RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: RAINER TRAUGOTT

Siemens, das Klima und das Recht

D&O-Versicherung greift nicht bei vorsätzlichem Vertragsbruch

Siemens, das Klima und das Recht

Herr Traugott, es wird viel über die Entscheidung von Siemens diskutiert, vertragsgemäß Signaltechnik für eine Zugstrecke zu liefern, die das australische Carmichael-Bergwerk mit dem Meer verbindet. Was macht diesen Fall so besonders?Nachhaltigkeit und sogenannte ESG-Themen, also Umwelt-, Sozial- und Governance-Faktoren, sind längst zu wichtigen Themen für Unternehmen geworden. Dass Unternehmensentscheidungen von Aktivisten, Investoren und Öffentlichkeit an diesen Kriterien gemessen werden, ist nichts Neues. Die jetzige Siemens-Diskussion ist aber dadurch eine ganz besondere, dass hier vom Unternehmen ein Vertragsbruch gefordert wird. Dies ist auch insofern ein Novum, als im Rahmen der Compliance-Diskussionen der letzten Jahre mit zunehmender Strenge gefordert wurde, dass der Vorstand vollständige Rechtskonformität nicht nur seines eigenen Handelns, sondern des gesamten Unternehmens gewährleisten muss. Nun wird stattdessen ein Vertragsbruch verlangt. Aber muss der Vorstand nicht das Unternehmensinteresse berücksichtigen und wäre diesem nicht besser gedient, wenn Siemens sich entschieden hätte, den Vertrag nicht zu erfüllen und dadurch die rufschädigende Debatte zu vermeiden?In der Tat hat der Vorstand seine unternehmerischen Entscheidungen am Unternehmensinteresse auszurichten und muss dabei auch einen möglichen Reputationsverlust berücksichtigen. Es gibt dabei auch ein Haftungsprivileg, nämlich die sogenannte Business Judgement Rule. Diese besagt, dass der Vorstand keine Pflichtverletzung begeht, wenn er auf Grundlage angemessener Information davon ausgehen durfte, zum Wohle der Aktiengesellschaft zu handeln. Dies gilt aber nicht für Rechtsverstöße. Diese sind keine unternehmerischen Entscheidungen, sondern schlicht Rechtsverstöße. Solche darf ein Vorstand nicht begehen. Diese Legalitätspflicht gilt nicht nur für Gesetze, sondern auch für die externe Vertragsbindung. Es gibt zwar juristische Literatur, die das teilweise anders beurteilt, aber man wird keinem Vorstand empfehlen können, sich an dieser zu orientieren. Denn die Rechtsfolgen sind gravierend. Inwiefern? Hilft nicht eine gute D&O-Versicherung?Der Vorstand haftet unbegrenzt für sämtlichen Schaden, der durch einen vorsätzlichen Vertragsbruch entsteht. Das können bei großen Projekten sehr erhebliche Beträge sein, zum Beispiel wenn der Vertragspartner entgangenen Gewinn wegen Produktionsausfall geltend macht. Bei einem vorsätzlichen Vertragsbruch zahlt auch keine D&O-Versicherung, denn vorsätzliche Pflichtverletzungen sind vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Hinzu kommt das mögliche strafrechtliche Risiko, Untreue zulasten des Unternehmens zu begehen. Untreue wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe geahndet. Auch hier hilft keine D&O-Versicherung. Erwarten Sie zahlreiche ähnliche Fälle in der Zukunft und was raten Sie Vorständen?In der Tat ist mit einer zunehmenden Zahl derartiger Fälle zu rechnen. Es empfiehlt sich, unternehmensinterne Nachhaltigkeits- beziehungsweise ESG-Richtlinien zu erstellen oder auf die aktuellen Erfordernisse hin zu überarbeiten und dann durch eine angemessen ausgestattete Compliance-Abteilung deren weltweite Einhaltung im Unternehmen sicherzustellen. Kritische Themen, wie ein unter Umständen problematischer Vertragsabschluss, sollten anhand sinnvoller Kriterien identifiziert und zum Vorstand eskaliert werden, damit dieser eine abgewogene Entscheidung treffen kann. Was könnten solche Kriterien sein?Bisher spielte oft die relative wirtschaftliche Bedeutung für das Unternehmen eine Rolle für die Frage, welche Themen dem Vorstandsvorsitzenden vorgelegt werden. Wie man aus der Siemens-Diskussion lernen kann, wird man künftig verstärkt über andere Kriterien nachdenken müssen. Offensichtlich unsinnig wäre freilich eine Regel, gemäß der alles, was mit Klima zu tun haben könnte, vom Vorstandsvorsitzenden zu entscheiden ist. Daher wird sich auch künftig das Risiko nicht gänzlich ausschließen lassen, dass in Unternehmen ein Vertrag abgeschlossen wird, der dann Gegenstand heftiger Kritik am Vorstandsvorsitzenden wird.Dr. Rainer Traugott ist Partner im Münchener Büro von Latham & Watkins. Die Fragen stellte Helmut Kipp.