Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Andreas Zanner

Squeeze-out: Rechtssicherheit oder Schnellschuss

Verfahren zum Ausschluss der Minderheitsaktionäre nach einer Übernahme bergen unterschiedliche Risiken

Squeeze-out: Rechtssicherheit oder Schnellschuss

Herr Dr. Zanner, welche Möglichkeiten gibt es, Minderheitsaktionäre nach einer erfolgreichen Übernahme aus einer börsennotierten AG auszuschließen?Seit 1. Januar 2002 gewährt das Aktienrecht dem Mehrheitsaktionär bei einem Anteilsbesitz von mindestens 95 % die Möglichkeit, die übrigen Anteilseigner durch einen Hauptversammlungsbeschluss gegen eine angemessene Barabfindung auszuschließen. Wir sprechen hier vom gesellschaftsrechtlichen oder aktienrechtlichen Squeeze-out. Seit Mitte 2006 gibt es daneben den übernahmerechtlichen Squeeze-out, der einen Ausschluss der nach einem erfolgreichen Übernahmeangebot verbliebenen Minderheitsaktionäre durch Gerichtsbeschluss gegen angemessene Abfindung ermöglicht. – Was sind wesentliche Gemeinsamkeiten?Sowohl der aktienrechtliche als auch der übernahmerechtliche Squeeze-out setzen voraus, dass dem Hauptaktionär mindestens 95 % der Aktien gehören. In beiden Verfahren ist den auszuschließenden Minderheitsaktionären eine angemessene Abfindung zu zahlen. – Und die Unterschiede?Der aktienrechtliche Squeeze-out erfordert einen Hauptversammlungsbeschluss, der – wie jeder andere HV-Beschluss – angefochten werden kann. Gegebenenfalls kann die Gesellschaft gerichtlich die Freigabe und damit Rechtswirksamkeit des Beschlusses erreichen. Im Wege des Spruchstellenverfahrens wird nur über die Höhe der Abfindung gestritten. Dagegen wird der übernahmerechtliche Squeeze-out auf Antrag des Bieters im gerichtlichen Ausschlussverfahren vom Gericht angeordnet. Die Gefahr von Anfechtungsklagen droht hier nicht. Deshalb erscheint das übernahmerechtliche Squeeze-out-Verfahren auf den ersten Blick als schneller. – Das ist es doch auch, oder?Wenn der Bieter mindestens 90 % des betroffenen Grundkapitals erwirbt, entfällt beim übernahmerechtlichen Squeeze-out die gerichtliche Überprüfung der Angemessenheit der angebotenen Abfindung. Das Recht geht vielmehr davon aus, dass die im Angebot gewährte Leistung eine angemessene Abfindung ist. – Das klingt danach, als wäre der übernahmerechtliche Squeeze-out für einen Übernehmer eindeutig die elegantere Lösung. Dennoch hat nach einer Studie des Deutschen Aktieninstituts vom Herbst seit Inkrafttreten des Gesetzes im Juli 2006 bisher nur eine Gesellschaft vom übernahmerechtlichen Squeeze-out Gebrauch gemacht. Auch Macquarie, die Techem übernommen hat, strengt das aktienrechtliche Squeeze-out-Verfahren an. Warum geht die Tendenz in der Praxis nach wie vor zum aktienrechtlichen Squeeze-out? Zunächst setzt der übernahmerechtliche Squeeze-out voraus, dass dem Bieter Aktien der Zielgesellschaft von 95 % des stimmberechtigten Grundkapitals aufgrund eines Übernahme- oder Pflichtangebots gehören. Dies bedeutet, dass nur solche Aktienerwerbe für das Erreichen der Grenze zählen, die entweder aus dem Übernahmeangebot resultieren oder in engem zeitlichem Zusammenhang mit ihm stehen. In der Praxis ist es bei erfolgreichen Übernahmen meist so, dass der Bieter schon vor dem Übernahmeangebot Aktien erwirbt. Hier könnte es an der Voraussetzung des zeitlichen Zusammenhangs ebenso fehlen wie bei der häufig eingeschlagenen Strategie von Paketerwerben. Hinzu kommt, dass der Übernehmer im Anschluss an ein erfolgreiches Übernahmeangebot häufig noch nicht die Schwelle von 95 % erreicht hat, sondern dies erst durch weitere Zukäufe in der Folgezeit realisiert, was ebenso die Frage nach dem zeitlichen Zusammenhang zur Übernahme auslöst. – Ist das alles?Nein, der zweite Problemkreis dreht sich um die Annahmequote von 90 %, deren Erreichen die Prüfung der Abfindung auf ihre Angemessenheit entbehrlich macht. Während grundsätzlich Einigkeit darüber besteht, dass Aktienerwerbe vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage nicht bei der Annahmequote zu berücksichtigen sind, wird die Einbeziehung von Paketerwerben während der laufenden Offerte kontrovers diskutiert und zurzeit überwiegend abgelehnt. Eine verlässliche Rechtssprechung existiert hierzu ebenso wenig wie zu der praktisch bedeutsamen Frage, ob der übernahmerechtliche Squeeze-out durch das Gericht auch ohne Erreichen der Annahmequote von 90 % ausgesprochen werden darf und die außenstehenden Aktionäre im Hinblick auf die Angemessenheit der Abfindung insoweit auf das Spruchverfahren zu verweisen sind. – Und das heißt konkret?Aus den genannten Gründen birgt der übernahmerechtliche Squeeze-out, jedenfalls solange noch keine gefestigte Rechtssprechung vorliegt, nicht unerhebliche Risiken. Zumindest muss die avisierte Übernahme frühzeitig so strukturiert werden, dass die Zweifelsfragen ausgeräumt sind. Der Bieter wird also Vorerwerbe, die nicht in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Übernahmeangebot stehen, tendenziell vermeiden und im Hinblick auf das Erreichen der Erfolgsquote von 90 % die Durchführung von außerbörslichen Paketerwerben überdenken müssen. – Für die Mehrzahl der Bieter wird also der aktienrechtliche Squeeze-out das verlässlichere und berechenbarere Verfahren darstellen. Ja, allerdings benötigt man dabei wegen der drohenden Anfechtungsrisiken einen langen Atem. Schneller und eleganter ist das übernahmerechtliche Verfahren – allerdings nur, wenn der Bieter die Voraussetzungen erfüllt und das Gericht den Ausschluss anordnet. Dr. Andreas Zanner ist Rechtsanwalt und Partner bei CMS Hasche Sigle. Er leitet dort das IPO-Dezernat. Die Fragen stellte Walther Becker. CMS Hasche Sigle berät Techem.