Recht und Kapitalmarkt

Squeeze-out-Neuregelung wirft Fragen auf

Neues Recht bietet keine brauchbare Alternative für Ausschluss von Minderheitsaktionären nach einem Übernahmeangebot

Squeeze-out-Neuregelung wirft Fragen auf

Von Oliver Seiler *) Mit dem Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz hat der Gesetzgeber im Juli 2006 einen neuen übernahmerechtlichen Squeeze-out geschaffen. Dieser ist neben den aktienrechtlichen Squeeze-out getreten, dessen Anwendung nicht nur auf Übernahmesituationen beschränkt ist. Beide Verfahren verlangen für den Ausschluss des verbleibenden Streubesitzes eine Beteiligung des Bieters am Grundkapital der Zielgesellschaft von 95 %. Der übernahmerechtliche Squeeze-out ist auf den ersten Blick besonders attraktiv. Anders als sein aktienrechtliches Pendant wird er nicht erst mit Beschluss der Hauptversammlung und Eintragung ins Handelsregister wirksam. Er vermeidet so gerade die Angriffsflächen, die Anfechtungskläger in aktienrechtlichen Squeeze-out-Verfahren ausnutzen, um den ihnen drohenden Zwangsausschluss zu verhindern bzw. zu verzögern und jedenfalls für den Bieter zu verteuern. Ohne HV-BeschlussDamit erleichtert es der übernahmerechtliche Squeeze-out einem Bieter scheinbar deutlich, seine Übernahme durch den Ausschluss derjenigen Aktionäre endgültig abzuschließen, die ihre Aktien während der Übernahme (noch) nicht veräußert haben. Ob der übernahmerechtliche Squeeze-out indes hält, was er verspricht, ist leider mehr als fraglich. Bisherige Gestaltungsüberlegungen bei Übernahmetransaktionen zeigen, dass der übernahmerechtliche Squeeze-out oft keine brauchbare Alternative zum aktienrechtlichen Squeeze-out darstellt.Beim übernahmerechtlichen Squeeze-out ist ein Hauptversammlungsbeschluss nicht erforderlich. An seine Stelle tritt ein Antrag des Bieters auf Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre, den der Bieter innerhalb von drei Monaten nach Ablauf der Annahmefrist für das Übernahme- oder Pflichtangebot bei Gericht stellen muss. Dieses entscheidet dann über den Antrag durch Beschluss. Die Minderheitsaktionäre werden auf Verlangen an dem Verfahren beteiligt. Zuständig für den übernahmerechtlichen Squeeze-out ist in erster Instanz ausschließlich das Landgericht Frankfurt am Main, in zweiter Instanz das Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Dies dient der Rechtsvereinheitlichung und ist zu begrüßen.Von entscheidender Bedeutung für das Verständnis des übernahmerechtlichen Squeeze-out ist jedoch Folgendes: Im Gegensatz zum aktienrechtlichen Squeeze-out vertraut er für die Angemessenheit der den Minderheitsaktionären zustehenden Barabfindung auf die Aussagekraft der im Übernahmeverfahren angebotenen Gegenleistung. Das Gesetz enthält nämlich die (unwiderlegliche) Vermutung, dass die im Squeeze-out-Verfahren angebotene Abfindung angemessen ist, wenn sie der Höhe nach der Gegenleistung beim vorangegangenen Übernahme- oder Pflichtangebot entspricht. Die Vermutung der Angemessenheit greift aber nur, wenn das vorangegangene Angebot im Umfang von mindestens 90 % des Aktienbesitzes, auf das es gerichtet war, angenommen wurde. Diese Einschränkung der Angemessenheitsvermutung bildet zugleich einen entscheidenden Kritikpunkt an der Regelung des übernahmerechtlichen Squeeze-out. In vielen Fällen ist keineswegs klar, dass das Angebot des Bieters von 90 % der angesprochenen Aktionäre angenommen wird. Ein Beispiel: Erwirbt der Bieter eine Mehrheit an der Gesellschaft von 90 % außerhalb des Angebots, etwa durch separate Kaufverträge, müssen nicht nur weitere 50 % der außenstehenden Aktionäre ihre Beteiligung in dem sich anschließenden Pflichtangebot veräußern, damit der Bieter überhaupt die erforderliche 95 %-Beteiligung an der Zielgesellschaft erwirbt. Für das Eingreifen der Angemessenheitsregel ist es vielmehr erforderlich, dass sich sogar 90 % der noch verbliebenen außenstehenden Aktionäre zum Verkauf entscheiden. Dies entspricht einer Quote von insgesamt 99 % des Grundkapitals, die häufig nicht erreicht werden wird. Denn die verkaufswilligen Aktionäre, die sich schon vorab außerhalb des Angebotsverfahrens von ihrer Beteiligung getrennt haben, werden bei der Berechnung der 90 %-Akzeptanzquote nicht einbezogen. Etwas anderes gilt nur, wenn der Bieter den Erwerb dieser Aktienpakete zum Bestandteil des Angebots macht, die Aktien also in Erfüllung sog. “irrevocable undertakings” zu den Bedingungen des Angebots in dieses veräußert werden. Damit sind freilich für den Bieter Rechtsunsicherheiten verbunden. Auch der Verkäufer wird gelegentlich auf einer Veräußerung außerhalb des Angebotsverfahrens bestehen, so dass diese Gestaltungsvariante nicht immer helfen kann.Der Gesetzgeber ist bei der Angemessenheitsvermutung leider auf halber Strecke stehengeblieben. Sowohl die der Regelung zugrunde liegende Übernahmerichtlinie als auch die strengen Preisregeln des deutschen Übernahmerechts hätten es erlaubt, die Gegenleistung jedenfalls für den Fall des Pflichtangebots ohne weiteres für angemessen zu erklären. Eine zusätzliche Marktkontrolle in Form einer 90 %-Angebotsakzeptanz, die die Angemessenheit der Gegenleistung (nochmals) sicherstellen soll, wäre nicht erforderlich gewesen. Auch für den Fall des Übernahmeangebots ist bereits mit guten Gründen vertreten worden, dass es national- und europarechtlich zulässig wäre, die Angemessenheitsvermutung von der 90 %-Fessel zu befreien, zumal nach deutschem Recht für das Übernahmeangebot die gleichen Preisregeln gelten wie beim Pflichtangebot. Dies wäre auch sachgerecht: Denn solange es bei der bisherigen Regelung bleibt, ist der übernahmerechtliche Squeeze-out bei Verfehlen der 90 %-Schwelle praktisch unbrauchbar. Erreicht der Bieter die 90 %-Akzeptanzquote nicht, muss die Angemessenheit der Gegenleistung im gerichtlichen Ausschluss- bzw. Beschwerdeverfahren (erstmalig) überprüft werden. ÄnderungsvorschlägeWie die Erfahrungen mit Spruchverfahren zeigen, kann sich die Erstellung und Überprüfung der entsprechenden Ertragswertgutachten über Jahre hinziehen. Den Aktionären stehen – mit Blockadewirkung ausgestattet – alle Einwendungen gegen die Höhe der Abfindung zu, die im aktienrechtlichen Squeeze-out zu Recht in das Spruchverfahren verwiesen worden sind. Soweit man es dennoch für erforderlich hält, den Aktionären bei Verfehlen der 90 %-Akzeptanzschwelle noch eine Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung der Angemessenheit der Gegenleistung einzuräumen, wäre es jedenfalls ausreichend, diese Überprüfung wie beim aktienrechtlichen Squeeze-out in ein gesondertes Spruchverfahren ohne Suspensiveffekt zu lenken. Auch verfassungsrechtliche Vorgaben an den Eigentumsschutz verlangen es nicht, Bedenken gegen die Angemessenheit der Gegenleistung beim übernahmerechtlichen Squeeze-out ein stärkeres Gewicht zu geben als beim aktienrechtlichen.Neben der Abschaffung der 90 %-Akzeptanzquote sollte der Gesetzgeber den übernahmerechtlichen Squeeze-out auch für reine Aufstockungsangebote anbieten, also für Angebote, durch die der Bieter eine bereits erworbene Kontrollmehrheit weiter ausbauen will. Dies sollte jedenfalls dann gelten, wenn sich der Bieter in einem solchen Angebot freiwillig den für die Übernahme- und Pflichtangebote geltenden gesetzlichen Preisregeln unterwirft. Geschieht dies, ist auch insoweit eine 90 %-Akzeptanzschwelle nicht erforderlich. Davon unabhängig sollte überdacht werden, ob tatsächlich nur solche Aktien bei der Berechnung der erforderlichen 95 %-Beteiligung herangezogen werden dürfen, die im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Angebot erworben wurden. Denn schon das Halten einer kleineren Beteiligung vor dem Übernahme- bzw. Pflichtangebot kann so den übernahmerechtlichen Squeeze-out unmöglich machen. Ohne praktische BedeutungSolange der Gesetzgeber diese Änderungsvorschläge nicht aufgreift, ist zu befürchten, dass der übernahmerechtliche Squeeze-out eine theoretische Gestaltungsvariante ohne praktische Bedeutung bleibt. Ob dies deshalb erträglich ist, weil immer noch der aktienrechtliche Squeeze-out zur Verfügung steht, darf angesichts der Verzögerungs- und Kostenrisiken, die dieser nach wie vor mit sich bringt, bezweifelt werden.*) Dr. Oliver Seiler ist Partner bei Allen & Overy in Frankfurt am Main.