PORTFOLIO - GASTBEITRAG

Russland ist auf einem guten Weg

Börsen-Zeitung, 17.8.2013 Es gibt eine große Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung Russlands und seinem tatsächlichen Zustand. Anleger begegnen ganz anderen Chancen und Problemen, als sie erwarten würden. Auffällig ist der Mangel an Investoren. Warum?...

Russland ist auf einem guten Weg

Es gibt eine große Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung Russlands und seinem tatsächlichen Zustand. Anleger begegnen ganz anderen Chancen und Problemen, als sie erwarten würden. Auffällig ist der Mangel an Investoren. Warum? Die Welt scheint Russland aufgegeben zu haben. Die Abwesenheit von Investoren wirft die Frage auf, ob es denn wenigstens einen Silberstreifen am Horizont gibt? In einem Umfeld, in dem Gelder aus Emerging-Markets-Fonds abgezogen werden, kann aus Russland nicht mehr viel abfließen.Wenn der Appetit auf Risiko jedoch wiederkehrt, dann bietet dieser ungeliebte Markt, dessen Bewertung mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 4,5 geradezu absurd niedrig ist, gutes Ertragspotenzial. Was könnte eine Neubewertung auslösen? Die Schlüsselfrage ist: Wann wird Russland wieder wachsen? Wann werden wir Verbesserungen bei der Korruptionsbekämpfung und der Corporate Governance sehen? Welche Schlüsse sollen Investoren aus den ausbleibenden Reformen und der Politik in Russland ziehen? Und schließlich: In was sollen Anleger investieren? Übertriebene BefürchtungNach Meinung des stellvertretenden Wirtschaftsministers ist Russlands Wirtschaft dabei, zu überhitzen. Bei einem Wachstum von bislang 1,6 % scheint diese Befürchtung übertrieben. Doch er bezog seine Aussage auf die Tatsache, dass Russland mit einer Arbeitslosenquote von nur 5,5 % praktisch Vollbeschäftigung hat. Die Lohnkosten steigen schneller als die Produktivität. Und deshalb bleibt das Finanzministerium seiner restriktiven Fiskalpolitik treu.Dennoch werden Maßnahmen ergriffen, um das Wachstum zu fördern. Ein Teil des staatlichen Wohlfahrtsfonds wird in Infrastrukturmaßnahmen investiert. Die Zentralbank wird zudem die Laufzeiten für Bankenkredite verlängern, was de facto zu einer Lockerung der Geldpolitik führen dürfte. Russland könnte dadurch für das Gesamtjahr auf eine Wachstumsrate von nahezu 3 % kommen. Um Putins Ziele zu realisieren, reichen 3 % bis 3,5 % allerdings nicht aus. Die einzige Art, wie Russland sein Wachstum nachhaltig ankurbeln kann, ist mit Hilfe struktureller Reformen.Wladimir Putins Wirtschaftspolitik ist das Ergebnis von Kompromissen zwischen dem Einfluss seines liberalen Wirtschaftsteams, das sich für Reformen und Budgetdisziplin einsetzt, und einer starken Lobby, die auf Protektionismus und Ankurbelung der Wirtschaft durch den Staat drängt. Der russische Präsident selbst hat vor allem ein Ziel: die Wirtschaft anzukurbeln, sodass er seine sozialen Verpflichtungen erfüllen, seine Popularität wieder steigern und die nächsten Wahlen 2018 wieder gewinnen kann. Wirtschaft ankurbelnAuslandsinvestitionen dürften eine wichtige Rolle bei der Ankurbelung der Wirtschaft des Landes spielen. Seine jüngste Rede beim Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg war seine bislang beste Bemühung, ausländische Investoren zu werben. Putin hat erkannt, dass er sie letztendlich brauchen wird.Während für viele die Begriffe “Russland” und “Reformen” in einem Satz nicht zusammenpassen, hat es in den vergangenen zwei Jahren Fortschritte gegeben, in Bereichen, in denen sich zuvor über Jahrzehnte hinweg nichts bewegt hatte. Dazu gehören beispielsweise der Beitritt Russlands zur WTO oder die Anpassung der Abwicklung von Aktiengeschäften an westliche Standards. Kampagnen verschärftPutin hat seine Anti-Korruptionskampagne in den zurückliegenden sechs Monaten spürbar verschärft. In den vergangenen drei Jahren ist die Verfolgung von Bestechungsdelikten im Zehnjahresvergleich um 83 % gestiegen. Auch die Profitabilität der Unternehmen konnte in vielen Branchen verbessert werden: Im Lebensmitteleinzelhandel, bei Mobilfunkanbietern, bei Internet und IT-Firmen werden die höchsten Margen weltweit erzielt. Im vergangenen Jahr wurden auch die Ausschüttungsquoten erhöht. Die Dividendenrenditen von über 4,5 % gehören zu den höchsten in den Emerging Markets. Europäische StandardsStaatliche Einmischung in unternehmerische Belange ist in Russland nach wie vor weit verbreitet. Doch dies ist ein Problem in vielen Emerging Markets. Russland wird dies jedoch mehr angekreidet als anderen Ländern, weil es als “europäisch” gilt und an europäischen Standards gemessen wird. In Wirklichkeit war Russland jedoch nie wie andere europäische Länder. Der entscheidende Punkt ist, dass es in Russland zu Veränderungen kommt, auch wenn diese sehr langsam vonstattengehen.In welche russische Unternehmen sollen Anleger investieren? Beim Jupiter-New-Europe-Fonds habe ich mich vor allem auf private Unternehmen mit Konsumgüterfokus konzentriert. Der Lebensmitteleinzelhandel ist unbestritten ein sicherer Hafen.Die interessantesten Unternehmen finden sich jedoch eindeutig in der Internet- und Softwareindustrie. Einige Werte wie Mail.ru oder Yandex waren in der Vergangenheit zu teuer (häufig wurden sie zu einem KGV von weit über 35 gehandelt) oder zu illiquide. Doch diese Werte sind in jüngster Zeit herabgestuft worden und haben ihren Free Float erhöht. Zu gegenwärtigen Kursen bieten sie interessante Investmentmöglichkeiten mit einem nachhaltigen Ergebniswachstum von plus 30 % und einem Kurs-Gewinn-Verhältnis im hohen Zehnerbereich in 2014. Den Index schlagenIch bin weiterhin sehr beeindruckt von der Entbindungskrankenhäusergruppe MD Medical, die den russischen Index seit Oktober 2012 um 33 % outperformed hat. Der Schlüssel zu ihrem Erfolg liegt auch darin, dass die Gruppe sich als attraktives Investment in einem Sektor positionieren konnte, der ein komplett neues Segment für Investoren in Russland darstellt. Ebenso ist es einem gut geführten Haushaltselektronikunternehmen mit westlichem CFO gelungen, sich gegenüber ausländischen Investoren gut zu präsentieren und den russischen Index in den vergangenen drei Jahren um rund 35 % zu schlagen.Die Gespräche, die ich mit vielen Unternehmen geführt habe, und Putins Bemühungen beim Wirtschaftsforum machen mich optimistisch, dass Russland nun endlich das tut, was es tun muss, um westliche Investoren zu umwerben: dieselbe Sprache sprechen. Eine Sprache, die Unternehmen in Russland erst lernen und verstehen müssen. Dieser Prozess ist meiner Meinung nach auf einem guten Weg.—-Elena Shaftan, Fondsmanagerin bei Jupiter Asset Management