RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: PETER DREIER

"Rückschrittlich und verfassungswidrig"

Kritik an vorgeschlagener Abschaffung von Rechtsmitteln in Spruchverfahren

"Rückschrittlich und verfassungswidrig"

– Herr Dr. Dreier, unter dem Namen “Änderungen im Umwandlungsrecht mit Folgeänderungen anlässlich der Aktienrechtsnovelle 2012” ist der Vorsitzende des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltsvereins gebeten worden, einen Regelungsvorschlag zu unterbreiten. Was beinhaltet dieser Entwurf?Einer der zentralen Regelungsvorschläge ist die Abschaffung von Rechtsmitteln im Spruchverfahren, nachdem erst 2009 hierfür die dritte Instanz zum BGH eröffnet wurde. Künftig soll über Anträge von Aktionären auf Nachbesserung von Abfindungen zur Verfahrensbeschleunigung nur das Oberlandesgericht als erste und einzige Instanz entscheiden. Den Aktionären würde jegliche weitere Prüfmöglichkeit genommen.- Sie werten das kritisch. Wieso?Der Vorschlag führt nicht zu einer wesentlichen Verkürzung, weil über die Rechtsmittel gegen landgerichtliche Entscheidungen in Spruchverfahren bereits in kurzer Zeit entschieden wird. Die Abschaffung von Rechtsmitteln der Minderheitsaktionäre ist zudem kein angemessenes Mittel zur Verfahrensbeschleunigung. Mit den zum Beispiel von einem Squeeze-out betroffenen Aktionären gerichtlich kurzen Prozess zu machen, missachtet rechtsstaatliche Grundsätze.- Inwiefern?Es muss Möglichkeiten geben, richterliche Entscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüfen zu lassen. Dies gilt insbesondere für die Spruchverfahren, die mit Blick auf die vermögensrechtliche Kompensation in Abfindungsfällen nach dem Rückbau des Rechtsschutzes in Anfechtungsprozessen die einzige noch verbleibende Prüfungsmöglichkeit bieten. Dieser Schutz genießt sogar Verfassungsrang. Eine angemessene wirtschaftliche Entschädigung bei Vermögensbeeinträchtigungen der Aktie ist von der Eigentumsgarantie aus Artikel 14 Grundgesetz erfasst. Es wäre zudem widersprüchlich, wenn in zivilrechtlichen Bagatellfällen von zum Teil wenigen tausend Euro Streitwert der übliche dreistufige Instanzenzug bis zum BGH zur Verfügung steht, während gleichzeitig bei Eingriffen in grundrechtlich geschützte Vermögenspositionen der Minderheitsaktionäre, bei denen es oftmals um Abfindungsleistungen in Millionen- oder gar Milliardenhöhe geht, der Rechtschutz auf eine Instanz gekürzt werden soll.- Welche Auswirkungen hätte es, wenn die Vorschläge trotz der erheblichen Bedenken umgesetzt werden würden?Wird der Rechtschutz der Aktionäre weiter zurückgefahren, besteht die Gefahr, dass der Kapitalmarkt nicht mehr funktioniert. Anleger werden Unternehmen nicht mehr das notwendige Eigenkapital zur Verfügung stellen, wenn sie vermögensrechtlich und gesellschaftsrechtlich keinen effektiven Rechtsschutz gegen Mehrheitsentscheidungen haben.- Was schlagen Sie vor, um Spruchverfahren zu beschleunigen?Es ist erstaunlich, dass die Privatgutachter der Unternehmen bei Abfindungsmaßnahmen in der Regel nur drei Monate zur Unternehmensbewertung benötigen, in Spruchverfahren als Gerichtsgutachter dann aber teilweise Jahre brauchen. Hier kann bereits bei der Auswahl von gerichtlichen Gutachtern der Dauer mehr Beachtung geschenkt werden, etwa durch Zeitvorgaben. Zudem verzögern oft die zur Abfindung verpflichteten Unternehmen die Vorlage notwendiger Bewertungsunterlagen.- Wie kann dem begegnet werden?Etwa mit den strengen Vorlagepflichten schon aufgrund des geltenden Rechts. Die Fehlerhaftigkeit des derzeitigen Systems ist auch durch die Nähe einzelner Prüfer zu den Hauptaktionären beziehungsweise Unternehmen geprägt. In der Hoffnung auf lukrative Folgemandate werden oft Gutachten erstellt, die im Spruchverfahren eine Neubewertung erfordern. Um einen Beschleunigungseffekt zu erzielen, sollte hier angegriffen werden, statt den ohnehin geschmälerten Aktionärsschutz weiter einzuschränken.—-Dr. Peter Dreier ist Partner bei Dreier Riedel Rechtsanwälte. Die Fragen stellte Walther Becker.