler in größerem Umfang aufgehoben, so wäre sie in einem ganz zentralen Feld entscheidend geschwächt worden. Und das zu Beginn einer neuen Amtszeit. Es ging also nicht nur um viel Geld, sondern auch um die künftige Politik der Kommission. Ermutigung für BrüsselHierzu ist es jedoch nicht gekommen. Die beiden Urteile sind – insgesamt gesehen – eine positive Nachricht für die Kommission. Dies dürfte sie ermutigen, weiterhin mit der Keule des EU-Beihilferechts gegen vorteilhafte Steuervorbescheide (“tax rulings”) vorzugehen.Den grundsätzlichen Ansatz der Kommission hat das Gericht in beiden Fällen trotz der Grundsatzkritik der Kläger voll bestätigt. Aus Sicht der Richter lag vor allem keine Kompetenzüberschreitung der Kommission und auch keine “versteckte Steuerharmonisierung” vor. Sie haben klargestellt, dass die Kommission bei der Beurteilung der Steuervorbescheide das “arm’s length principle” anlegen durfte, um festzustellen, ob sich aus dem Steuervorbescheid ein Vorteil im Vergleich zur normalen Besteuerung ergab. Dies war einer der Kernangriffspunkte der Kläger, auch in anderen anhängigen Verfahren.Das Gericht war in beiden Fällen klar der Auffassung, dass dieser Fremdvergleichsgrundsatz – ein international anerkannter Standard zur Beurteilung von konzerninternen Verrechnungspreisen – der richtige Test für das Vorliegen von Marktpreisen sei. Dieser Grundsatz könne somit für die Frage der zutreffenden Besteuerungsgrundlage und folglich auch für die Prüfung des Vorliegens einer beihilferelevanten Begünstigung herangezogen werden.Zwar hat das Gericht nur den Fiat Chrysler-Beschluss bestätigt, den Starbucks-Beschluss aber aufgehoben. Dies lag aber nicht an der Grundsatzfrage zur Anwendbarkeit des arm’s length principle, sondern an technischen Mängeln bei der Berechnung der Transferpreise. Solche Fehler können möglicherweise nachträglich korrigiert werden. Aus Sicht der Kommission war das Starbucks-Urteil sicherlich kein Wunschergebnis; angesichts der grundsätzlichen Bestätigung des Kommissionsansatzes dürfte sich der Schmerz über die (vorläufige) Niederlage aber in Grenzen halten. Beide Urteile können noch vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten werden. Ob sich aus den Urteilen auch konkrete Schlüsse für andere anhängige Gerichtsverfahren – vor allem das Apple-Verfahren – ableiten lassen, ist schwer zu sagen. Denn jeder Fall ist anders gelagert. Die Kommission hat aber Grund zum Optimismus. Verschärfte KontrolleDennoch sollte sie die Kritik in dem Starbucks-Urteil nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn die gerichtliche Kontrolle hat sich verschärft. In den letzten Monaten hat die Kommission zahlreiche Gerichtsverfahren in Luxemburg verloren. Speziell im Bereich der Steuerbeihilfen wurden in allerjüngster Zeit einige Beschlüsse von den Gerichten kassiert. Ihr Fokus muss deshalb künftig auch auf der Vermeidung handwerklich-technischer Mängel liegen. *) Dr. Ulrich Soltész ist Partner von Gleiss Lutz in Brüssel.