RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: HARALD GESELL

Sitzverlegung ist auch in viele Staaten außerhalb der EU möglich

Deutschland erlaubt Wegzug, aber keinen Zuzug

Sitzverlegung ist auch in viele Staaten außerhalb der EU möglich

– Herr Dr. Gesell, mit seiner Entscheidung in der Rechtssache “Vale” hat der Europäische Gerichtshof jüngst eine wichtige weitere Umwandlungsmaßnahme innerhalb der EU ermöglicht, den grenzüberschreitenden Wechsel der Rechtsform. Der Wechsel kann interessant sein, um ein besseres Marktumfeld zu nutzen oder günstigere rechtliche Rahmenbedingungen, gilt die neue Freiheit auch für Länder außerhalb der EU?EU-Recht und EuGH-Entscheidungen gelten aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen auch in den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), also auch in Norwegen, Liechtenstein und Island. Bei allen anderen Ländern bestimmen sich die Möglichkeiten danach, welche grenzüberschreitende Maßnahme vorgenommen werden soll und wie diese nach deutschem und dem jeweiligen ausländischen Recht behandelt wird.- Was heißt das konkret?Deutsche GmbHs, AGs und KGaAs dürfen seit 2008 ihren Geschäfts- und Verwaltungssitz ins Ausland verlegen. Bei deutschen Personengesellschaften wie der GmbH & Co. KG ist dies noch nicht geklärt. Es besteht die Gefahr, dass die Gesellschaft nach deutschem Recht mit dem Wegzug ins Ausland als aufgelöst behandelt wird. Ist der Wegzug einer KG geplant, sollte daher der vorherige Formwechsel in eine Kapitalgesellschaft erwogen werden. Zweite Voraussetzung ist, dass das nationale Recht des Zuzugsstaates die deutsche Gesellschaft in ihrer deutschen Rechtsform anerkennt. Dies hängt davon ab, ob dort die Sitztheorie oder die Gründungstheorie vertreten wird. Nach der Gründungstheorie wird die deutsche Gesellschaft anerkannt, weil es nur darauf ankommt, dass die Gesellschaft in Deutschland ordnungsgemäß errichtet wurde und nach deutschem Recht als existent behandelt wird.- In welche Länder kann rechtsformwahrend eine deutsche Kapitalgesellschaft ihren Verwaltungssitz verlegen?Zum Beispiel in die USA; mit diesen besteht bereits seit 1954 ein Freundschaftsvertrag, aufgrund dessen sich beide Staaten zur rechtlichen Anerkennung ihrer Gesellschaften verpflichten. Auch in China, Indien und Russland, um nur einige zu nennen, wird die zuziehende Gesellschaft in ihrer deutschen Rechtsform anerkannt. In Brasilien ist dies hingegen nicht der Fall. Wer einen Wegzug in Betracht zieht, muss sich aber immer auch der steuerlichen Konsequenzen bewusst sein. Der Wegzug aus Deutschland löst eine Besteuerung der stillen Reserven der Gesellschaft aus. Hat er keinen EU-Bezug, wird die Steuerschuld auch nicht von den Finanzämtern gestundet.- Ist umgekehrt der Zuzug ausländischer Gesellschaften nach Deutschland möglich?Es ist etwas paradox angesichts der Entwicklung des EU-Rechts, aber in Deutschland wird weiterhin die Sitztheorie vertreten. Mit Ausnahme der USA wegen des Freundschaftsvertrages werden ausländische Gesellschaften aus Staaten außerhalb der EU und dem EWR hier nicht in ihrer ausländischen Rechtsform anerkannt, wenn sie ihr Unternehmen von Deutschland aus steuern. Mit dem Zuzug nach Deutschland wird ihnen diejenige deutsche Rechtsform “übergestülpt”, deren Gründungsvoraussetzungen sie erfüllen, in aller Regel die BGB-Gesellschaft oder die offene Handelsgesellschaft (oHG).- Wenn man mal von der Verlegung des Geschäfts- und Verwaltungssitzes absieht, sind auch die klassischen Umwandlungsformen wie Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechsel möglich?Umwandlungen zwischen deutschen Gesellschaften und solchen aus Nicht-EU/EWR-Ländern sind im Regelfall noch nicht möglich. Selbst wenn die gesetzlichen Vorschriften des jeweiligen Drittstaats eine solche Maßnahme zulassen, steht das deutsche Umwandlungsrecht im Weg. Es ist nur auf deutsche Gesellschaften anwendbar und, zumindest mittelbar, auf Gesellschaften aus der EU und dem EWR. Es ist nicht einmal eindeutig geklärt, ob Umwandlungen zwischen deutschen und amerikanischen Gesellschaften zulässig sind. Sie wurden schon erfolgreich durchgeführt, aber es gibt keine Transaktionssicherheit. Andere europäische Staaten, wie z. B. Luxemburg, sind schon viel weiter und haben spezielle Vorschriften für herkunftsunabhängige Umwandlungen. In Deutschland müssen wir uns mit mehrstufigen Ersatzkonstruktionen behelfen, um ähnliche Ergebnisse zu erzielen.—-Dr. Harald Gesell ist Rechtsanwalt und Partner bei Oppenhoff & Partner. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.