RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: DIRK LORENZ

Spruchverfahren binden erhebliche Ressourcen

Studie zeigt deutliche Unterschiede in der Praxis - Zahl der Vergleiche sinkt

Spruchverfahren binden erhebliche Ressourcen

– Herr Dr. Lorenz, das Bundesverfassungsgericht gab Ende 2011 zwei Verfassungsbeschwerden gegen Spruchverfahren statt. Was ist der Hintergrund?In einem Spruchverfahren überprüft das Gericht, ob die Abfindung angemessen ist, die Aktionären bei bestimmten Strukturmaßnahmen, wie zum Beispiel Squeeze-out oder Verschmelzung, angeboten wird. Dabei wird die Unternehmensbewertung gerichtlich kontrolliert. Diese ist neben dem Börsenkurs maßgeblich für die Höhe der Abfindung. Ende letzten Jahres hat das Bundesverfassungsgericht zwei Verfassungsbeschwerden wegen überlanger Dauer solcher Verfahren stattgegeben.- Sie haben in einer empirischen Studie 89 Spruchverfahren untersucht, die zwischen 2009 und 2011 beendet wurden. Mit welchen Resultaten?Die Ergebnisse zeigen, dass Spruchverfahren immer noch ein zeit- und kostenintensives Unterfangen darstellen. Und dies trotz der gesetzlichen Maßnahmen zur Eindämmung des Geschäftsmodells der Berufskläger, wie etwa der aktuellen Aktienrechtsnovelle oder des ARUG von 2009. Gesellschaften sahen sich durchschnittlich 26 Antragstellern, darunter meist einer Vielzahl von Berufsklägern, ausgesetzt. Dadurch werden erhebliche finanzielle und personelle Ressourcen auf Unternehmensseite gebunden. Im Spruchverfahren zur Verschmelzung der T-Online International AG auf die Deutsche Telekom AG waren gar 243 Antragsteller beteiligt.- Wie sieht es mit der Verfahrensdauer aus?Sie schwankt zwischen weniger als einem Jahr und bis zu über 20 Jahren. Im Durchschnitt lagen zwischen dem Tag der Hauptversammlung und der Beendigung des Spruchverfahrens knapp sieben Jahre. Ursache für die meist lange Verfahrensdauer ist neben der Vielzahl der Beteiligten die Komplexität der Unternehmensbewertung. Es gibt nicht den einen “wahren” Unternehmenswert. Entsprechend kontrovers wird um die Angemessenheit der Abfindung vor Gericht gerungen. Im Fall des Unternehmensvertrags zwischen der AEG AG und der Daimler AG zog sich das Verfahren 21 Jahre hin. In dieser überlangen Dauer sah das Bundesverfassungsgericht zwar das Recht der Antragsteller auf effektiven Rechtsschutz als verletzt an, eine Korrektur der Abfindungszahlung erfolgte aber gleichwohl nicht.- Und die Abfindungshöhe?Auch bei der Abfindungshöhe zeigt sich eine enorme Bandbreite. Den größten Aufschlag zur vom Hauptaktionär angebotenen Abfindung erzielten die ausgeschlossenen Minderheitsaktionäre der Aachener Straßenbahn und Energieversorgungs-AG mit einer Erhöhung um 267 %. Dagegen endete das Spruchverfahren zur Verschmelzung Daimler/Chrysler ohne Zuzahlung für die Aktionäre. Im Durchschnitt betrug der Aufschlag 26 %.- Welche Rolle spielen Vergleiche in diesem Zusammenhang?In Verfahren, die mit einem Vergleichsabschluss endeten, lag der Betrag der Barabfindung deutlich höher als bei gerichtlicher Entscheidung. So betrug der Aufschlag bei Vergleichen 40 %, während bei gerichtlicher Entscheidung die Antragsteller nur einen durchschnittlichen Aufschlag von 16 % erzielten. Entsprechend sank die Vergleichsbereitschaft auf Unternehmensseite, was sich in einer deutlich sinkenden Vergleichsquote widerspiegelt. Diese Entwicklung dürfte sich in der Zukunft noch verstärken, da bereits einige Gerichte eine Toleranzbandbreite zwischen 5 und 10 % bei der Unternehmensbewertung anerkennen und so das Streitpotenzial reduzieren.- Worauf sollten sich Unternehmen künftig einstellen?Unsere Studie zeigt, dass auch die Spruchverfahren nach wie vor wesentlich von der Gruppe der Berufskläger geprägt werden. In der gerichtlichen Praxis sehen wir allerdings eine klare Tendenz zur Verschlankung und Beschleunigung der Verfahren. So werden etwa bei der Unternehmensbewertung nur noch in Ausnahmefällen umfangreiche Sachverständigengutachten oder komplette Neubewertungen eingeholt. Dennoch sollten Unternehmen den finanziellen und personellen Aufwand nicht unterschätzen, der mit einem Spruchverfahren verbunden sein kann.—-Dr. Dirk Lorenz ist Partner bei Taylor Wessing in München und Lehrbeauftragter für Aktien- und Kapitalmarktrecht an der Technischen Universität München. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.