RECHT UND KAPITALMARKT

Standard für die Schuldscheindokumentation

Vertragsmuster und Nutzerleitfaden nach deutschem Recht - Tradierte Charakteristika gewahrt - Evolution, keine Revolution

Standard für die Schuldscheindokumentation

Von Neil George Weiand *)Die Vergabe von Schuldscheindarlehen an Unternehmen hat sich in den letzten Jahren stark ausgeweitet und internationalisiert. Dennoch hat sich bislang kein einheitlicher Dokumentationsstandard etabliert. Die Marktteilnehmer greifen derzeit auf individuelle, teils auf Verbandsebene standardisierte Vertragsmuster zurück. Dies war der Ausweitung und Internationalisierung zwar nicht hinderlich. Aus dem Markt wurde jedoch vermehrt der Ruf nach einer marktübergreifenden Standardisierung der Schuldscheindokumentation vernommen. Dieser wurde wie folgt begründet:- Die wirtschaftliche Bedeutung von Schuldscheindarlehen nimmt deutlich zu. Diese substituieren teils syndizierte Kredite. Deren Dokumentation wurde Ende der 90er-Jahre vereinheitlicht. Hierdurch wurde die Effizienz des Primär- und des Sekundärmarktes nachweislich deutlich gesteigert.- Die typischen Charakteristika der Schuldscheindokumentation sollen gewahrt werden. Dies erscheint gerade im Hinblick auf die Internationalisierung auch dieses Marktes, den Eintritt neuer Akteure, der damit teils aus mangelnder Vertrautheit mit dieser Finanzierungsform einhergehenden Tendenz, gestalterische Elemente aus syndizierten Krediten und Anleihen in Schuldscheindarlehen zu übernehmen und so die wirtschaftlichen und rechtlichen Unterschiede der Vertragstypen zu verwischen, geboten. Höhere Effizienz – Und es geht um die Erhöhung der Effizienz des Schuldscheinmarktes, insbesondere des Dokumentationsprozesses.- Die Übertragungen zur Förderung der Entwicklung des weiterhin sehr schwach ausgeprägten Sekundärmarktes sollen er leichtert werden. Der Schuldschein ist nach wie vor ein “Buy and Hold”-Produkt.- Die Andienung von Forderungen aus Schuldscheindarlehen zur Refinanzierung bei Zentralbanken (Wahrung der Eligibilitätskriterien) sollen erleichtert werden.- Und die standardisierten Transaktionsabwicklung auf Trading-Plattformen und die Nutzung neuer Technologien wie etwa Blockchain sollten unterstützt werden.- Darüber hinaus geht um es die Verbesserung der Absicherung von Forderungen aus Schuldscheindarlehen durch standardisierte Dokumente referenzierenden Kreditderivate und andere Formen der Risikominderung.- Und schließlich wird die Etablierung eines festen dokumentären Ausgangspunkts zu Zwecken der regulatorischen Einordnung von Schuldscheindarlehensverträgen gewünscht. Mit Investment GradeDie Loan Market Association (LMA) hat dieser Tage Vertragsmuster für Schuldscheindarlehen und einen zugehörigen Nutzerleitfaden veröffentlicht. Die Dokumentation ist unter Leitung der LMA von einer Arbeitsgruppe erarbeitet worden, welcher der Verband Deutsche Treasurer sowie verschiedene nationale und internationale Banken (darunter die großen Landesbanken) und Anwaltskanzleien angehörten. Hierbei wurde eine angemessene Berücksichtigung der Interessen der Darlehensnehmer und Darlehensgeber angestrebt, wobei folgende zentrale Annahmen zugrunde gelegt wurden:- Der Darlehensnehmer ist ein deutsches Unternehmen.- Er hat ein solides Investment-Grade-Rating oder, bei Unternehmen ohne Rating, eine entsprechende Bonität.- Die Darlehensvergabe ist aufsichtsrechtlich zulässig. Die Dokumentation ist grundsätzlich auch für Solvency II unterliegenden Versicherungsunternehmen, für die bei der Darlehensvergabe keinen qualitativen oder quantitativen Anforderungen gelten, geeignet.Die Vertragsmuster sind nicht bindend. Sie dienen lediglich als Ausgangspunkt für Vertragsverhandlungen. Ihren Nutzern steht es frei, von ihnen abzuweichen. Es ist nicht möglich, sie ohne Änderungen und Ergänzungen zu nutzen. So bedürfen etwa Change-of-Control-Klauseln, kreditmaterielle Verpflichtungen, Informationsverpflichtungen und Kündigungsrechte stets einer Anpassung an die Gegebenheiten der konkreten Transaktion.Die Vertragsmuster werden mit und ohne integrierte Garantie in deutscher und englischer Sprache vorgehalten. Der Schuldscheindarlehensvertrag ist in seiner konkreten Ausprägung ein spezifisch deutscher Vertragstypus. Seine Kürze wird insbesondere durch die ergänzend geltenden Regelungen des deutschen Zivilrechts ermöglicht. Die Vertragsmuster unterliegen daher, unabhängig von der Sprache, in der sie verfasst sind, zwingend deutschem Recht.Bei der Erstellung der Vertragsmuster wurde am tradierten knappen Format eines Schuldscheindarlehensvertrags festgehalten. Es wurden daher so gut wie keine Elemente aus syndizierten Krediten, wie etwa eine Illegality-Klausel oder Zusicherungen und Gewährleistungen (Representations and Warranties) aufgenommen. Angesichts der unterstellten Bonität des Darlehensnehmers sind auch keine Financial Covenants vorgesehen.Einige Regelungen, wie etwa ein vorzeitiges freiwilliges Rückzahlungsrecht gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung (“make whole”) bei festverzinslichen Schuldscheindarlehen, wurden als noch nicht marktüblich genug angesehen, um in den Vertragsmustern reflektiert zu werden. Der Nutzerleitfaden enthält hierfür und für andere Fragen jedoch Erläuterungen und konkrete Formulierungsvorschläge, die im Falle einer entsprechenden Regelung in die Vertragsmuster eingepflegt werden können. Muster für zugehörige Verträge wie etwa die Zahlstellenvereinbarung sind bislang nicht erstellt worden. Die Nutzer werden insoweit auf bisher verwandten Muster verwiesen. Dies gilt auch für im Zusammenhang mit einer Platzierung von Schuldscheindarlehen verwandte weitere Verträge und Dokumente, insbesondere eine Mandatsvereinbarung und ein Vermarktungs-Term-Sheet. Warten auf ReferenzzinsBei in Euro denominierten, variabel verzinslichen Schuldscheindarlehen bemisst sich der Zins zumeist nach dem von Zeit zu Zeit neu festgelegten Einstandssatz Euribor zuzüglich einer Marge. Euribor wird nach heutigem Stand der Dinge während der Laufzeit neuer Schuldscheindarlehen entfallen und durch einen derzeit unbekannten neuen Referenzzinssatz ersetzt werden. Es ist nicht praktikabel, mit jedem der meist zahlreichen Schuldscheingläubiger einen Ersatzreferenzzinssatz zu verhandeln. In der Dokumentation ist daher in Anlehnung an die neuen “Screen Rate Replacement Clauses” der LMA für syndizierte Kredite eine Regelung vorgesehen, die sicherstellen soll, dass stets ein Ersatzreferenzzinssatz bestimmt werden kann und die Parteien sich nach einer Ersetzung in einer vergleichbaren ökonomischen Situation wiederfinden. Nicht entsprochenIm Nachgang zu Ausfällen/Restrukturierungen von Schuldscheindarlehen ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass Schuldscheindarlehen nicht restrukturierungsfreundlich seien. Dies sei durch vertragstypische strukturelle Elemente, wie die stark fragmentierte Gläubigergruppe, das Einzelkündigungsrecht jedes Gläubigers, keine echte Agency über die Änderungen koordiniert werden könnten sowie das fehlende Mehrheitsprinzip bei Vertragsänderungen bedingt.Es wurde unter anderem angeregt, dem durch das Vorsehen von Mehrheitsklauseln und den Wegfall des Einzelkündigungsrechts abzuhelfen. Die Projektgruppe hat dem nicht entsprochen, weil auch andere Finanzprodukte ähnliche Limitierungen aufweisen und die Default Rate weiterhin sehr niedrig ist – und bleiben sollte, wenn Schuldscheindarlehen nur an leistungsfähige Darlehensnehmer ausgereicht werden. Dies würde zudem einen Bruch mit wesenstypischen, von Investoren durchaus geschätzten Charakteristika darstellen. Schließlich sollte der tradierte dokumentäre Status quo abgebildet, nicht aber die Dokumentation revolutioniert werden. Sollte jedoch künftig eine andere Bewertung geboten sein. so könnten vertraglich bestimmte Regelungen aus dem Schuldverschreibungsgesetz entlehnt werden.Die Mitglieder der Arbeitsgruppe sind zuversichtlich, dass die Vertragsmuster und der Nutzerleitfaden rasche und breite Akzeptanz finden und einen wertvollen Beitrag für die weitere Entwicklung und Effizienz des Schuldscheinmarktes leisten werden.—-*) Dr. Neil George Weiand ist Partner von Linklaters und war wesentlich an der Ausarbeitung der Dokumentation beteiligt.