Russlands gelungene Metamorphose
Wenn sich selbst ernannte Kreml-Experten beim Smalltalk in Spekulationen zum Ausgang der russischen Präsidentschaftswahlen am 4. März ergehen, bleibt das eigentlich Wichtige meist unerwähnt: Diese Wahlen läuten einen echten Wandel ein. Russland wird tatsächlich – und verdientermaßen – zu einer lebendigen Volkswirtschaft.Die aktuellen Proteste von Seiten junger Russen aus dem gehobenen Mittelstand gab es schon in ähnlicher Form in anderen Schwellenmärkten, und somit waren sie vorhersehbar. Im Kreml hatte man sie erwartet und durch die Beschleunigung wirtschaftlicher Reformen Vorsorge getroffen. Die guten Umfragewerte für Wladimir Putin in der Vergangenheit ließen sich aus dem Wirtschaftswachstum ableiten – ein Jahrzehnt lang stieg das Realeinkommen um 10 % jährlich an. Insofern musste in einem Jahr, in dem die EU fast zusammenbrach und die Einkommen in Russland aufgrund der galoppierenden Inflation schrumpften, auch der Kreml Punkte verlieren.Putin sucht weiter nach einer wirtschaftlichen statt nach einer politischen Lösung, die ihn an der Macht hält. Allerdings sind sich die liberale Intelligenzija, die Thinktanks des Westens und die Medien einig: Nur mit wirtschaftlichen Ansätzen wird er das nicht schaffen. Der Kreml, so die vorherrschende Meinung, muss einen Teil seiner politischen Macht abgeben.Diese Erkenntnis könnte sich als Irrtum erweisen. Denn die Entwicklungen in Singapur und China lassen vermuten, dass die aufbegehrenden Klassen weniger durch demokratische Gesten zu besänftigen sind als durch ökonomische Chancen, wie sie mit steigenden Investitionsvolumina im öffentlichen und privaten Sektor einhergehen.Zu diesem Zweck wird der Kreml wohl folgende Strategie verfolgen, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln: Erstens wird er eines der größten Infrastrukturprogramme weltweit durchführen, um die maroden Landstraßen, Häfen und Verkehrsnetze des Landes zu erneuern, die Produktivität zu erhöhen und die Rohstoffabhängigkeit zu verringern. Zweitens wird er eine umfassende Rentenreform durchführen und damit eine langfristige Finanzierungsgrundlage für mittelständische Unternehmen schaffen. Drittens wird er die Korruption auf den mittleren und zunehmend auch den höheren Ebenen der bürokratischen Pyramide in Angriff nehmen, die Judikative stärken und die allgemeinen Rahmenbedingungen für Geschäftstätigkeit im Land verbessern. Viertens wird er seine Rentenmärkte für langfristige Kapitalanlagen ausländischer Investoren öffnen und groß angelegte Private-Equity-Anlagen fördern.Und während man sich in anderen Ländern mit dem Staatskapitalismus anfreundet, wird in Russland das Pendel zum privatwirtschaftlichen Unternehmertum schwingen. Russland wird mit der Zeit immer mehr Anerkennung für seine gelungene Metamorphose einheimsen – ebenso wie dies anderen, vermeintlich “unheilbar” korrupten Ländern gelang. Die Anleger werden das registrieren und Kapital nach Russland lenken.Dabei dürften sich vor allem Infrastrukturwerte, privatisierte Unternehmen, Kleinunternehmen, hochverzinsliche Unternehmensanleihen und Immobilien gut entwickeln. Die Regierungen im Westen, die die autoritären Züge des russischen Regimes überzeichnen und demokratischen Fortschritt durch Revolution fordern, werden ihre Beziehungen zu Russland neu ausrichten müssen. Das russische Volk wird erkennen, dass es nicht auf alle Ewigkeit zur Halbdemokratie verdammt ist. Es wird auf eine effektivere und verantwortungsbewusste Regierung pochen. Während all dies geschieht, wird der am niedrigsten bewertete Aktienmarkt der Welt – die Moskauer Börse – vielleicht einer der teuersten werden.Russland 2.0 beginnt genau jetzt.