Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Thorsten Schumacher

Schlüssiges Sanierungskonzept für Befreiung von Pflichtangeboten nötig

Börsen-Zeitung, 8.7.2009 - Herr Schumacher, erwirbt ein Investor mindestens 30 % der Stimmrechte eines börsennotierten Unternehmens, liegt ein Kontrollerwerb vor und der Investor muss den übrigen Aktionären ein Pflichtangebot machen. Die BaFin kann...

Schlüssiges Sanierungskonzept für Befreiung von Pflichtangeboten nötig

– Herr Schumacher, erwirbt ein Investor mindestens 30 % der Stimmrechte eines börsennotierten Unternehmens, liegt ein Kontrollerwerb vor und der Investor muss den übrigen Aktionären ein Pflichtangebot machen. Die BaFin kann ihn davon befreien, wenn die Zielgesellschaft sanierungsbedürftig ist.- Wann ist eine Zielgesellschaft sanierungsbedürftig?Nach der Verwaltungspraxis der BaFin immer dann, wenn bei ihr bestandsgefährdende Risiken vorliegen. Es ist also nicht erforderlich, dass ein Insolvenzgrund besteht. Der Investor muss die Sanierungsbedürftigkeit der Zielgesellschaft gegenüber der BaFin belegen. Dies kann z. B. durch einen entsprechenden Hinweis im Prüfvermerk des Abschlussprüfers oder die Bestätigung eines Wirtschaftsprüfers erfolgen.- Gibt es weitere Voraussetzungen für die Sanierungsbefreiung?Neben dem Nachweis der Sanierungsbedürftigkeit muss der Investor der BaFin ein schlüssiges Sanierungskonzept für die Zielgesellschaft vorlegen, in dem er seinen Sanierungsbeitrag und dessen Eignung für die Stabilisierung der Zielgesellschaft darlegt. Wichtig ist, dass der Investor über den Kontrollerwerb hinaus einen eigenen, in der Regel finanziellen Sanierungsbeitrag leisten muss.- Wann muss der Befreiungsantrag bei der BaFin gestellt werden?In der Vergangenheit haben Investoren Befreiungsanträge regelmäßig vor der Kontrollerlangung gestellt. Der Befreiungsantrag kann aber bis zum siebten Tage nach Kontrollerlangung gestellt werden. Im gegenwärtigen Marktumfeld, in dem ja unter Umständen nur wenige Tage zur Rettung einer Zielgesellschaft zur Verfügung stehen, haben wir es verstärkt mit Befreiungsanträgen nach Kontrollerlangung zu tun.- Wie stellt die BaFin sicher, dass ein Investor den von ihm zugesagten Sanierungsbeitrag tatsächlich erbringt?Durch entsprechende Auflagen bzw. Widerrufsvorbehalte. Erbringt der Investor den von ihm zugesagten Sanierungsbeitrag nicht, kann dies vereinfacht gesagt zur Folge haben, dass die erteilte Befreiung wegfällt und der Investor den übrigen Aktionären der Zielgesellschaft doch noch ein Pflichtangebot machen muss.- Welche Auswirkungen hat das Ergebnis der Sanierung auf die erteilte Befreiung? Lebt die Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots wieder auf, wenn die Sanierung der Zielgesellschaft scheitert?Nein, wenn der Investor den von ihm zugesagten Sanierungsbeitrag und die übrigen Auflagen der BaFin erfüllt, muss er den übrigen Aktionären der Zielgesellschaft auch dann kein Pflichtangebot unterbreiten, wenn die Sanierungsmaßnahmen wider Erwarten scheitern. Sind die Sanierungsbemühungen erfolgreich, gilt dies natürlich erst recht.- Wird die Sanierungsbefreiung im gegenwärtigen wirtschaftlichen Umfeld stark nachgefragt?Die Anzahl erteilter Befreiungen ist im Vergleich zu den Vorjahren wohl nicht nennenswert gestiegen. Wir beobachten aber, dass sich Investoren angesichts attraktiver Börsenkurse und teilweise existenzbedrohender Krisen einiger Unternehmen verstärkt mit der Sanierungsbefreiung befassen.- Was sollten potenzielle Investoren vor allem beachten, wenn sie einen Befreiungsantrag stellen möchten?Sowohl der Investor als auch die Zielgesellschaft haben juristische Berater, Wirtschaftsprüfer und häufig Restrukturierungsberater. Die BaFin muss ebenfalls frühzeitig in den Prozess eingebunden werden. Sanierungsbefreiungen sind komplexe und regelmäßig zeitkritische Prozesse, da die Existenz des Zielunternehmens und vieler Arbeitsplätze auf dem Spiel steht. Nach unserer Erfahrung ist entscheidend, ob es gelingt, die Motive aller Beteiligten frühzeitig zu erkennen und für das gemeinsame Ziel zusammenzuführen.—-Thorsten Schumacher ist Rechtsanwalt im Düsseldorfer Büro von Lovells LLP. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.