Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Harald Rieger

"Squeeze-out nicht immer Ende des Anfechtungsverfahrens"

Ausschluss von Minderheiten keine Allzweckwaffe gegen Opponenten

"Squeeze-out nicht immer Ende des Anfechtungsverfahrens"

Mit dem Urteil im Fall der ehemaligen Einzelhandelsgesellschaft Massa AG hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Rechte von Minderheitsaktionären gestärkt. Dem Urteil zufolge verlieren Minderheitsaktionäre auch dann nicht ihr Recht auf Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen, wenn ihre Aktien zwischenzeitlich auf ein anderes Unternehmen übertragen wurden. Den Hintergrund des Urteils erläutert Dr. Harald Rieger von der Kanzlei Kaye Scholer im Interview mit der Börsen-Zeitung. – Herr Dr. Rieger, worum ging es im dem Fall?Die Minderheitsaktionäre der Massa AG hatten im Jahr 1997 gegen die Beschlüsse der Hauptversammlung über den Verkauf von 15 SB-Warenhäusern geklagt. Noch bevor hierüber in erster Instanz entschieden war, machte der Mehrheitsaktionär Metro AG von der Möglichkeit des Squeeze-out der Minderheitsaktionäre Gebrauch. Das Landgericht Mainz sowie das Oberlandesgericht Koblenz wiesen die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen ab, weil die Minderheitsaktionäre nach Erlöschen ihrer Mitgliedschaft kein berechtigtes Interesse mehr an einer Entscheidung hätten. – Wie hat dies nun der Bundesgerichtshof gesehen?Dem ist der Bundesgerichtshof entgegengetreten. Er hat darauf abgestellt, ob die Minderheitsaktionäre ein rechtliches Interesse an der Fortsetzung des Verfahrens über die Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen haben. Das war hier offensichtlich der Fall. Denn wäre den Klagen stattgegeben worden, wäre die Übertragung der SB-Warenhäuser zu dem vereinbarten Kaufpreis nichtig gewesen, und diese wären daher auf die Massa AG zurückzuübertragen gewesen. Dies hätte sich positiv auf das Vermögen der Massa AG und damit auch auf die Barabfindung ausgewirkt, die an die Minderheitsaktionäre im Rahmen des Squeeze-out gezahlt wurde. – Und diesen Zusammenhang hatten die Vorinstanzen nicht erkannt?Das schon, aber das OLG Koblenz war der Meinung, dass über die Frage der Wirksamkeit des Übertragungsbeschlusses hinsichtlich der Warenhäuser auch das Spruchgericht, das über die Höhe der Barabfindung im Rahmen des Squeeze-out zu entscheiden hätte, befinden könne. Dem ist der BGH nicht gefolgt. Dies bedeutet, dass das für die Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklagen zuständige Gericht über die Klagen zu befinden hat und dessen rechtskräftige Entscheidung von dem Spruchgericht bei der Entscheidung über die Barabfindung an die im Rahmen des Squeeze-out ausscheidenden Minderheitsaktionäre von Rechts wegen zu beachten ist. – Welche Folgen wird das Urteil in der Praxis haben?Die jüngste Entscheidung im Massa-Fall belegt erneut, dass der Squeeze-out keine Allzweckwaffe zur Disziplinierung aufmüpfiger Minderheitsaktionäre ist. Für eine abschließende Beurteilung muss jedoch die Veröffentlichung des Urteils abgewartet werden. Schon jetzt kann gesagt werden, dass die Auffassung des BGH zwar rechtlich folgerichtig und auch praktisch nachvollziehbar ist. Insbesondere wenn, wie hier, das Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsverfahren bereits weit gediehen ist und es unzweckmäßig erscheint, die hierbei relevanten Rechtsfragen nur inzident im Spruchverfahren über die Barabfindung klären zu lassen. Nicht zu verkennen ist aber, dass die Entscheidung über die angemessene Höhe der an die im Rahmen des Squeeze-out ausscheidenden Minderheitsaktionäre zu zahlende Abfindung in die Länge gezogen wird. Die vom BGH jetzt vorgeschriebene Zweispurigkeit des Verfahrens bedeutet erheblichen Zeit- und Geldaufwand für die betroffene Gesellschaft und ihren Hauptaktionär, was den Zielen nicht nur des Squeeze-out, sondern auch des UMAG (Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts) zuwiderläuft. – Widerspricht die Entscheidung nicht einem Urteil vom 18. September? Da hatte der BGH doch eher gegen die Minderheitsaktionäre entschieden. Nein. In der ebenfalls noch unveröffentlichten Entscheidung vom 18. September 2006 hat der BGH nicht nur erneut das Squeeze-out-Verfahren für verfassungsgemäß erklärt, sondern auch ausgesprochen, dass dieses besondere Ausschließungsverfahren nach seinem Sinn und Zweck auch im Stadium der Liquidation anwendbar ist. Die in diesem Fall erhobenen Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklagen richteten sich gegen den Squeeze-out-Beschluss selbst – nicht wie im Massa-Fall gegen einen vorherigen vermögenswirksamen Hauptversammlungsbeschluss der beklagten Gesellschaft. Die gegen den Squeeze-out-Beschluss erhobenen aktienrechtlichen Rügen hatten hier die Vorinstanzen, das LG Bonn und das OLG Köln, für unbegründet gehalten, und der BGH hat sich dem offenbar angeschlossen. Dr. Harald Rieger ist Managing Partner von Kaye Scholer in Frankfurt.Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.