RECHT UND KAPITALMARKT

Staateninsolvenz - aber wie?

Überstaatliches Recht existiert bislang nur in Ansätzen - Starkes Überwachungsorgan müsste Zweifel an Umsetzung ausräumen

Staateninsolvenz - aber wie?

Von Volker Beissenhirtz *) Wie lange wird Griechenland durchhalten? Die Finanzmärkte in Europa und in der Welt schauen mit Spannung auf ein kleines Land und fragen sich: Was passiert eigentlich an dem Tag, an dem Griechenland nicht mehr zahlen kann?Die traditionelle Antwort ist einfach: Staaten können nicht insolvent werden, weil sie die Steuern erhöhen oder die Inflation steigern können, bis sie ihre Schulden in den Griff bekommen. In der Praxis werden Staaten sehr wohl zahlungsunfähig, manchmal auf spektakuläre Weise wie Argentinien 2001, manchmal mit vergleichsweise geringen Auswirkungen wie Irland und Portugal in der jüngsten Vergangenheit. Tatsächlich ist die Inanspruchnahme des europäischen Rettungsschirms nichts anderes als das Eingeständnis der Zahlungsunfähigkeit. Im föderalen System verteiltDie deutsche Wirtschaft erlebt aktuell einen ungeahnten Höhenflug. Doch wie fast alle Industrieländer ist Deutschland hoch verschuldet. Im Unterschied zu anderen Ländern ist der Schuldenberg jedoch unauffällig im föderalen System verteilt. Die Schulden von Kommunen, Ländern und dem Bund zusammen beliefen sich 2010 auf knapp 2 Bill. Euro. Das entspricht 25 000 Euro je Bürger, vom Neugeborenen bis zum Greis. Die absoluten Zahlen sind zwar hoch, bewegen sich aber noch im Rahmen. Zum Vergleich: Die USA erreichen 30 000 Euro Schulden pro Bürger, den aktuellen hohen Euro- Kurs schon mit eingerechnet.Sorgen hingegen bereitet der Zuwachs. So hat sich der deutsche Schuldenstand in den zehn Jahren seit Beginn des Jahrhunderts von 1,2 Bill. Euro beinahe verdoppelt, und besonders die finanzielle Lage der Kommunen hat sich in dieser Zeit dramatisch zugespitzt. De facto sind heute eine Reihe deutscher Kommunen insolvent, im Westen wie im Osten. Sie können die Zahlungsunfähigkeit bislang abwenden, weil Länder und letztlich der Bund sie stützen. Diese Politik kann das Land aber nicht unbefristet weiterführen, denn langfristig akkumuliert sie Risiken und Belastungen beim Bund. Nur ein erster SchrittDeutschland hat also gleich mehrere Gründe, sich für ein supranationales Insolvenzrecht starkzumachen: zum einen die naheliegenden wirtschaftlichen Interessen – wie das Engagement deutscher Banken in Irland und Griechenland – und zum anderen die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt die Grundsätze eines solchen Instituts auch in Deutschland selbst anzuwenden, etwa für die geordnete Insolvenz deutscher Kommunen.Ein überstaatliches Insolvenzrecht existiert bislang nur in Ansätzen. In Europa existiert der Euro-Rettungsschirm, und von 2013 an soll der Europäische Stabilitätsmechanismus greifen, ein dauerhafter Mechanismus, der den aktuellen Rettungsschirm hinsichtlich der Kapazität übertreffen wird. Daran dürften auch die aktuellen Entwicklungen in Finnland letztendlich nichts ändern.Doch angesichts der finanziellen und geografischen Begrenzungen können diese Mechanismen nur ein erster Schritt in die richtige Richtung sein. Schließlich würde der Ausfall einer großen Volkswirtschaft, ganz gleich ob innerhalb oder außerhalb Europas, die Weltwirtschaft nachhaltig aus dem Gleichgewicht bringen. Selbst ein großer Rettungsschirm könnte das nicht auffangen.Daneben existiert eine Art “kleines Insolvenzverfahren” für Staaten in Form sogenannter Collective Action Clauses. Begibt ein Staat eine Anleihe, so regeln diese Klauseln, inwieweit Gläubiger per Mehrheitsentscheidung Entschuldungsregelungen wie Stundungen oder Forderungsverzichte durchsetzen können. Viele Staatsanleihen enthalten derartige Vorschriften bereits. Angesichts der aktuellen Entwicklungen und Diskussionen ist davon auszugehen, dass Collective Action Clauses sich weiter durchsetzen. Trotzdem werden sie immer nur einzelne Anleihen erfassen. Als Entschuldungsinstrument können sie damit eine Staatsinsolvenz sinnvoll ergänzen, aber nicht ersetzen.Als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Insolvenzrechts für Staaten wird gerne auf das Verfahren nach Chapter 9 des US Bankruptcy Code verwiesen. Dieses Verfahren findet Anwendung auf Gebietskörperschaften in den USA, die ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen können. Beispiele in der jüngeren Vergangenheit sind etwa die Gemeinde Hamtramck im Bundesstaat Michigan sowie der Bezirk Orange County und die Stadt Vallejo, beide in Kalifornien.Das Ziel eines Verfahrens nach Chapter 9 ist ausschließlich die Restrukturierung der Stadt oder des Kreises. Eine wie auch immer geartete Abwicklung kommt dagegen nicht in Frage – sie läge nicht im Interesse der Bewohner oder des Staates. Für diese Besonderheit wird der Begriff “Resolvenz” vorgeschlagen, der zum Ausdruck bringen soll, dass es ausschließlich um die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit geht.Ein staatliches Insolvenzverfahren sähe nach diesem Ansatz in etwa eine Mischung aus dem Chapter-9-Verfahren und dem deutschen Rechtsinstitut des Planinsolvenzverfahrens vor: Das betroffene Land soll in jedem Fall seine staatliche Souveränität wahren können. Den Antrag zum Verfahren kann es daher nur selbst stellen, und auch der Plan für das angestrebte Verfahren kann nur von dem betroffenen Staat selbst aufgestellt werden.Der Plan zeichnet den Weg zur Restrukturierung vor. Er muss die einzelnen Schritte nachvollziehbar, transparent und überzeugend darstellen, damit die Gläubiger des Landes ihn akzeptieren können. Wenn der Plan steht, stimmen die Gläubiger über ihn ab und beschließen ihn. Dabei sollte die Mehrheit der Gläubiger eine Minderheit überstimmen können, um die Verquickung des Insolvenzverfahrens mit anderen, politisch motivierten Zielen so weit wie möglich auszuschließen.Ganz wird das freilich nicht gelingen: Ein Staat, der sich in hohem Maß bei anderen Staaten oder Privatinstitutionen verschuldet, verliert einen Teil seines politischen Gestaltungsspielraums. Wenig AnreizNoch deutlicher wird dieser Verlust bei der Umsetzung eines beschlossenen Insolvenzplans: Der Plan kann nur dann Vertrauen gewinnen und damit sein Ziel erreichen, wenn seine Umsetzung nach den beschlossenen Vorgaben sichergestellt ist. Andernfalls finden die Gläubiger wenig Anreiz, einem Teilverlust ihrer Forderungen zuzustimmen, der in den allermeisten Fällen die zentrale Voraussetzung für die Gesundung eines verschuldeten Staates ist. Diese Überwachung wird eine überstaatliche Stelle übernehmen müssen, um den Gesichtsverlust des verschuldeten Staates so gering wie möglich zu halten und wiederum einzelstaatliche politische Motive im Zaum zu halten.In Frage kommt entweder ein internationales Gericht oder eine anderweitige internationale Organisation. Ein starkes Überwachungsorgan hätte dabei nicht nur den Vorteil, Zweifel an der Umsetzung von vornherein auszuräumen, es könnte auch nach und nach eine Spruchpraxis herausbilden, das internationale Insolvenzrecht weiterentwickeln und an die Erfordernisse der rechtlichen Praxis anpassen. Auf europäischer EbeneBei allen inhaltlichen Annäherungen bleibt die Formfrage: Wie könnte eine Umsetzung dieser Regelungen aussehen? In erster Linie kommen hier internationale Verträge oder die “Articles of Agreement” des Internationalen Währungsfonds in Betracht. Keines dieser Verfahren ist zufriedenstellend, denn internationale Verträge würden nur von wenigen Ländern unterschrieben werden, falls sie überhaupt zustande kommen, und das Regelwerk des Internationalen Währungsfonds IWF entfaltet nur eine eingeschränkte Bindungswirkung auf souveräne Nationalstaaten.Am wahrscheinlichsten scheint noch die Einführung eines Rechtsinstituts auf europäischer Ebene: Durch ihre enge wirtschaftliche Verflechtung würden die Staaten in besonderem Maße von einer solchen Regelung profitieren, und mit den gemeinsamen Verträgen der Europäischen Union steht ein Fundament zur Verfügung, auf dem das Insolvenzrecht aufbauen könnte. Trotzdem gibt es auch auf europäischer Ebene deutliche Vorbehalte.—-*) Volker Beissenhirtz ist Rechtsanwalt und Leiter der Abteilung Sanierungsberatung der Schultze & Braun-Niederlassung Berlin.