RECHT UND KAPITALMARKT

Rückschlag für die Europa GmbH

Bedenken im Hinblick auf eine Schwächung der Arbeitnehmermitbestimmung - Einigung noch möglich

Rückschlag für die Europa GmbH

Von Wolfgang Seidel *)Die Europäische Privatgesellschaft, eine EU-weite Rechtsform für kleine und mittelständische Unternehmen, auch “Europa-GmbH” genannt, wird vorerst nicht eingeführt. Die EU-Kommission hatte bereits im Juni 2008 einen Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Europäische Privatgesellschaft unterbreitet, das EU-Parlament hatte bereits im März 2009 zugestimmt, aber im EU-Rat für Wettbewerbsfähigkeit fand sich trotz mehrmaliger Anläufe zwischen Dezember 2009 und Juni 2011 keine Einigung. Zuletzt lag ein Kompromissvorschlag der ungarischen Ratspräsidentschaft vom 23. Mai 2011 vor. Eine Einigung hätte nur mit Einstimmigkeit erzielt werden können; insbesondere von deutscher Seite wurden aber wiederholt Bedenken vorgebracht. ImpulsgeberEine Einigung ist immer noch möglich. Die EU-weite Einführung der Europäischen Privatgesellschaft würde das Wirtschaftswachstum in Europa und gerade auch in Deutschland nachhaltig unterstützen. Bei einer besseren Wahrung der Arbeitnehmermitbestimmung könnte auch die Bundesregierung im EU-Rat für Wettbewerbsfähigkeit zustimmen.Die EU-Kommission begründet ihren Vorschlag einer EPG-Verordnung aus dem Juni 2008 damit, dass die Einführung einer Europäischen Privatgesellschaft zur Reduzierung rechtlicher Komplexität und zur Kosteneinsparung für kleine und mittelständische europäische Unternehmen führt. Dem entsprechen die Stellungnahmen der Befürworter der Europäischen Privatgesellschaft aus der Politik, den Unternehmensverbänden und der Wissenschaft. Gemeint ist: Der EU-Mittelständler, der bisher seine Tochter- und Enkelgesellschaften in Deutschland als Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in Frankreich als Société à Responsabilité Limitée, in Spanien als Sociedad de Responsabilidad Limitada, in Italien als Società a Responsabilità Limitata, im Vereinigten Königreich als Private Limited Company, in den Niederlanden als Besloten Venootschap organisiert hat und zukünftig für alle Beteiligungsgesellschaften die Rechtsform der Europäischen Privatgesellschaft nutzen kann, spart gesellschaftsrechtliche Beratungs- und Compliance-Kosten.Zwar hätte der Mittelständler auch bisher alle Beteiligungsgesellschaften in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten in ein und derselben nationalen Rechtsform organisieren können, z. B. als englische Private Limited Company. Doch hätte hier das Risiko bestanden, dass viele Geschäftspartner den Einsatz ausländischer nationaler Rechtsformen als nicht hinreichend seriös betrachten. Eine EU-weit einsetzbare Europäische Privatgesellschaft dürfte sich hingegen in den verschiedenen EU-Mitgliedstaaten neben den jeweiligen nationalen Rechtsformen durchsetzen und bei ihren Geschäftspartnern Anerkennung finden.Noch nicht hinreichend diskutiert ist, dass die Einführung einer Europäischen Privatgesellschaft über die Einsparung von Rechtsberatungs- und Compliance-Kosten hinaus Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaftswachstum schafft. Die EU und gerade auch Deutschland stehen (wieder) im Fokus von Investoren aus vielen Nicht-EU-Staaten, bspw. aus den USA, Kanada, Japan, Russland, Indien, China, Singapur, Malaysien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Diese Investoren überlegen nicht nur den Kauf von Unternehmen oder Unternehmensteilen mit oft erheblichen Folgeinvestitionen in der EU und Deutschland, sondern auch die Gründung und den Aufbau von Tochter- und Enkelgesellschaften für F & E, Produktion, Service und/oder Vertrieb. In dieser Situation schafft das Angebot einer EU-weit anerkannten und einsetzbaren Rechtsform Vertrauen und Transparenz auf Investorenseite und erleichtert die Investitionsentscheidung. Zudem dürfte ein Investor schneller von der Gründung einer ersten Tochtergesellschaft in einem EU-Mitgliedstaat zu überzeugen sein, wenn er dieselbe Rechtsform auch für eine weitere Tochtergesellschaft in einem andern EU-Mitgliedstaat verwenden kann – und ein Investor, der bereits eine Tochtergesellschaft in einem EU-Mitgliedstaat hält, dürfte sich schneller für die Gründung einer zweiten Tochtergesellschaft in einem anderen EU-Mitgliedstaat entscheiden, wenn er hierfür dieselbe Rechtsform wie bei seiner ersten Tochtergesellschaft verwenden kann.Zum Teil mag auch dem Nicht-EU-Investor die Entscheidung für die Akquisition eines mittelständischen Unternehmens in einem EU-Mitgliedstaat leichterfallen, wenn dieses Unternehmen in einer dem Investor bekannten, da europaweit anerkannten Rechtsform organisiert ist. Die Einführung einer Europäischen Privatgesellschaft sollte also im europäischen wie im deutschen Interesse weiterverfolgt werden.Bei allen Vorteilen der Europäischen Privatgesellschaft hat die Bundesregierung aber immer auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die in Deutschland gesetzlich verankerte Arbeitnehmermitbestimmung nicht geschwächt werden darf. Die gemäß Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz an Recht und Gesetz gebundene Bundesregierung darf nicht im Europäischen Rat für Wettbewerbsfähigkeit an der Entstehung europäischen Rechts mitwirken, durch das vom Deutschen Bundestag beschlossene Mitbestimmungsgesetze faktisch ausgehebelt werden.Die Europäische Privatgesellschaft sieht die Möglichkeit der Trennung von Satzungs- und Verwaltungssitz vor – wie übrigens auch die GmbH seit der Modernisierung des GmbH-Rechts durch das MoMiG zum 1. November 2009. Da aber die Europäische Privatgesellschaft, anders als die deutsche GmbH, kein originäres Mitbestimmungsregime vorsieht – und auch gar nicht vorsehen kann, will man nicht den EU-Mitgliedstaaten ein Mehr oder ein Weniger an Mitbestimmung im Vergleich zur jeweiligen nationalen Regelung aufoktroyieren – richtet sich der mitbestimmungsrechtliche Status der Europäischen Privatgesellschaft grundsätzlich nach dem Satzungssitz.Im Ansatz könnte deshalb eine Flucht aus der Mitbestimmung so vonstattengehen, dass eine mitbestimmte deutsche GmbH die Rechtsform einer Europäischen Privatgesellschaft annimmt, den Satzungssitz in einen mitbestimmungsfreien EU-Staat verlegt, z. B. das Vereinigte Königreich oder Belgien, und den Verwaltungssitz in Deutschland belässt. Zwar sieht der Verordnungsentwurf Schutzregelungen genau für den Fall vor, dass eine Europäische Privatgesellschaft Arbeitnehmer in einem EU-Mitgliedstaat beschäftigt, der ein höheres Niveau der Arbeitnehmermitbestimmung vorsieht als der Sitzstaat. Der Grundgedanke ist eine Verhandlungslösung, d. h. die Arbeitnehmer entsenden Vertreter in ein besonderes Verhandlungsgremium, welches mit der Geschäftsführung über das Niveau der Mitbestimmung verhandelt. Kommt keine Verhandlungslösung zustande, gilt regelmäßig das höhere Niveau der Mitbestimmung (sogenannte Auffanglösung).Aber die Details dieser Verhandlungslösung stimmen noch nicht ganz. So können bspw. in allen Fällen, in denen die Auffangregelung zur Anwendung kommt, die EU-Mitgliedstaaten ungeachtet dieser Regelung gemäß Art. 35d Abs. 3 des EPG-Verordnungsentwurfs den Anteil der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsrat auf ein Drittel beschränken. Daher könnte eine der paritätischen Mitbestimmung unterliegende deutsche GmbH mit mehr als 2 000 Arbeitnehmern bei Umwandlung in eine Europäische Privatgesellschaft, Verlegung des Sitzes in das Vereinigte Königreich, Aufnahme und Scheiternlassen der Verhandlungen mit den Arbeitnehmern erreichen, dass die bisherige paritätische Arbeitnehmermitbestimmung auf eine Drittelbeteiligung reduziert wird. VerbesserungsbedarfDie Bundesregierung merkt deshalb zu Recht Verbesserungsbedarf bei manchen Regelungen zum Schutz der Arbeitnehmermitbestimmung an. Gelingt es, diese Regelungsdetails in weiteren Verhandlungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu klären und die Europäische Privatgesellschaft einzuführen, dann werden hierdurch Rahmenbedingungen für weiteres nachhaltiges Wirtschaftswachstum in Europa und gerade auch in Deutschland geschaffen.—-*) Dr. Wolfgang Seidel ist Rechtsanwalt und Counsel der internationalen Sozietät Kaye Scholer in Frankfurt am Main.