Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Sven Prüfer

Schweres Geschütz gegen übernahmerechtlichen Squeeze-out

Landgerichtsurteil macht Verfahrensvorteil zunichte - Bewertung würde Pflicht

Schweres Geschütz gegen übernahmerechtlichen Squeeze-out

Herr Dr. Prüfer, das Landgericht Frankfurt hat den Zwangsausschluss von Kleinaktionären der Deutschen Hypothekenbank zurückgewiesen. Worum ging es?Die Nord/LB hat als Bieterin mittels eines freiwilligen öffentlichen Übernahmeangebots rund 97,5 % des Grundkapitals der Deutschen Hypothekenbank erworben. Im Anschluss beantragte sie bei dem hierfür bundesweit zuständigen Landgericht die Durchführung eines übernahmerechtlichen Squeeze-out. – Das heißt?Hier werden die Aktien der verbliebenen Minderheitsaktionäre der Bieterin durch Gerichtsbeschluss gegen Zahlung einer Barabfindung übertragen, ohne dass es eines internen Hauptversammlungsbeschlusses bedarf. Aufgrund der Annahmequote von über 90 % für das Übernahmeangebot hatte die Nord/LB als Barabfindung denselben Betrag vorgesehen, den sie den Aktionären der Hypothekenbank im Übernahmeangebot offeriert hatte. Diesen sah das Gericht aufgrund einer überschlägigen Unternehmensbewertung als zu gering an und lehnte einen übernahmerechtlichen Squeeze-out ab. – Wie erklärt sich dieser Beschluss?Die im Rahmen eines Übernahmeangebots gewährte Gegenleistung ist als angemessene Barabfindung für einen übernahmerechtlichen Squeeze-out anzusehen, wenn der Bieter aufgrund des Angebots Aktien in Höhe von mindestens 90 % des vom Angebot betroffenen Grundkapitals erworben hat, so das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz. – Das ist doch eigentlich eindeutig?Versteht man diese Vorgabe als unwiderlegliche Vermutung, entscheidet über die Höhe der Barabfindung allein der im vorhergehenden Übernahmeangebot unterbreitete Angebotspreis – so die Position der Nord/LB. Sieht man in dieser Regelung hingegen nur eine widerlegliche Vermutung, verliert der ursprüngliche Angebotspreis seine Relevanz, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Wert der Aktien den Angebotspreis übersteigt – so die Position des Gerichts. – Worauf beruft sich das Gericht?Das Landgericht beruft sich hierfür auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Nach dieser muss sichergestellt sein, dass die aus einer Aktiengesellschaft zwangsweise ausscheidenden Minderheitsaktionäre eine volle Entschädigung für ihre Aktien erhalten. Dies sei nur mittels einer widerleglichen Vermutung zu erreichen. – Überzeugt die Begründung?Die Geriuchtsentscheidung überzeugt nicht. Die Regierungsbegründung zum übernahmerechtlichen Squeeze-out geht davon aus, dass bei Erreichen einer Annahmequote für ein Übernahmeangebot von mindestens 90 % die Angemessenheit des Angebotspreises für die Höhe der Squeeze-out-Abfindung unwiderleglich vermutet wird. Hierzu setzt sich das Gericht in Widerspruch. – Und der Hinweis auf das Verfassungsgericht?Auch der Hinweis auf das Bundesverfassungsgericht ist nicht zwingend. Nach dessen “Moto Meter”-Entscheidung kann die gerichtliche Überprüfung der Abfindung eines zwangsweise ausscheidenden Aktionärs dann entbehrlich sein, wenn Marktmechanismen die angemessene Höhe der Gegenleistung sichern. Ein solcher Marktmechanismus liegt auch in einer Annahmequote von 90 % für ein Übernahmeangebot. – Was bedeutet das Urteil für die Praxis? Minderheitsaktionäre werden Anträge auf Durchführung eines übernahmerechtlichen Squeeze-out gezielt mit der Behauptung angreifen, der Wert der Aktie übersteige den im vorhergehenden Übernahmeangebot angebotenen Preis. Dieser Behauptung wird der Mehrheitsaktionär nur mittels einer unabhängigen Unternehmensbewertung begegnen können. Deren Richtigkeit werden die Minderheitsaktionäre wiederum bestreiten, um ihren Ausschluss aus der Gesellschaft zu verhindern. – Der übernahmerechtliche Squeeze-out wird in der Praxis wenig angewendet. Warum? Ausschlaggebend hierfür scheinen zwei Gründe: Erst ab einer Annahmequote von 90 % könnte überhaupt auf eine Unternehmensbewertung für die Zwecke des übernahmerechtlichen Squeeze-out verzichtet werden. Zudem sind Paketerwerbe außerhalb des Übernahmeangebots bei Berechnung der Annahmeschwelle von 90 % wohl nicht zu berücksichtigen. – Mit dem Urteil wird das Verfahren nun noch unattraktiver?Sollte die Entscheidung des Landgerichts rechtskräftig werden, würde ein übernahmerechtlicher Squeeze-out wohl nur noch auf Basis einer unabhängigen Unternehmensbewertung durchgeführt werden können. Der mit ihm verbundene Vorteil, Minderheitsaktionäre bei sehr hoher Annahmequote auch ohne Unternehmensbewertung ausschließen zu können, ginge verloren. Damit könnte dieses Rechtsinstitut zur Bedeutungslosigkeit verurteilt sein. Einem Aktionär, der 95 % des Grundkapitals hält, bliebe nur die wesentlich aufwendigere Möglichkeit, das aktienrechtliche Verfahren zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre zu betreiben. Dr. Sven Prüfer ist Associate bei Allen & Overy in Frankfurt am Main. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.